
Martyn - Great lengths
3024 / Groove AttackVÖ: 24.04.2009
Warmer Kaffee
Beim Stichwort "Elektronische Musik aus den Niederlanden" werden die meisten Menschen wohl an Gabber und Jumpstyle-Variationen von Vader Abraham und seinen Schlümpfen denken. Dabei gibt es mit Clone, Delsin oder 100% Pure einerseits und Leuten wie Steve Rachmad, Legowelt und 2000 And One andererseits eine ganze Reihe von international anerkannten Labels, DJs und Produzenten im Nachbarland, die vom Rotterdam Terror Corps so weit entfernt sind wie 190 BPM von einem entspannten Sonntagnachmittag mit Kaffee, Kuchen und Tante Martha. Neu in dieser Riege ist mit Martijn Deykers alias Martyn ein Mann, der zunächst Drum'n'Bass produziert und aufgelegt hat, seit zwei Jahren aber an der Spitze einer Entwicklung steht, die die Basswucht und die synkopierten Rhythmen von Dubstep mit dem 4/4-Takt von Techno und House zusammenzubringen versucht. Nach einer ganzen Reihe von hoch gelobten 12-Inches und Remixen bringt Martyn nun auf seinem eigenen Label 3024 -– benannt nach der Postleitzahl seines ehemaligen Wohnorts Rotterdam –- mit "Great lengths" sein Albumdebüt heraus. Und wie erhofft lässt dieses die oftmals starren Genregrenzen elektronischer Tanzmusik unbekümmert hinter sich.
Anstatt sich in ein Korsett aus Regeln zwängen zu lassen, feilt Deykers lieber weiter am ebenso eklektischen wie eigenständigen Martyn-Sound: melancholische Flächen, die eingebettet sind in warme, weiche Subbässe, und punktgenau eingesetzte Vocalsamples sind die stets wiederkehrenden Grundelemente, die Deykers in variablen Tempi und Rhythmen einzusetzen weiß. Das eigentliche Markenzeichen Martyns aber ist ein unnachahmlich federnder Swing, der eine sanfte Euphorie freisetzt, die man vom oft eher apokalytisch gestimmten Dubstep so gar nicht gewohnt ist. Denn während im Süden Londons eine markerschütternde Wobblebass-Orgie die nächste jagt, laufen Deykers' Tracks einfach locker und leicht dahin und verbreiten eine Wärme, die sonst eher im Deep House zu finden ist. "Right?Star!" etwa legt ein Vocalsample auf sein brummendes Bassbett und wirft ein ganzes Netz unterschiedlichster Sounds darüber. "Little things" dagegen schwebt mit seinen Bleeps und luftigen Pianotupfern einfach auf und davon. Erst das bereits als 12-Inch veröffentlichte "Vancouver" gibt sich mit dubtechnoiden Delay- und Reverbeffekten etwas grimmiger. Begleitet von einem schönen House-Piano intoniert ein Gast namens dBridge anschließend den einzigen, dafür aber wunderbar souligen Gesangstrack des Albums.
In der zweiten Hälfte von "Great lengths" bewegt sich Dykers dann eher in Richtung 2Step und Funky-House. "Elden St." garniert er wie später "Natural selection" mit geisterhaften Synthesizerschwaden, in "Far away" hingegen lässt er die Strings und Halleffekte wie Wellen ans Ufer schlagen. Was Martyn dabei mit seinem Debüt vielen Produzenten aus dem Elektroniksektor voraushat, ist die Kohärenz. Denn er schafft es nicht nur, seine verschiedenen Einflüsse zu hervorragenden Einzeltracks zusammenzuleimen, sondern kann daraus auch ein Album basteln, das seinen Funk und Groove zu einem farbenreichen Trip bündelt. Dann kann man die Thunderdome-CDs ja jetzt endlich verramschen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Vancouver
- These words (feat. dBridge)
- Far away
Tracklist
- The only choice
- Krdl-t-grv
- Right?Star!
- Seventy four
- Little things
- Vancouver
- These words (feat. dBridge)
- Bridge
- Elden St.
- Far away
- Hear me
- Is this insanity? (feat. Spaceape)
- Brilliant orange
- Natural selection
- Phone lines
Referenzen
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