
Peter Doherty - Grace/Wastelands
Parlophone / EMIVÖ: 13.03.2009
Rollendes R
Selbst kleine Veränderungen können einen großen Unterschied machen. Was wie einer der gut gemeinten Ratschläge aus Omas Abreiß-Hausfrauenkalender klingt, hatte für Pete Doherty wohl durchaus gewichtige Bedeutung. Sonst hätte der vermeintlich größte gerade noch lebende Rockstar unserer Zeit wohl nicht den eher unscheinbaren Buchstaben "r" bemüht, um einen Neuanfang zu demonstrieren. Heißt: Aus Pete wird - pünktlich zum kürzlich begangenen 30. Geburtstag - Peter. Ein Buchstabe, der viel ausdrücken soll. Vorbei also die Zeiten des Drogen-Pete, des ewigen Freigeists, des skandalträchtigen Rockers an der Seite eines dürren Supermodels? Vergessen all die Eskapaden, wie der Einbruch in die Wohnung seines Libertines-Kumpanen Carl Barât oder der Entzugsversuch in einem thailändischen Kloster? Erleben wir auf "Grace/Wastelands" nun also die Geburt von Peter Doherty, dem abgeklärten Rockstar, dessen einzige Droge fortan die Musik sein soll?
Zumindest eines lässt sich mit Gewissheit über sein Solodebüt sagen: die zwölf Songs, die Pete, äh ... Peter mit Produzent Stephen Street im Laufe des letzten Jahres aufgenommen hat, setzen die Entwicklung fort, die sich bereits auf dem letzten Babyshambles-Album "Shotter's nation" andeutete. Also: besser aufgenommene und ausgefeiltere Songs, die weitaus aufgeräumter wirken als das kaum gebändigte Chaos auf "Down in Albion". Dohertys Akustikgitarre und wie immer brüchige Stimme stehen klar im Mittelpunkt der zurückhaltenden Arrangements. Die Konzentration auf das Wesentliche ist aber offenbar nicht allein auf dem Mist des Protagonisten gewachsen - ein gewisser Graham Coxon könnte auch Einfluss darauf gehabt haben. "Graham hat an fast allen Songs mitgearbeitet. Er war wahrscheinlich öfter im Studio für das Album als ich selbst", schwärmt Doherty augenzwinkernd. Durchaus verständlich also, dass "Grace/Wastelands" stellenweise mehr nach Blur klingt als nach den Libertines.
Zudem bietet Doherty in den Songtexten soviel Angriffsfläche wie noch nie. Da wird verflossenen Liebschaften nachgeweint oder die gute alte Zeit heraufbeschworen. "Was it so long when we first hit the road? / I remember those earlier shows, when we used to go ... ba da da da", sinniert er im beschwingten "Sweet by and by". In "New love grows on trees" fragt ein verbitterter Doherty seine Ex, ob er sie denn wirklich umbringen soll, wenn sie 25 Jahre alt wird, wie sie ihm früher immer gesagt hat. Der dazu angeschlagene melancholische Grundton, den die schwelgerischen Streicher und Dohertys auf Moll gestimmte Klampfe erzeugen, wird auf Albumlänge nur gelegentlich unterbrochen. Zum Beispiel im munter hin und her hüpfenden Opener "Arcady". Oder im passend betitelten, bereits erwähnten "Sweet by and by", in dem ein Boogie-Woogie-Klavier und eine Trompete für standesgemäße Saloonatmosphäre sorgen.
Den schönsten Ausreißer bildet jedoch der Song "Sheepskin tear away", für den die schottische Singer/Songwriterin Dot Allison auf ein Duett vorbeischaut. Darf sie ja auch, schließlich hat die gute Dame das Lied mitkomponiert. Zu zweit erzeugen der geläuterte Doherty und Allison die beklemmendsten Momente des Albums. Gemeinsam mit der mächtigen Vorabsingle "Last of the English roses" bildet "Sheepskin" die Speerspitze eines Albums, das sein Potenzial leider nicht völlig ausschöpft. Denn so schön es auch ist, dem einstigen Pete und jetzigen Peter bei seinen persönlichen Liedern zuzuhören: etwas mehr Mut zum Experimentieren hätte "Grace/Wastelands" gewiss nicht geschadet. Trotzdem hinterlässt das Album einen positiven Eindruck - und weckt Neugier auf die nächste Babyshambles-Platte. Der ersten mit Peter Doherty an Gesang und Gitarre.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Last of the English roses
- Sweet by and by
- Sheepskin tear away
Tracklist
- Arcady
- Last of the English roses
- 1939 returning
- A little death around the eyes
- Salome
- I am the rain
- Sweet by and by
- Palace of bone
- Sheepskin tearaway
- Broken love song
- New love grows on trees
- Lady don't fall backwards
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