Geoff Berner - Klezmer mongrels

9pm / Indigo
VÖ: 24.10.2008
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Einen Whiskey für den Rabbi

Manchmal ist das Akkordeon das grässlichste Instrument der Welt. Wer Beispiele braucht, kann das grenzdebile Elend watteweicher Heimatverklärung im Wochenrhythmus bei Florian Silbereisen erleben, wenn wieder ein dauergrinsender Lederhosen-Alois seiner Quetschkommode erschütternd einfältige Melodien entlockt. In den Händen von Geoff Berner aber klingt das Akkordeon so, als wollte der jüdische Singer/Songwriter aus dem kanadischen Vancouver die Jahrhunderte alte Geschichte seines Volkes aus den Falten des Instruments pressen. Seine Interpretation von Klezmer, der jüdischen Volksmusiktradition Osteuropas, verbindet das musikalische Vermächtnis zwischen Klagelied und Festtagsmusik mit einer aufrechten Punkattitüde, die in den Songs das Politische, Schmutzige, Betrunkene, kurz: das Lebendige und Leidenschaftliche überdeutlich zu Tage fördert.

Bis ins ländliche Rumänien ist der selbst ernannte "Whiskey rabbi" (so der Titel seines zweiten Studioalbums) im Jahr 2004 gereist, um die Wurzeln dieser alten und von den Nazis beinahe ausgelöschten Klänge zu ergründen. Gefunden hat er viel: alte Klezmorim-Meister, ihre Musik und ihre Geschichten, die er auch auf dem dritten Teil seiner Klezmer-Trilogie "Klezmer mongrels" erneut brillant zu erzählen vermag. Jeder Song ist dabei im Wortsinn ein "mongrel", ein Bastard: Weil ihn die künstlerischen Monokulturen langweilen, pflegt Berner in seinen Stücken die Mehrdeutigkeit. Die Texte schwanken zwischen bissiger Ironie und ernstem politischen Statement, schwere Melancholie und ausufernder Lebenslust stehen nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt. Linkisch zwinkern die Songs und geben sich plötzlich doch ganz geradlinig - und meistens geschieht all das zur selben Zeit.

"All the suffering / All the suffering / All the suffering in the world / Shouldn't make you think that coming out to drink with me is wrong" - schon die ersten Zeilen des Albums fangen viel von seiner Essenz ein. "Shut in", "Luck in exile" oder "The whiskey" sind jedoch viel mehr als profane Trink-Kumpane. Die feinen Zwischentöne offenbaren ein tief gehendes Bewusstsein für die jüdische Seele ebenso wie für die Tradition des Storytellings - und für herrlich absurden Humor, wie im volksmusikalisch anmutenden "Half german girlfriend", wo Berner das nazistische Rassendenken mit sarkastischer Fröhlichkeit umkehrt, oder in "Authentic Klezmer wedding band", dessen überdrehte Hochzeitskapelle den Hörer mit seiner oberflächlichen Konsumhaltung konfrontiert: "We know how you like your world music / Mysterious and vaguely erotic". Im Schlussakt "Fukher" lacht sich Berner dann beinahe selbst über seinen überstrapazierten jiddischen Wortwitz kaputt.

"Klezmer mongrels" leistet unglaublich viel: Das Album nimmt Teil an der Wiedererweckung eines beinahe verschwundenen musikalischen Erbes, es erzählt Geschichten zum Mitfiebern, Mitleiden und Mitfeiern, und es begeistert durch seine Leichtigkeit, mit der es trotz der puristischen Ausstattung von Akkordeon, Violine und Perkussion unglaublich viel Lebendigkeit und Authentizität verströmt. Kaum begreifbar, dass der Mann bei soviel Talent trotz Supporttouren für Kaizers Orchestra und Billy Bragg hierzulande immer noch so gut wie unbekannt ist. Denn im konkreten Fall gibt es keinen Zweifel: Dieses Akkordeon ist schweinecool.

(Dennis Drögemüller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Luck in exile
  • King of the gansters
  • Authentic Klezmer wedding band
  • One shoe

Tracklist

  1. Shut in
  2. Luck in exile
  3. The whiskey
  4. Half german girlfriend
  5. King of the gangsters
  6. No tabacco
  7. Play, gypsy, play
  8. Authentic Klezmer wedding band
  9. One shoe
  10. High ground
  11. Fukher
Gesamtspielzeit: 41:56 min

Im Forum kommentieren

logan

2008-11-21 10:01:47

Akkordeon, Folk-Crossover, Klezmer, spärliche Instrumentierung, seelenvolle Musik? Liest sich gut, da wird beizeiten reingelauscht.

Meister Rudi

2008-11-20 01:27:29

Nur um was zum eigentlichen Thema zu sagen:

Hab Geoff Berner bis vor kurzem auch nicht gekannt, war dann aber auf einem Konzert von ihm: Wahnsinn! Er allein mit seinem Akkordeon und Hochprozentigem...Tolle One Man Show (ohne irgendwelche Effekte ;-)
Textlich teilweise rabenschwarzer "Humor" (Zynismus trifft es eher), wunderbar vorgetragen.

Mendigo

2008-11-19 21:23:36

hm, werd wohl selber mal einen vergleich ziehen, interessiert gemacht hat mich die rezension auf jeden fall.

Dennis D.

2008-11-19 21:09:49

@Mendigo: Ich kenne die Sachen von Masada nur sehr flüchtig, aber ich würde sagen, John Zorn ist sehr viel jazziger und swingiger unterwegs als Berner mit seiner puristischen Instrumentierung.

Mendigo

2008-11-19 20:10:54

wie zur hölle kommt es eigentlich, dass das erste (irgendwie skurile) Posting zu diesem album von vor über 2 Jahren ist?!?

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