The Decemberists - The hazards of love

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 27.03.2009
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Jetzt erst recht

2005 standen über der Rezension zum vorletzten Decemberists-Album "Picaresque" die Worte "Circus" und "maximus", und wenn man jetzt so zurückblickt, sieht das natürlich gar nicht mehr gut aus. Diese Platte, das ist mittlerweile sicher, war höchstens der Anfang: Portlands fleißigste Drama-School-Studenten sind seitdem nochmals in die Breite gegangen wie eine frustrierte Weight-Watchers-Reisegruppe in Willy Wonkas Schokoladenfabrik. Selbst "The crane wife", die penible Nacherzählung eines japanischen Volksmärchens und endgültige Rockband-Verwandlung der Decemberists, muss im Nachhinein wie ein Zwischenschritt erscheinen; "The hazards of love" ist schließlich das Konzeptalbum, die Rockoper, das Indie-Musical und der Schwank, der aus dem Vollen schöpft. 17 zusammenhängende und fest verklebte Stücke in 60 Minuten, Leitmotive, Rückgriffe, Vorahnungen, verteilte Rollen, Themavariationen und ein gottverdammter Kinderchor.

Der ewig ambitionierte Colin Meloy hat sich all das so gedacht, aber den größten Spaß an "The hazards of love" hat vermutlich doch Decemberists-E-Gitarrist Chris Funk gehabt. Nachdem er schon auf "The crane wife" immer wieder entfesselt um sich schießen durfte, gibt es jetzt erst recht kein Halten mehr: Jedes zweite Riff hier scheint wie mit dem Fuchsschwanz gesägt, das Fingerpicking heftet sich selbstbewusst hinter Led Zeppelin (oder, zumindest in "Margaret in captivity", Bon Jovis "Wanted dead or alive"), und als Meloy erzählt hat, man wollte mit dem neuen Album eine Brücke vom Folk zum Metal bauen, haben das einige Leute sogar geglaubt. Dem handfesten Schweineorgel/Powerriff-Shootout von "The queen's rebuke/The crossing" fliegen dann auch schnell alle Sicherungen raus - und trotzdem spielen solche Eskapaden auf "The hazards of love" lediglich eine untergeordnete Rolle.

Hauptrollen in Meloys Geschichte gibt es dagegen für Margaret, das geplagte Heldenmädchen, ihren Liebhaber William, auch nicht besser dran, sowie einen verkorksten Nebenbuhler, eine Waldkönigin und ein in verschiedenen Gestalten auftretendes Monster, das - Spoiler-Alert! - Margaret letztlich zur Strecke bringen wird. Wie es für ihn typisch ist, macht es sich Meloy dabei nie einfach: Die Erzählung steht einerseits im Zentrum des Albums, wird andererseits aber selten konkret. In den vier Titelstücken von "The hazards of love" wird sie fokussiert, um dann wieder durch Interludes, dramatische Seitenhiebe und die allgemeine Gitarrengewalt zurückgedrängt zu werden. Das Bild bleibt deshalb verschwommen, die musikalisch gar nicht unzugängliche Platte rätselhaft.

Der gemeine Decemberists-Fan muss hier also einiges schlucken; schließlich ist da auch noch die neue Männlichkeit der Songs, die sich in krachledernen, etwas schwerfälligen Zwischenstücken wie "A bower scene" und der giftigen Percussion-Vermöblung von "The rake's song", aber auch im brillant aufgezogenen "The wanting comes in waves/Repaid" entlädt. Meloy und Shara Worden (My Brightest Diamond) verwickeln ihre Gesangsparts ineinander und brechen klassische Rollenverteilungen auf: Während er sanft und wehmütig bleibt, rockröhrt sie sich zu Funks Hardrock-Kaptriolen um Kopf und Kragen. Das Pompöse also kann auf dieser Platte funktionieren - und tut es auch in "The hazards of love 3 (Revenge!)", das sich anhört, als dirigiere John Cale einen besonders humorlosen Kinderchor.

Trotzdem fühlt man sich naturgemäß vor allem zu den Songs hingezogen, die auch ohne den Überbau funktionieren. "The hazards of love 2 (Wager all)" schwelgt in seiner Wiederentdeckung der einfühlsamen Decemberists-Gitarre, "Annan Water" löst seine beachtliche Körperspannung mit einem beinahe instrumentenlosen Refrain auf, und im letzten Song lässt sich die Platte schließlich sogar noch zum Country rüberschubsen. Meloy singt von seinem Lieblingsende, dem Tod durch Ertrinken, Slide-Gitarre und Banjo schlingern durch das Stück, und schließlich versinkt es als Stein am Bein seiner aufwärts strebenden Streicher. "These hazards of love / Nevermore will trouble us" - und The Decemberists halten solche Versprechen selbst noch auf ihrer ersten Platte für Fans von The Mars Volta.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The hazards of love 2 (Wager all)
  • The wanting comes in waves/Repaid
  • The queen's rebuke/The crossing
  • The hazards of love 3 (Revenge!)
  • The hazards of love 4 (The drowned)

Tracklist

  1. Prelude
  2. The hazards of love 1 (The prettiest whistles won't wrestle the thistles undone)
  3. A bower scene
  4. Won't want for love (Margaret in the Taiga)
  5. The hazards of love 2 (Wager all)
  6. The queen's approach
  7. Isn't it a lovely night
  8. The wanting comes in waves/Repaid
  9. An interlude
  10. The rake's song
  11. The abduction of Margaret
  12. The queen's rebuke/The crossing
  13. Annan Water
  14. Margaret in captivity
  15. The hazards of love 3 (Revenge!)
  16. The wanting comes in waves (Reprise)
  17. The hazards of love 4 (The drowned)
Gesamtspielzeit: 58:38 min

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