The Mars Volta - Octahedron

Mercury / Universal
VÖ: 19.06.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Tau Ceti V an Erde

Eigentlich ein Jammer. The Mars Voltas "Octahedron" hätte vor 30 Jahren erscheinen müssen. Und das nicht bloß wegen der Musik. Einfach schon deshalb, weil es heutzutage Myspace, Goldesel, Gnutella gibt - und für Struwwelpeter wie Cedric Bixler-Zavala und Omar Rodriguez-Lopez ist sogar eine Presse vorhanden, die sich ausgiebig mit ihnen beschäftigt. So weiß es mittlerweile jeder, der die letzten paar Monate nicht gerade ohne Internetanschluss im Luftschutzbunker von nebenan verbracht hat: "Octahedron" ist The Mars Voltas Pop-Album. Bixler-Zavala stößt sich die Hörner an seiner kommenden Soloplatte ab, Rodriguez-Lopez ist wohl vom Marathon-Geschraube an seinen gesammelten Werken ein bisschen müde geworden. Das Ergebnis ist ein erstaunliches Stück Musik, über das hier geschrieben gehört. Twitter hin, Twitter her.

Vor einiger Zeit hat Claudio Sanchez von Coheed And Cambria mal eine Soloplatte gemacht. Sanchez ist auch so ein Progrocker Baujahr größer gleich 1970, dessen eigentliches Zuhause irgendwo jenseits der Erdumlaufbahn ist. Er näherte sich dort eher unfreiwillig der Augenhöhe seiner Hörer an: Mit furchtbaren Songs entlarvte sich Sanchez selbst. Auf The Mars Voltas "Octahedron" gehört die Annäherung an erdähnliche Dimensionen vom Start weg zum Masterplan. Auf dieser Platte gibt es sie nicht mehr: mit Salsasauce und Chilipfeffer bekleckerte Space-Operas, für die man das Sitzfleisch eines Bürohengstes braucht. Oder Taktschiebereien - vier Viertel sind schließlich auch okay. Bis auf den Abschluss dieses Albums, zu dem Rodriguez-Lopez auf typische Rodriguez-Lopez-Art ein Rodriguez-Lopez-Solo abwürgt, halten The Mars Volta hier vielleicht zum ersten Mal seit der Auflösung von At The Drive-In für länger als eine Nummer so etwas wie Bodenkontakt.

Nicht mal das wildeste Stück auf "Octahedron" hätte es auf "De-loused in the comatorium" geschafft – dafür ist dieses "Cotopaxi" mit seinen Geddy-Lee-Gedächtnis-Licks viel zu aufgeräumt geraten. Und über die Akustikpickings und Synthesizer von "Since you've been wrong" sirent Bixler-Zavala, als handele sich um eine Liebeserklärung an seine Lieblingsmuschi statt um einen Mars-Volta-Song. Was bei Bixler-Zavala vielleicht schon immer ein und dasselbe gewesen ist; das weiß so genau keiner. Kryptischer als seine Texte sind schließlich bloß die Assembler-Codes, die ein betrunkener Decompiler ausspuckt.

Herzstück im Wortsinn: "With twilight as my guide". Ein paar Strophen (!) lang machen sich The Mars Volta rallig. Rodriguez-Lopez lässt seine Gitarren wimmern und seufzen, als wolle er seine Kumpel flachlegen. Und Bixler-Zavala? Brunft zurück. Irgendwo zwischen beiden Chilischote John Frusciante, der mittlerweile nur noch mit der Zunge seine Saiten reitet. Ungewohnt für diese unmenschlichen Halbgötter, aber: Nur echter Sex ist menschlicher. The Mars Volta haben ihre Drohung also doch wahr gemacht. Sogar die Melodien auf diesem "Octahedron" hätten die Überraschung der Saison sein können. Wer es nicht schafft, über gewisse Stellen von "Halo of nembutals" Paul Youngs "Come back and stay" zu singen, bekommt den vollen Kaufpreis dieser Platte zurück.

Das Thema Veränderung haben The Mars Volta nicht nochmal extra in großen Druckbuchstaben ins Booklet drucken müssen. Man hört es "Octahedron" auch so an. Und macht sich seine Gedanken. Die letzten zehn Jahre haben gelehrt: Wohin Bixler-Zavala und Rodriguez-Lopez als nächstes entschweben, ist nicht voraus zu sehen. Möglich, dass sie demnächst schon wieder den Aktienwert von Ohropax steigen lassen. Nach "Octahedron" scheint ein anderes Szenario gar nicht mal so unwahrscheinlich: Spätestens die übernächste The-Mars-Volta-Platte "Cubicuboctahedron" bekommt man als Prämie zum Jamba-Spar-Abo dazu. Der Nachfolger zu "Teflon" wird die Erkennungsmelodie zur neuen Tim-Mälzer-Sendung, für die man eigens den Mädchen-Sender TM3 reanimieren wird. Der neue Vodafone-Song "¡Ay, caramba!" löst einen weltweiten Bossa-Nova-Boom aus. Derweil kündigt Rodriguez-Lopez einen Remix des "Grim Fandango"-Soundtracks an. Und Jan Wigger, unter anderem Randgruppenmann für Randgruppentexte bei Spiegel Online, kann endlich die letzte Rate für seinen Golf GTI abstottern: Anlässlich "Cubicuboctahedron" darf er dort zum ersten Mal für einen Text kassieren, der länger als 255 Zeichen hält. ¡Ay, caramba!

(Sven Cadario)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Since we've been wrong
  • With twilight as my guide
  • Copernicus

Tracklist

  1. Since we've been wrong
  2. Teflon
  3. Halo of nembutals
  4. With twilight as my guide
  5. Cotopaxi
  6. Desperate graves
  7. Copernicus
  8. Luciforms
Gesamtspielzeit: 50:09 min

Im Forum kommentieren

Underground

2020-03-08 14:43:41

Puh, aus der Rezi ließt sich dann doch ein erschreckendes Frauenbild des Sven Cadario heraus... "Lieblingsmuschi", "Mädchen-Sender"... wie ist das damals in der Redaktion aufgenommen worden, Armin?

Affengitarre

2016-08-11 16:42:38

"Lapochka" hört sich für mich nicht wirklich nach den anderen beiden an. Mir gefällt da auch dieser geile Part bei z.B. 0:40 bis 1:10, dieses elektronische da, toll. "Trinket Pale Of Moon" hat dieses geile Stimmengewaber und passt super, wenn man nachts durch die Stadt läuft.

derdiedas

2016-08-11 16:35:49

Ich hab nix gegen sie, für mich hören sich die Songs einfach gleich an. Ist ja trotzdem eins meiner Lieblingsalben :)

edegeiler

2016-08-09 22:14:20

Wie kann man was gegen Lapochka (das fucking Drumming, der Gesang), Trinkets Pale of Moon (der Refrain, die Zeile "when i nurse your tired heart") und Imago (okay da versteh ichs noch am meisten :D aber ich mags trotzdem) haben?

The MACHINA of God

2016-08-09 19:49:54

"Noctorniquet" hat auf jeden Fall durch ein paar Songs (die genannten) ziemliche Längen. Ich finde, das Album wäre 15 Minuten kürzer deutlich besser. "Octahedron" hab ich irgendwie ewig nicht gehört.

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