Christina Stürmer - In dieser Stadt
Polydor / UniversalVÖ: 10.04.2009
Schrei so laut Du halt kannst
Christina Stürmer gilt ja quasi als die Halbtaube unter den Gehörlosen. Im Finale von Österreichs "Starmania" musste sie sich mit Grusel-Wusel-Queen Arabella Kiesbauer, allerdings nicht mit Pöbel-Dieter oder überhaupt irgendeiner Jury herumschlagen. Kein Grund also, sich "halskranker Lurch" als "schlampertes Bochhendl" zu übersetzen. Oder aus Michael Steins "verrucht" ein sabberndes Plädoyer für "Ätwos mäa gaale Sao, bittscheen" herauszuhören. Deshalb trägt Stürmer heute weder Fummel noch Alternative Chic. Und lässt sich seit ihrem Debüt, ohne von der Verwertungskette verbeamteten Produzenten, von ein und derselben Band mit deutschsprachigem, immerjungem Gitarren-Pop bespielen. Da kommt man selbst als düsentriebgesteuerter Rocker einigermaßen drauf klar. Und trägt, wenn auch kein Schulterklopfen nach außen, so doch ein gütiges "Na ja" unter dem Trenchcoat spazieren.
Dennoch: In der Vermarktungshölle geschliffen, ist es Stürmers vorrangiges Anliegen, ihren Hörern die eigene Autonomie zu beweisen und sie gleichzeitig zu ein wenig mehr Gefahr aufzufordern. Ihre Texte strotzen vor Selbstbehauptung und Durchhalteparolen, kümmern sich um die Anders-Einsamen und Aus-der-Reihe-Tänzer. Die Klimax des wahrlich nicht schlecht dahergeschunkelten "Tanz ohne Musik" bringt es auf den Punkt: "Es gibt keine festen Schritte, keinen durchgängigen Beat / Keinen Kreis, keine Mitte / Keinen Takt in diesem Lied - es macht keinen Unterschied." Richtig. Denn Stürmers Songs üben sich nach wie vor in der hohen Kunst des Verschwindens.
"Ist mir egal", "Niemals hoffnungslos" oder "Im Kreis" werden mit ihren Wummer-Strophen und Aufdrehrefrains bestenfalls nebenbei durchgewunken. Vor allem die Schlagzeugfiguren pumpen matt und erschöpft durch all die Beiläufigkeiten. Während Stürmers Gesangsvortrag bei "Stille Helden" die Kurve zum Schlager nicht nur kratzt, sondern gleich in die Leitplanke durchkrachen lässt, ist ausgerechnet das Silbermond-Midtempo von "Du für mich" durch ihren Ösi-Zungenschlag weitaus ertragreicher: "Duuu för määäch / Äääch för Däääch." Der gute alte Vokal ist halt so entlarvend wie sonst nur ein gesprengtes Mieder - und entlässt den Song in Kombination mit einem angefuzzten Gitarrensolo aus seinem Korsett.
Auch "In dieser Stadt" gönnt sich ein euphorisches Lebenszeichen zu Beginn. Spätestens zur ersten Strophe heben sich aber die Ultra-Angepasstheit der Musik und die lyrische Gebetsmühle des autarken Lebens gegenseitig auf. Es ist immer wieder der allerschlechteste Scherz der Musikgeschichte, wie hier Gehorsam auf Nonkonformität, Mutlosigkeit auf Courage, Einigkeit auf Einsamkeit heruntergebrochen wird. Zwischen Musik und Text arbeitet eine ganze Nivellierungsmaschine. "Du glaubst: Nicht jeder verdient, was er bekommt." Gut gebrüllt - letztlich bekommt aber auch Stürmer nur das, was sie verdient. Wie wir alle, übrigens.
Denn während Pöbel-Didi mutig fortfährt, Menschen, die viertel so alt sind, wie er selbst, mit Bannsprüchen zu belegen; während der werberelevante Marktanteil sich daran ergötzt, um hinterher ach so bitterlich zu beklagen, dass man schon wieder nur die immergleiche Scheißmusik kaufen muss; während die eine Hälfte meint, es sei ja bloß Unterhaltung, die andere Hälfte denkt, watt mutt, datt mutt, und sich die dritte Hälfte für pfiffikussig genug hält, um das Augenzwinkern im eigenen Konsumverhalten zu entdecken; während Revolverheld mit eisernem Willen beweisen, dass man es auch aus eigenem Ansporn heraus 150 Prozent schlechter machen kann - spielt Christina Stürmer musikgewordenes Achselzucken. Da macht man doch gerne mit.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tanz ohne Musik
Tracklist
- Das können wir sein
- In dieser Stadt
- Bleib hier
- Nicht mehr weit
- Ist mir egal
- Mehr als perfekt
- Im Kreis
- Dieser Tag
- Tanz ohne Musik
- Jetzt dank ich Dir
- Vielleicht
- Niemals hoffnungslos
- Du für mich
- Stille Helden
- Ein Leben lang
- Reiß das Radio auf/Entlaufende Hunde
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