Chuck Ragan - Gold country

SideOneDummy / Cargo
VÖ: 04.09.2009
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Chuckie und seine Braut

Sie sind unzertrennlich. Wann immer sie durch die Lande wandern, kriegen Menschen feuchte Augen - und Gänsehaut. Die Beziehung zwischen Chuck Ragan und seiner Stimme böte genug Stoff für einen Schmachtfetzen von mindestens TM3-Format. Er sieht sie an - sie raunt zurück. Sie ist immer für ihn da, auch ohne Pullmoll. Erlebt man Chuck Ragan und seine Stimme, kommt einem manch Telenova-Liebschaft anschließend wie ein öffentlich-rechtlich finanzierter Rudel-Bums im Swinger-Laden vor. Dramatisch ist das, was Chuck und sie zusammen machen, nicht sie mit jemand anderem und Chuck ohne sie. Und selbst wenn er mal nicht in Form ist, rettet sie ihn über die Gewöhnlichkeit schwächelnder Songs hinweg. Auf Chuck Ragans neuer Soloplatte muss sie das schon mal tun. Aber dafür hat Chuck Ragan sie ja auch. Seine Stimme. Hach!

Dabei hätte das gar nicht so sein müssen. Zwar war schon Chuck Ragans letzte Solo-LP "Feast or famine" nicht aus dem Vinyl gepresst, das unsere Punkteskala bis ganz nach oben raufklettert. Aber mit dieser Stimme vermutete man schon damals: Da geht noch mehr. Hot-Water-Music-Fans wussten das schon immer. Jetzt ist "Gold country" trotzdem ein "Feast or famine" Teil zwei. Mit einer Einschränkung: Einen Instant-Hit wie "The boat" haben sie nicht eingespielt, Chuck und sie. Die Mundharmonika dengelt Ragan hier nie so schön wie in "For broken ears". Und niemals lässt er auf dieser Platte so die Sonne scheinen wie am Ende von "Do what you do". Sind das jetzt nicht schon der Einschränkungen drei? Wir wollten das bloß nicht noch mal laut schreiben. Man liest auch so, was Sache ist.

Trotzdem ist "Gold country" alles andere als eine schlechtes Chuck-Ragan-Soloalbum geworden. Das geht schließlich auch gar nicht. Schon gar nicht mit dieser Stimme. Chuck Ragan packt auch auf "Gold country" wieder Country und Folk so an, wie er mit Hot Water Music Punkrock anpackt: so bodenstänstig, dass man meint, das alles auch selbst machen zu können, bis man es mal versucht. Wenn er in "Don't say a word" die Schallousien runterlässt, das Tempo auf Zimmerlautstärke dimmt und eine Slide-Gitarre Slalom fahren lässt, hört er sich an wie die musizierende Schwester, die man nie hatte - zumindest so lange bis sie kommt. Und "For goodness sake", das doch ein wenig an die Uptempo-Hits der Vorgängerplatte erinnert, schließt Blutsbrüderschaft mit wirklich jedem, der Chuck Ragan und seiner Stimme ein paar Minuten seiner Zeit schenkt. Arbeiterklassen-Ethos, klar: Musik von einem für alle. Musik von Mensch für Mensch, ohne Starkult, VIP-Ausweis, Berührungsangst, Getue und Stehplatztickets zu 50 Euro aufwärts. Das Gegenteil von "Deutschland sucht den Superstar".

Alles andere auf diesem Album ist bessere Routine, in etwa vergleichbar mit den gediegenen Zwischenspielen, die auf "Feast or famine" die Highlights zu einer kompletten Platte aufgepumpt haben. In "10 West" schwenkt Ragan einen Schwank vom Zug nach Westen, Kalifornien, und schrubbt dazu ein paar Fernweh-Gitarren. Zu "Ole diesel" spürt man selbst dann ein Kratzen im Hals, wenn man Whisky sonst nur als Wortsalat von der Getränkekarte kennt. Und der letzte Song, "Get em all home", ein Heuler mit Western-Tricks, macht den Laden pünktlich um fünf vor Polizeistunde dicht. Dann satteln Ragan und sie auf und davon. Zur nächsten Stadt, vielleicht. Nach Westen, vermutlich. Dem Sonnenuntergang entgegen, verdammt sicher. Dass das musikalisch manchmal so rasant ist wie eine VHS-Aufnahme von Deutschland vs. Österreich 1982, macht Chuck Ragan nicht den Bohnentopf mit Maisbrot aus. Wohl dem, der so eine Stimme hat.

(Sven Cadario)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • For goodness sake
  • Get em all home

Tracklist

  1. For goodness sake
  2. Glory
  3. Rotterdam
  4. Done and done
  5. The trench
  6. Don't say a word
  7. 10 West
  8. Ole diesel
  9. Cut em done
  10. Let it rain
  11. Good enough for rock and roll
  12. Get em all home
Gesamtspielzeit: 45:53 min

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