The Horrors - Primary colours

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 02.05.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Wie geistreich

In England muss man nicht zwingend gute Musik machen, um als Band populär zu sein. Manchmal reichen auch katastrophal selbstgeschraubte Frisuren, glamouröses Make-Up und medienwirksame Beziehungsverhältnisse - den Rest regelt die heimische Presse. So geschehen bei The Horrors respektive ihrem Sänger Faris Badwan (vormals Rotter) und seiner letzten Lebensabschnittsgefährtin Peaches Geldof. Trotzdem war das Debüt des Quintetts aus Southend ein schlagendes Argument dafür, dass sich Garagenrock, Horrorpunk und Gothic nicht ausschließen müssen. In der mit Cramps, Screaming Lord Sutch und einer Extraportion Klapsen-Rock'n'Roll vollgestopften Bruchbude "Strange house" wurde jedenfalls Gas gegeben, bis der Kajal in Sturzbächen floss. Dass The Horrors ungern zwei Mal die gleiche Platte machen, konnte da noch keiner ahnen.

Und so streichen sie auf ihrer zweiten allzu überdimensionalen Kopfputz, Psychobilly und hektisches Geschremmsel zugunsten von elektronischem Heulbojen-Alarm, lichtloser Post-Punk-Ästhetik und schriller Psychedelia. Produziert haben sowohl Regie-Extremist Chris Cunningham, als auch Portisheads Geoff Barrow und dessen Mix-Engineer Craig Silvey, die schon das monolithische "Third" so monströs in Szene setzten, dass kaum noch Luft zum Atmen blieb. Ein Monster ist auch "Primary colours" geworden. Schwer wie Blei und mit ähnlich wüster Verzweiflung operierend, wie es einst schon The Cure auf ihrem manisch-depressiven Meisterwerk "Pornography" vorgemacht hatten. Berge lärmenden Feedbacks türmen sich auf, Synthesizer schreien wie am Spieß und pfeifen auf dem letzten Loch. Dazu jault, schnarrt und poltert sich Faris Badwan durch Songs, die in allen Farben des blanken Entsetzens schillern.

"Who can say" zum Beispiel, ein lysergsäurehaltiges Liebeslied mit ungutem Ausgang: "And then I kissed her / With a kiss that could only mean goodbye." Oder der blickdichte Shoegaze-Extremfall "New ice age", bei dem die Gitarren in der gleichen Vorhölle braten wie zu den härtesten Zeiten von The Jesus And Mary Chain und My Bloody Valentine. Und im Vergleich zur suizidären Seelenpestklage "I can't control myself" geht Ian Curtis nachgerade als haltloser Optimist durch. Man ist fast versucht zu sagen: Der Glückliche hat's schon hinter sich. Eine Kompromisslosigkeit, die The Horrors jedoch nicht ganz bis zum Schluss durchexerzieren - das wäre wohl selbst ihnen zu viel des Schreckens gewesen.

Dass mit "Sea within a sea" ausgerechnet ein achtminütiger Krautrock-Kartoffelstampfer mit Can-Groove und elektronischem Zirp-Part "Primary colours" beschließt und zudem als erste Single ausgewählt wurde, ist genauso ein Friedensangebot wie die freischwebenden Synthi-Wölkchen von "Scarlet fields" oder der klirrende Goth-Pop des Titelstücks. Und das ist irgendwie auch gut so. Denn würde die Band die kompletten 45 Minuten lang die Zähne so fest zusammenbeißen wie bei den intensivsten und verschlingendsten Momenten dieses Albums, bestünden ihre Kauleisten hinterher vermutlich nur noch aus blassrosa Schaum. Doch trotz dieser dreiviertel Kehrtwendung gehören The Horrors erneut zu den Gewinnern. Alles andere ist primär.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Who can say
  • New ice age
  • I can't control myself

Tracklist

  1. Mirror's image
  2. Three decades
  3. Who can say
  4. Do you remember
  5. New ice age
  6. Scarlet fields
  7. I only think of you
  8. I can't control myself
  9. Primary colours
  10. Sea within a sea
Gesamtspielzeit: 45:33 min

Im Forum kommentieren

Gordon Fraser

2022-01-01 21:03:53

Gordon Fraser

28.02.2011 - 19:12 Uhr
Der Titelsong ist der Hammer.


Stimmt zehn Jahre später immer noch. Und der Rest ist auch fantastisch. Düster, dräuend, dystopisch - und trotzdem Pop.

fuzzmyass

2021-12-28 03:40:45

Auch für mich ihre beste - würde sogar irgendwas 9-10/10 zücken je nach Stimmung... eines der besten Alben der 00er und auch ein Highlight der letzten 20 Jahre...
Auf der Tour dazu waren sie damals auch live gigantisch - sehr schöner Gig in München im 59:1

Felix H

2021-12-27 22:50:20

Für mich bleibt "Skying" weiterhin ihre größte Großtat, aber "Primary Colours" folgt dann gleich darauf. (Und ja, "V" ist auf Platz 3.)
Einfach toll, wie windschief und doch kraftvoll dieser psychedelische Sound hier ist.

AliBlaBla

2021-12-23 12:56:23

@ijb
Genau so sehe ich das auch...
Danke für ein Jahr der vielen Tipps und Hinweise -und wenn Zurechtweisungen,dann sicher zurecht.. ;) - take care.

ijb

2021-12-23 12:43:43

Ich kannte lange nur "Primary Colours" – hab mir dann irgendwann mal die anderen Alben angeeignet und kennengelernt. Am Ende bleibt "Primary Colours" als das beste Album der Band stehen. "V" würde ich, glaube ich, als zweitbestes einordnen.

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