The Black Heart Procession - Six

Temporary Residence / Cargo
VÖ: 09.10.2009
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Düsternis 2,50

Die Objektivität eines Musikjournalisten wird meist erst recht dann eingefordert, wenn der Leser mit einer Wertung nicht einverstanden ist. Web 2.0 sei dank, kann diese Forderung ohne Füllfederhalter und Briefmarke auf direktem Wege an die schreibende Zunft weitergeleitet werden. Mitunter so, dass sich genügend Unzufriedene finden, die dann ins gleiche Horn blasen können. Dass es mit der Objektivität eines Musikjournalisten gar nicht so weit her ist, versteht sich eigentlich von selbst. Zwar dürfte unbestritten sein, dass äußere Umstände einen Ticken weniger an den Musikverarbeitungsnerven derer fressen, die sich tatsächlich tagtäglich mit den schönen Künsten auseinandersetzen müssen. Doch was ist mit der vorangegangenen Biographie und der stetig fortlaufenden Sozialisation? Dass diese Dinge Prozesse wie Aufnahmebereitschaft und Experimentierfreude mit einem Plus oder Minus quittieren, dürfte im Bereich des Möglichen liegen. Auch in der Hoffnung, dass die beeinflussenden Lebensphasen dazu anreizen, sich fortzuentwickeln, so dass man stetig eine Stufe höher steigt. Unter diesen Bedingungen, die eigentlich jedes menschliche Lebewesen betreffen, stellt sich allerdings die Frage, wieso man der Rückkehr von The Black Heart Procession zu alten Tugenden folgen sollte, wenn man selbst schon ein paar Schritte voraus ist.

Mit "Six" beweisen The Black Heart Procession, dass sie weiter zählen können als nur bis drei. Die Rückkehr zur simplen Betitelung der Alben mit ihrer Laufnummer wurde dabei von vielerlei Seiten schon frühzeitig als Zurückrudern interpretiert. Genau dahin, wo sich die drei ersten Alben und damit eben auch die Meisterwerke der Band um Pall Jenkins tummeln. Die Lyrics: verstörend, stoisch, dabei doch verträumt, ebenso sarkastisch, getaucht in einen Topf schwarzer Farbe. Die musikalische Begleitung: minimalistisch, mit schwerfälligen Rhythmen versehen, ebenfalls getränkt in Dunkelheit und doch mit winzigen melodisch-atmosphärischen Spitzen versehen, die das Liedgut der Black Heart Procession von 1998 bis 2000 auch heute noch memorabel machen. "Amore del tropico" experimentierte zwar wunderlich mit umgekrempelten Easy-Listening-Verweisen und arg verwischten karibischen Rhythmen, tat dies aber nur, um das einhellige, bis dahin unkritikable wie schwarzverhangene Konzept zu verdeutlichen. Angekommen in der Gegenwart versucht sich "Six" daran, den eigentlich längst vergessenen Vorvorgänger und deutlich zu eingängigen Schwachpunkt "The spell" noch ein Stückchen weiter in Richtung Vergessenheit zu drängen. Die ersten Zeilen von "When you finish me" rufen tatsächlich wunderschöne Erinnerungen wach. Eine eingängige, in ihrer Tonlage fast schmerzliche Klaviermelodie hält beständig am Leben fest. Schwerfällige orchestrale Untermalung trägt den tiefhängenden Song zum Ende. Jenkins, über allem thronend, singt in neu auferstandener Kryptologie von Befreiung, Entfremdung, Verschwinden und geschlossenen Augen.

"Back to the underground" heißt nicht nur ein überaus gelungener Track auf "Six", der eine Vielzahl von Percussions gegeneinander anstürmen lässt, gleichzeitig einer allzeit dröhnenden Orgel den Part der Besänftigung überlässt, sondern ist auch Marschroute für Jenkins und seine Mannen. Der anhaltenden Eingängigkeit wurde Einhalt geboten, rhythmische Spielereien stehen deutlich vor melodischen Auswüchsen, und man versucht Särgen und Kreuzen des Albumartworks mit jeder Silbe gerecht zu werden. "Six" ist somit tatsächlich ein Schritt zurück - ein Schritt, der mitunter neue kreative Energien freigesetzt hat. Doch irgendwie juckt und kratzt es doch, wenn das Album in voller Länge am Hörer vorbeirauscht. Ein bitterer Nachgeschmack sozusagen, hört man Jenkins mal um mal und leider auch völlig sinnfrei nach Teufel, Schatten, Tod, Drogen und sonstigen Negativelementen rufen. Jenes welches kitzelt zwar kräftig die Nostalgie. Ein Lächeln oder gelangweiltes Gähnen mag man sich aber nicht aber nach wenigen Songs nicht mehr verkneifen. Selbst die klangliche Untermalung wirkt zeitweise wie ein Blaupause, die gleich mehrmals angewandt wurde: metallenes Scheppern, kurze Saiteneruptionen, Orgelschieflage, bissige Anlehnungen an Wave und Softcore-Industrial. Und so fragt sich nicht nur ein Musikjournalist, wo "Six" die Weiterentwicklung, hinter diesem freilich irgendwie zufriedenstellenden Album, gelassen hat. Nicht das man sich einen sonnenstrahlenden Umkehrschluss wünscht - ganz und gar nicht. Dafür aber einen Reifeprozess, der selbst die finsterste Finsternis anders erscheinen lässt, als noch vor neun Jahren. Pall Jenkins und The Black Heart Procession aber streicheln ihre liebgewonnenen Marotten.

(Markus Wollmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • When you finish me
  • Back to the underground
  • Last chance

Tracklist

  1. When you finish me
  2. Wasteland
  3. Witching stone
  4. Rats
  5. Heaven and hell
  6. Drugs
  7. All my steps
  8. Forget my heart
  9. Liars ink
  10. Suicide
  11. Back to the underground
  12. Last chance
  13. Iri Sulu
Gesamtspielzeit: 52:58 min

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