Alexander Marcus - Electrolore
Kontor / EdelVÖ: 06.06.2008
Der Zapfenstreich
Da hat ja mal einer richtig nachgedacht: Eine zerschwurbelte Biographie zwischen Volkstanzgruppe, New Yorker Bäckerladen, Tennisplatz und Altenpflege; Kompositionen zwischen Schuhplattler, Techno und Schlager; das Ganze aufgeblasen zu einer Kunstfigur, die ihr angebliches Alter Ego bloß aus Blog-Recherchen kennt - und sich via Youtube nicht nur zum Golf-II-Horst, sondern gleich auch noch zum Bundes-Köhler macht. Wem das zu dick aufgetragen ist, der wird auch Alexander Marcus' "Electrolore" nicht viel abgewinnen können. Zu blasiert und doch hyperkonsequent bewegt sie sich am medialen Puls der Zeit. Marcus umschifft dabei allerdings das unfreiwillig Komische ebenso wie die schnöde Parodie. Und erreicht in der Tat eine Eigenständigkeit und Emanzipation, die die einschlägigen Volxsatiriker erst einmal anpeilen müssten.
"Electrolore" kennt jedenfalls keinen Grund, die altbekannten Prozessionen spießbürgerlicher Schunkeligkeit großspurig zum Abschuss freizugeben. Stattdessen geht Marcus - zumindest musikalisch - mit großem Ernst an seine Sache. Das schützt seine Lieder nicht nur vor einer nach dem einfachsten Opfer suchenden Krypto-Ironisierung, sondern es setzt der Ironie-2.0-Gesellschaft gleich noch kräftig eins vor den lalalallenden Bug. Letztlich ist "Electrolore" nämlich eine Mogelpackung: Ein echtes Mischfeld aus Electro und Folklore erkennt man nur mit äußerstem Augenzwinkern zu tiefster Nachtblindheit. Ebenso halbseidenes Werbebanner wie die Kunstfigur selbst wird der Schlagertotschläger lediglich in den Texten geschwungen. Die Youtube-Hits "Papaya" oder "Ciao, ciao bella" schmiegen sich hingegen zu ihren Mr.-Oizo-Bassmassagen, eFunk-Synthies und House-Beats mehr als passgenau. Wo vor allem diese ausgewiesenen Schmuckstücke des Albums mächtig von unten drücken und ihre tausendprozentige Clubtauglichkeit beweisen, zapfen Tracks wie "Guten Morgen" oder "Herzlichen Glückwunsch" mindestens ebenso hochprozentigen Bierbank-Kokolores. Dennoch entsteht der vollmundig versprochene Clash letztlich eher aus der musikalischen Ernsthaftigkeit und dem textlichen Runtertickern auf der Lebensuhr mentaler Unversehrtheit. Ein Ineinanderpoltern zweier entgegengesetzter Haltungen, das in den guten Momenten zwischen Marcus' schiefem Grinsen, Laienschauspiel und Tanzeinlagen aufgefangen wird.
Wenn dann auf der nächsten Schlager-Sause von angehenden Sozialwissenschaftlern im Hier-Marschieren-Wir-Takt "Schwarz-Rot-Gold / Das sind unsere Farben / Der Wagen rollt" skandiert wird, ist das zu mindestens gleichen Teilen die Verschiebung von reaktionärem Bockmist in die Randzonen der Gesellschaft, wie an und für sich entlarvend, spöttisch und der Finger in der richtigen Wunde. Ohne die felsenfeste Grundsicherung durch linke Szenegesten wird hingegen alles, was zwischen Hamburg und Berlin Rang und Namen hat, wegen des EM-Hymnen-Potentials von "1,2,3" oder "Spiel, Satz und Sieg" furchtbar angepisst sein. Kein Wunder, denn den selbstironischen Ansatz hat es hier ja ohnehin nie gegeben. Das allerdings ist eine Pfründe- und Credibility-Rechnung, die Marcus' Ansatz ihrerseits reaktionär hinterherhinkt. Der zielt zwar ebenso auf die alkoholenthemmten Studi-Parties wie auf Ibiza-Gaga und Mutantenstadl - allereinfachste Abgrenzung ist hier dennoch nicht das Thema. Was Thema ist, geht nicht immer wirklich gut. Aber es setzt sich aus. Es versucht mal was. Warum, zur Höllehöllehölle, eigentlich nicht?
Highlights & Tracklist
Highlights
- 1,2,3
- Ciao, ciao bella
Tracklist
- Spiel, Satz und Sieg
- Toni, der Rodelkönig
- Guten Morgen
- Das sind meine Freunde
- Brüderchen
- 1,2,3
- Papaya
- Alles Gute
- Daheim
- Ciao, ciao bella
- Romeo
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