The Verve - Forth
Virgin / EMIVÖ: 22.08.2008
Nimmersatt
Sterbende Frösche? Misshandelte Rattenmonster? Südamerikanische Breitschwanzraupen? Es bleibt ein Rätsel, was da fast fünf Minuten ununterbrochen jault, kreischt, quakt und quietscht - in "Love is noise", der katastrophalen erste Single aus "Forth". Selbst auf selbstironischer Basis funktioniert dieses nervtötende Etwas nicht, das begleitet wird von verqueren Keyboards, die sich erst mit der Zeit mit dem restlichen Instrumentarium vertragen und Stück für Stück in einen arg geleckten Richard-Ashcroft-Standard-Rhythmus mit wohl bekannter Sprachmelodie münden. Die vielen Missstände werden, fast wie erwartet, überdeckt von epischem Tamtam und überzogenen wie ziellosen Umschwüngen.
Und damit sind wir auch schon angekommen, bei den vielen mitschwingenden Vorbehalten zum vierten Album der nordenglischen Band um ihren Bandleader Richard Ashcroft, in dem alle Vorsicht begründet liegt. Denn jener Musiker, der sich nach dem Split der damaligen Fünf-Mann-Combo im April 1999 auf Solopfade begab und drei Alben unter eigenem Namen veröffentlichte, befindet sich seit der Trennung auf stetiger Talfahrt. Ein paar amüsierende Hits fand man zwischen den Zeilen von "Alone with everybody", bevor diese aufquollen in überzuckriger Eingängigkeit, lyrischer Selbstverliebtheit und belangloser Massenverträglichkeit und die letzten zwei Wortmeldungen "Human conditions" und "Keys to the world" unter sich begruben. Kann man solche Tiefpunkte einfach so mit einer Reunion wegwischen?
Ein ambivalentes Gefühl greift also um sich, anlässlich dieser unglücklichen Umstände der letzten Jahre und Wochen, im direkten Vergleich mit den Großtaten im letzten Jahrzent, als The Verve 1993 mit "A storm in heaven" ein bedächtiges neo-psychdelisches Leuchtfeuer entfachten, das vom ebenso grandiosen "Urban hymns" auf ewig verdeckt zu sein scheint. Doch das sind weitaus unwichtige Ungereimtheiten, vergleicht man sie mit den Problemen, die sich auf "Forth" darbieten. Um sich diesen bewusst zu werden, höre man "Noise epic". Nicht nur der Titel strotzt vor Selbstüberschätzung. Die Linie der Bassgitarre pulsiert. Man impliziert den Minimalismus von Can und Konsorten gekonnt. Ashcroft nuschelt Pathetisches wie Kryptisches. Der substanzielle Abfall erfolgt mit jeder neuen Schicht, die einem unnötigen Wall an Sound zuträglich wird. Die schlussendliche Aggressionsbewältigung ist dabei nicht das einzige, was auf "Forth" kalkuliert wirkt.
The Verve suchen ihren künstlerischen Anspruch in Songs zwischen fünfeinhalb und acht Minuten und verfallen allzu oft der Künstlichkeit, indem sie immer wieder mit einer nicht wirklich fundiert dargebotenen Strukturlosigkeit und kühlen Eleganz liebäugeln und den Faden verlieren. So verfällt das gefällige und schlichtweg langweilige Schlussstück "Appalachian springs" planlosen Gitarrenimpressionen. Ähnlich "Judas", das ebenso trivialem Northern Soul auferlegt ist und mit einem jaulenden Ashcroft dann doch irgendwann sein Ende findet. Gebundener an Note und Takt ist "I see houses", dessen melodiesuchender Refrain mit grausigen Orchesterarrangements aufwartet und mit einem sich aufplusternden Ashcroft ohne Feingefühl. Das ebenso großspurige "Rather be" bleibt in seiner Bombastklasse ein besseres Beispiel.
Ein Fass ohne Boden stellt, bis auf das unsägliche "Love is noise", keine der auf "Forth" versammelten Nummern dar. Es ist einfach nur der Vergleich mit der glorreichen Vergangenheit unter der Flagge The Verve, der dieses insgesamt durchschnittliche Album zu einer riesigen Enttäuschung macht. "Forth" lässt den Hörer das Früher zurück wünschen und vor allem das Weniger: weniger Aufeinanderschichten von viel zu vielen blass gebliebenen Ideen. Weniger auf Breitwand getrimmtes Instrumentarium und Soundgemenge, das jeglichen Tiefgang früherer Zeiten umschifft. Und auch weniger Ashcroft, dessen übertriebens Pathos und fehlendes Zartgefühl in Text und Stimme vor allem in "Columbo" überstrapaziert wird. Erfüllt hat diese Wünsche allein das an Codeine erinnernde "Numbness", das auf wesentliche Komponenten reduziert ist. Und trotz dieses aufhellenden Moments bleibt letztlich der Gedanke, dass Ashcroft auch in alter Begleitung seinen Standort im Tal der Unerheblichkeit und Irrelevanz beibehält. Selbst zum Verteufeln ist "Forth" zu harmlos und mittelmäßig. Vergleiche an bessere Zeiten hin oder her.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Numbness
Tracklist
- Sit and wonder
- Love is noise
- Rather be
- Judas
- Numbness
- I see houses
- Noise epic
- Valium skies
- Columbo
- Appalachian springs
Im Forum kommentieren
joseon
2024-08-28 14:13:13
Forth ist auch super gealtert.
Absolut! Lief hier vorhin nach Ewigkeiten wieder und bleibt jetzt mal in rotation. Hoffe auch weiterhin, dass da irgendwann eine Deluxe Ausgabe mit reichlich Bonusmaterial kommt. Würde ich schon allein für "Blue Pacific Ocean" in guter Qualität kaufen.
Pluspuls
2024-02-12 16:30:12
The Verve - Blue Pacific Ocean
https://www.youtube.com/watch?v=sUmTCHl4EGo
Was ein Hammer-Song. Leider immer noch nicht offiziell veröffentlicht.
(Hab für mich entschieden, dass ich trotz der BDS-Scheiße nicht auf The Verve verzichten möchte)
Forth ist auch super gealtert.
Felix H
2022-11-13 22:12:04
Würde ich da auch nicht draus rauslesen. Ganz abgesehen davon, dass es für meine Freude am Album völlig irrelevant wäre.
Watchful_Eye
2022-11-13 21:31:40
Dass "The Verve selbst zugeben, dass es nur ein Projekt fürs Geld war", ist eine sehr eigenwillige Interpretation dieser Wiki-Aussage.
Z4
2022-11-13 20:30:17
Von Wiki:
"Richard Ashcroft selbst beschrieb das Album im Nachgang als nostalgisches Unterfangen, aus dem er kaum Potential für neue Entwicklungen gewinnen konnte[4]. Simon Jones (Bassist) warf Ashcroft daraufhin vor, mit der Reunion lediglich seine ins Stocken geratene Solokarriere befeuert haben zu wollen[5]."
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