My Morning Jacket - Evil urges

Rough Trade / Beggars / Rough Trade
VÖ: 06.06.2008
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Schwer verdächtig

Als Jim James vor vielen Jahren auf dem Dachboden seines Elternhauses einen ausgebleichten, löchrigen Pyjama fand, war seine Zukunftsplanung geritzt: My Morning Jacket, ein Gedicht von einem Bandnamen. Zehn Jahre und stolze vier Studioalben später ist der Name Synonym für hochklassiges, zeitloses Songwriting und Sinnbild für die Arbeitsweise des Quintetts aus Kentucky: Kaum im Bauch, schon am Abzug. Das fünfte Album "Evil urges" vollzieht nun den Bruch, der sich auf "Z" schon angebahnt hatte. Und unterstreicht ihn mit einer spontanen geografischen Umorientierung.

So war die Flucht vom Ufer des Mississippi ins quirlige New York von kurzer Hand geplant. Die Metropole tat dann auch pflichtbewusst ihren Teil: My Morning Jacket ließen sich vom Überschwang, der Hektik, den kulturellen Verschmelzungen treiben und ihre Eindrücke in die Songs auf "Evil urges" einfließen. Man hört das in einer waghalsigen Prince-Hommage, angetäuschten Feuerzeugballaden oder einem debilen Discofox-Rhythmus. "Städtisch" ist das natürlich noch lange nicht - unter den ranzigen Gestank des unberührten Sumpfes mischt sich aber zumindest eine sanfte Note Hugo Boss.

Man höre und staune über das weit über das Ziel hinaus schießende "Highly suspicious", das Prince die Stimmbänder verknotet und zur allgemeinen Erschütterung dem wirren, hysterischen, grausamen Lachen von Pink Floyds "Brain damage" neues Leben einhaucht. Diesen kurzen, gefrorenen Schockzustand muss man sich schon gönnen; er ist My Morning Jackets Formvollendung des herumirrenden Souls. Und schon wird klar: ist alles nur Spaß. Fast hätten sie uns drangekriegt. Spätestens das Neil-Young-Solo in "I'm amazed" löst die Starre aber wieder. Es musste ja so kommen.

Doch bevor sich einem bei dieser niederträchtigen Attacke auf den Ironienerv der Backenbart kräuselt, ist festzustellen: Nach der geschlossenen Gesellschaft von "Z" und dem verruchten Live-Meisterwerk "Okonokos" mussten sich die Waldmänner einiges einfallen lassen, um dieser Perfektion der Homogenität einen satten Schlag zu verpassen. Da wäre das linkische, sagenhafte Mysterium "Smokin' from shootin'", das ab jetzt zu den definitiven Höhepunkten des Schaffens von My Morning Jacket zählt. Und da wäre auch das grandiose Klammer-Opus aus Teil eins und zwei von "Touch me I'm going to scream", das gleich die ganze Platte eine Etage tiefer legt. Endlos ergründbar.

Mit "Sec walkin'" und "Librarian" gibt es zwar einen Exkurs ins bandeigene Archiv, der dem erstaunlichen Americana-Rundumschlag von "It still moves" Tribut zollt. Der Rest bleibt jedoch am heraufbeschworenen Sound von "Z" haften, verfeinert diesen mit angekratzter Tanzbarkeit, hat einmal mehr ein bisschen Soul unter der Knopfleiste des Holzfällerhemds versteckt und Gott sei Dank noch immer ein Händchen für die tollsten Gitarrenfiguren, seit David Gilmour aufgehört hat, kreativ zu sein. My Morning Jacket bleiben ein Geschenk für die Ohren. Und auch als Teilzeit-New-Yorker ein Aushängeschild für den musikalischen Standort der amerikanischen Provinz.

(Christian Preußer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Two halves
  • Smokin' from shootin'
  • Touch me I'm going to scream pt. 2

Tracklist

  1. Evil urges
  2. Touch me I'm going to scream pt. 1
  3. Highly suspicious
  4. I'm amazed
  5. Thank you too!
  6. Sec walkin
  7. Two halves
  8. Librarian
  9. Look at you
  10. Aluminum park
  11. Remnants
  12. Smokin' from shootin'
  13. Touch me I'm going to scream pt. 2
  14. Good intentions
Gesamtspielzeit: 55:51 min

Im Forum kommentieren

BillyBremner

2008-06-09 01:51:15

höre es gerade zum ersten mal ... & die Band hat es schon wieder nicht geschafft ihre Live Energie auf einer Platte zu bringen. zu schade ...

Aua

2008-06-06 16:04:13

Heute das Album bekommen, das tut ja teilweise regelrecht weh! Experimentierfreude hin oder her, hiermit haben sie die Herren defenitiv keinen Gefallen getan. Wenn mich nicht noch der Blitz trifft wird das definitiv DIE Plattenenttäuschung des Jahres 2008. Hoffe nur die Evil Urges-Songs halten sich bei der kommenden Tour dezent im Hintergrund, kaum vorzustellen was dafür evt. dem Rotstift weichen müsste.

chucky

2008-06-06 11:46:10

Also die Band hat diesen Stilwechsel auf jeden Fall sehr viel besser gemacht, als die Guillemots! Höre grad Highly Suspicious, das ist einfach so grenzdebil und trotzdem hab ich dieses Jahr wenige Songs gehört, die mehr Spaß machen.

caiman

2008-06-04 14:52:54

wenn ich schätzen müsste stimme ich ihm so 7 von 10 mal zu ;-)

so haben z.b die letzten cds von portishead oder arcade fire die richtige wertung erhalten (10/10), die ich hier auch gern gesehn hätte.

Wiggy

2008-06-04 14:39:10

Ich les ihn (fast immer) in erster Linie um zu sehen welche Alben er sich rauspickt. In seiner Bewertung stimm ich ca. in 2 von 10 Fällen mit ihm überein (zuletzten bei den Springsteen Japan-Editionen). Aber oft kann ich nur den Kopf schütteln.

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