Tindersticks - The hungry saw
Beggars Banquet / IndigoVÖ: 25.04.2008
Die Selbstfindung
Rückblende: 1999 erschien "Simple pleasure", das vierte Album der Tindersticks. Ein Schlag, wie eine Faust im Gesicht. Nach drei wahrlich unbeschreiblich großen Alben, die für die Neunziger ein Grund waren, nicht in sich zusammen zu brechen, präsentierte sich die Band in einem neuen Licht. Ein übergrelles Licht, das weichgezeichneter nicht hätte sein können. Süßlicher Soul, völlig verkitschte Melodien und eine unpassende, aufdringliche Erotik nahm man vollkommen paralysiert wahr.
Entwicklungen und Lernprozesse führen leider nicht immer zu gewünschten Ergebnissen. Auch der Nachfolger "Can our love..." meinte es nicht allzu gut mit den verwöhnten Fans. Zwar versuchten die Tindersticks, ihren standardisierten Schwermut wieder einzuflechten und das erschlagende Sommergelb gegen herbstliche, erdige Farbtöne auszutauschen, doch noch immer dominierte ein Hang zum schwarzen, aufgeplusterten Soul, der den weißen Engländern um Frontmann Stuart Staples nicht wirklich gut zu Gesicht stand. Nach dem nicht überall erkannten Lichtblick "Waiting for the moon", anschließenden fünf Jahren Pause und allerlei Soloaktivitäten standen die Tindersticks am Scheideweg. Nicht alle sechs Urmitglieder wollten weitergehen, so dass sich auf dem siebten Album der Combo nur noch die Hälfte der Musiker wiederfindet. Die Konsequenzen, die die Band gezogen hat, sind die richtigen.
Die Reaktivierung alter Stärken. Der Sound, die Stimmlage, die Lyrics sind wieder blasser, nachdenklicher und verträumter. Nicht immer gelingt sie jedoch auf Anhieb, die gewünschte Subtilität. Zu roh scheint mancher Augenblick in Szene gesetzt zu werden, wie beispielsweise der Start des Titelsongs, der Erinnerungen an das selbstbetitelte, erste Album suggerieren soll, das anno 1993 mit minimaler Produktion auf Tonträger gebannt wurde. Doch es wäre mehr als kleinkariert, sich an solch minimalen Nichtigkeiten festzuhalten, die erst nach und nach um Entfaltung bitten. Zu erstaunlich ist dann ein Song wie "Mother dear", der sich vollkommen des Souleinflusses entledigt hat. Eine Unheil verkündende Orgel bahnt sich lethargisch den Weg durch erdrückende, karge Gegebenheiten, um immer wieder von einer beißenden, freiheitlich agierenden Gitarre gebissen zu werden. Zuletzt öffnet sich Tür und Tor. Violinen fluten das dunkle Innere. Staples singt so zärtlich wie lange nicht mehr. Auch das anschließende "Boobar come back to me" stützt sich auf ein zartbesaitetes Gitarrenspiel, das viel zu lange unter Verschluss geblieben ist, um schwülen Arrangements zu weichen.
Man hat es nicht mehr für möglich gehalten: dass sich die Tindersticks nach langer Zeit wieder in aller Reinheit öffnen, ohne mit fremder Attitüde Verstecken zu spielen. So braucht es seine Zeit, das Fehlen von großproportionierten Arrangements zu begreifen und dem kammermusikalischen, stark reduzierten Weg die Chance zu geben, den er verdient hat. "All the love", die wohl schönste, dem Stillstand verfallene Miniatur seit elf Jahren, dürfte den Prozess der Gewöhnung beschleunigen. So auch "The flicker of a little girl", eine schnell instrumentierte, süßlich-kindliche Ballade mit feinfühliger Introspektion. "The hungry saw" ist kein Nachspielen zurückliegender Meilensteine. Stattdessen filtern die Tindersticks die spielerischen Elemente, die sie auch heute wieder auf den Punkt genau beherrschen. So können alte Wunden heilen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The flicker of a little girl
- Mother dear
- All the love
Tracklist
- Introduction
- Yesterdays tomorrows
- The flicker of a little girl
- Come feel the sun
- E-type
- The other side of the world
- The organist entertains
- The hungry saw
- Mother dear
- Boobar come back to me
- All the love
- The turns we took
Im Forum kommentieren
stativision
2011-05-25 17:36:21
keine ahnung. jedenfalls hab ich die cd vorher einfach nicht gehört.
IFart
2011-05-25 17:34:03
ähm, war deine Internetverbindung schlecht oder kommt der Beitrag nur so dreieinhalb Jahre zu spät?
stativision
2011-05-25 17:19:22
endlich mal wieder ein sehr gutes album der tindersticks.
roy
2008-11-08 16:17:06
Aus wirklich schön mache ich gerne auch wunderschön. 9/10 nach sehr, sehr langem hören!
hermit
2008-05-03 21:11:45
Wirklich schönes Album. Hatte der Band nicht mehr viel zugetraut, aber die Songs sind fast alle absolut schlüssig und wunderschön instrumentiert.
Da ich nicht alle Alben der Tindersticks kenne, spare ich mir einen Kommentar zur qualitativen Einordnung. Fest steht: 8/10
Meine Highlights sind aber andere als die von Herrn Wollmann. Zu nennen wären da: "Come Feel The Sun", "The Other Side Of The World" und "The Turns We Took". Das sind aber nur drei Songs aus einem ganzen Bündel großartiger Momente. Bin begeistert.
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