Kolkhorst - Wir bleiben alle

Tapete / Indigo
VÖ: 05.09.2008
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Der Klassenkämpfer

Kai Uwe Kolkhorst ist einer von uns. Einer von denen, die das gesellschaftliche und politische System von unten betrachten und dabei erkennen, welche Auswirkungen die Zwänge und Zustände auf den "kleinen Mann" haben. Um seine Beobachtungen zu machen, musste Kolkhorst gar nicht weit ins Feld hinaus, sondern nur sich selber, seine Freunde und die Saufkumpanen aus der Spelunke am Eck beäugen.

Kolkhorsts großes Thema auf seinem dritten Soloalbum "Wir bleiben alle" sind die zusammengepferchten Menschen in den modernen großstädtischen Wohnsiedlungen, die in der Anonymität des World Wide Web ("Osterei") nach einem Wunder suchen ("Eine ganze Welt"), anstatt nach draußen auf die Straße zu gehen und zu zeigen, was ihnen stinkt. Jeder stirbt für sich allein. Kolkhorst stellt zu einer gespenstischen Synthiefläche "Jeder rennt umher / Keiner merkt den Anderen mehr" fest, und ist dabei ein findiger Beobachter des menschlichen Miteinanders, der Leute aus eben jener Kneipe. Einer, der die Probleme von Hartz IV und die Auswirkungen der Unterschichtenproblematik auf das Sozialgefüge und die Kinder, die ohne Chance aufwachsen, erkennt. Er frisst es in sich rein und kotzt es wieder aus, ob der Lethargie und Kraftlosigkeit der sozialen Gruppen, die von einem wirtschaftlichen Aufschwung rein gar nichts mitbekommen und von einem Aufstieg nur träumen können. Bei einem Frischgezapften natürlich.

Seine düsteren Spelunkenparolen hat Kolkhorst in verspielte Elektropop-Tüfteleien verpackt, die mal tief in den Achtzigern verwurzelt sind und seine Liebe zu Falco und der Neuen Deutschen Welle offenbaren, manchmal, wie in "Osterei" und "Nichts aus mir gemacht", aber auch mit dem aggressiven Neunziger-Elektropunk der Sorte Atari Teenage Riot kokettieren. Nur einmal, ganz am Ende, lässt Kolkhorst den Romantiker heraushängen, begibt sich in die Nähe des Labelkollegen Niels Frevert und mimt zu einem verträumten Beat den sehnsüchtigen Chanteur de charme.

So ist denn auch das Einzige, was Kolkhorst noch erretten mag in diesem System aus Hürden und Ungerechtigkeiten: die Liebe, was sonst? Denn "So lang' die Sonne" immer wieder aufgeht und Damen wie Victoria oder Laura, das sehr patente und noch hübschere Barmädchen aus der Eckkneipe, durch sein Leben huschen und zumindest in seinen Träumen neben ihm einschlafen und aufwachen, gibt es einen triftigen Grund um weiterzumachen. Menschen wie Kolkhorst, Menschen wie wir, sind nicht so einfach klein zu bekommen. Denn ganz am Ende sind ja doch alle gleich.

(Kai Wehmeier)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Osterei
  • Wir kennen das Spiel
  • Dieser Traum

Tracklist

  1. Der Start ist nicht das Ziel
  2. Osterei
  3. Eine ganze Welt
  4. Laura
  5. Wir kennen das Spiel
  6. Intercity boy
  7. Victoria
  8. Jeder rennt umher
  9. So lang' die Sonne
  10. Nichts aus mir gemacht
  11. Dieser Traum
Gesamtspielzeit: 31:05 min

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  • Kolkhorst (1 Beiträge / Letzter am 02.07.2013 - 13:55 Uhr)