Stephen Malkmus & The Jicks - Real emotional trash

Domino / Indigo
VÖ: 07.03.2008
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Don't look back

Acht Jahre können eine verdammt lange Zeit sein. Im Falle derer, die Pavement in ihrem Langzeitgedächtnis noch auf den Bühnen musizieren hören, ihnen hinterherjubeln und den letzten Auftritt in der Londoner Brixton Academy verstreichen sehen, sind acht Jahre kein wirklicher Zeitraum. Ein Wimpernschlag, ein Augenblick. Genauer gesagt: drei Augenblicke, drei Mal Augen auf und zu. Gemessen wird die langsam verstreichende Spanne des Wartens und Ruhens an den Soloalben von Stephen Malkmus. Was dazwischen passiert ist: Ein paar Meisterwerke hier und da. Aber was ist das schon im Vergleich zu Pavement? Bevor nun aber zum vierten Mal das Tageslicht die inneren Organe durchflutet, der Sandmännchensand aus den Augen gekratzt und "Real emotional trash" den Plattenhändlern vorgelegt wird, streuen wissende Kritiker und die Beinharten unter den Fans an allen Ecken und Enden die immergleiche Frage: Wieviel Pavement steckt eigentlich im Malkmusschen Soloakt Nr. 4?

Die Frage, die keine ist, wird gleich auf dem Silbertablett mitgeliefert: "So viel wie nie zuvor!" Oder so ähnlich. Man kann es sich aussuchen. Acht Jahre können eine verdammt lange Zeit sein. Manch einer hat sie mit solchen Frage-und-Antwort-Spielchen anscheinend verschlafen. So hörten wir bisher Schönes wie Experimentelles vom frischgebackenen Vater Malkmus. Zuletzt "Face the truth", seine eigentliche Solonummer. Verspielter denn je, im hauseigenen Keller zusammengebastelt, die eigenen Grenzen auslotend und seine eigene Nische festigend. "Real emotional trash" beendet die Suche nach den Grenzen, nach den Vorlieben und einem festen Bandzusammenschluss. Die Jicks sind zurück! Mit Janet Weiss von Sleater-Kinney und Quasi fand sich eine begnadete neue Drummerin, die neben Bassistin Joanna Bolme die zweite weibliche Musikerin im Bunde ist. Malkmus allein unter Frauen? Genutzt hat es vieles. Am meisten dem bisher aufregendsten, dichtesten und besten Album, das Malkmus nach dem Pavement-Split vorgelegt hat.

Einfach und berechenbar wird er mit dieser Ankündigung aber trotzdem nicht. Seine Acid-Prog-Folk-Leidenschaft steigt anno 2008 gar in ungeahnte Höhen. "Hopscotch Willie" ist das beste Beispiel. So wechselt der Song von rhytmisch abgehackten Wortspielen zum kraftvollen Refrain, untermalt von psychedelischen Orgeln, die sich langsam in ihrem Mantra verlieren. Mit ungewohnter Härte schlägt Malkmus' Gitarrensolo in den Moment der Leere und verlangt für den Bruchteil von Sekunden nach Schimpfwörtern wie "Gegniedel". Doch es ist die oben angesprochene persönliche Modifikation seiner Leidenschaften, die diesen Schimpfwörtern den Garaus machen und jeden Song über eine glasklare Eintütung erheben. Die einzigartige Verbindung von Disharmonie und Harmonie im gleichen Moment. Der süßliche Tusch der Backingband, wenn die Saiten unbarmherzig zu beben beginnen. Der komödiantische, assoziative Schlenker hin zum Call-and-Response-Singalong, der Malkmus' bewundernswerteste Eigenschaften, seine spontanen Energien und liebevollen Gedankenblitze, wieder ins rechte Licht rückt. Natürlich nicht ohne eine Band, die sich diesem Prinzip unterordnen und ebenso schlagfertig agieren kann.

Die Vielzahl der Prunkstücke, die sich auf "Real emotional trash" vereinen, spricht dafür, dass Malkmus den gewünschten festen Halt hinter sich gefunden hat. Man höre sich satt am satten break in "Baltimore", der von bunt bebilderten Auswüchsen zu stoischem Garagerock reicht und langsam dazu übergeht, dem über die Jahre gewachsenen Vorbild Jimi Hendrix ein Denkmal zu setzen. "Out of reaches" beginnt unaufgeregt, steigert sich dann in einen fabelhaften Refrain, dessen losgelöstes Ende mit dem eigenen Fleisch und Blut zu füllen ist. "We can't help you" ergießt sich bissig und träumerisch über die Antworten suchende Hörerschaft: "There's the sky above for you to cry into / We can't help you." Mit über zehn Minuten glänzt der Titelsong in vielfarbigen Versatzstücken. Schlurfend und in sich gekehrt, geht es über den brachialen und ausufernden Umweg zur, ja, tanzbaren Uptempo-Rock'n'roll-Nummer. Es ist letztlich die feurig und unbeschreiblich zu Herzen gehende Jam-Session "Elmo Delmo", die "Real emotional trash" die Krone aufsetzt und einem schlichtweg den Atem verschlägt. Acht Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Aber wieso immer nach hinten schauen? Dank "Real emotional trash" kann die Vergangenheit jetzt endlich mal zur Ruhe kommen.

(Markus Wollmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hopscotch Willie
  • Real emotional trash
  • Out of reaches
  • Elmo Delmo

Tracklist

  1. Dragonfly pie
  2. Hopscotch Willie
  3. Cold son
  4. Real emotional trash
  5. Out of reaches
  6. Baltimore
  7. Gardenia
  8. Elmo Delmo
  9. We can't help you
  10. Wicked Wanda
Gesamtspielzeit: 55:09 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2012-04-29 21:58:29

Hatte ich gar nciht mehr so gut in Erinnerung. Könnte sich um Platz 2 mit dem Debut bei den Slo-Alben streiten. Jener Punkt sstimmt übrigens auch sehr: "Die Songs wirken durchdachter als noch beim Vorgängeralbum, die Platte an sich wirkt geschlossener als "Pig lib"."

Botho

2008-12-31 05:50:33

Was haltet Ihr von Stephen, dem Pavement-Sänger? Findet Ihr ihn sexy? Ich finde, dass er ganz schön absahnt.

modestmarc

2008-12-01 15:54:06


1) face the truth 09/10
2) real emotional trash 08/10
3) debut 08/10
3) Pig lib 07/10

Es gibt überhaupt kein schlechtes Album vom Herrn Malkmus. Alle toll! Trotzdem: Pavement ruled! Freue mich sehr auf die Deluxe-Edition von Brighten the corners (05.12.2008).

jet pilot

2008-12-01 15:36:00

Sein bisher schwächstes Album. Einige wirklich gute momente gibt es ("a cooooOOOOLD son, iam"z.b.), insgesamt jedoch nur eine 6.5/10

The MACHINA of God

2008-05-13 10:42:21

Wirklich gutes Ding. Stephen halt, mein kleiner Gott.

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