Say Anything - In defense of the genre

J / Doghouse / Red Ink / Rough Trade
VÖ: 29.02.2008
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Alles außer Tiernahrung

Manche Menschen können einfach nichts wegwerfen. Auch der Autor bekennt sich hiermit erstmals, unter dieser Last zu leiden. So stapeln sich also uralte Fernsehzeitschriften (Nachschlagewerke!), verschlissene Discounter-Plastiktüten (Wiederverwertung! Klimaschutz! CO2!), massenhaft obskure, unverlangt eingesandte Demo-CDs grottenschlechter Blues-Musiker (CDs schmeißt man nicht weg!) und noch andere Dinge, die Ihr gar nicht wissen wollt. Auch Max Bemis zählt zu dieser Spezies. Er bewahrt sicher auch die Angebotsblätter der Kaufhausketten auf. Weil er vielleicht mal in drei Wochen nachschlagen möchte, was vorvorgestern der Sellerie oder die Spanholzplatten gekostet haben. Oder um daraus im Sommer per Origami einen feschen Sonnenhut zu falten. Oder im Herbst einen Regenhut. So einer ist er, der Max Bemis.

Und weil er so einer ist, der Max Bemis, ist "In defense of the genre" auch ein Doppelalbum geworden, mit prallen 27 Songs. Schön, dass der manisch-depressive Say-Anything-Mastermind überhaupt noch musiziert. Bei diesen psychisch angeschlagenen Menschen weiß man ja nie, ob sie nachlegen oder ob sie den Sebastian Deisler machen. Nachdem das überragende "...is a real boy" seine Krankheit in positive Energie kanalisierte, ist Bemis jetzt wohl wieder bei Sinnen. Aber weil van Gogh auch nur irgendein Schmierfink gewesen wäre, wenn er sich nicht das Ohr abgeschnitten hätte, ist ein klarer Max Bemis auch nur die Hälfte wert. Es ist zum einen die schiere Menge der Songs, die verhindert, dass sich das Album als ähnlicher Instant-Burner erweist wie sein Vorgänger. Zum anderen fehlt vielen Songs der Zunder.

Dass Bemis alles verlernt hätte, kann man natürlich nicht behaupten. Man höre nur "About falling" mit beänstigend geilem Luftgitarren-Solo zum Auftakt und allem anderen, was ein guter Song braucht: vielsagende Lyrics, pushende Keyboards, weiblicher Background, Ooooh-Chöre und die Zweitstimme von Matt Skiba (Alkaline Trio). Überhaupt die Gäste: In Max Bemis' Handy muss sich ähnlich viel Prominenz drängeln wie bei Timbaland oder Paris Hilton. Adam Lazarra (Taking Back Sunday), Anthony Green (Circa Survive), Trever Keith (Face To Face), Chris Carraba (Dashboard Confessional), Chris Conley (Saves The Day), Gerard Way (My Chemical Romance), Pete Yorn (Pete Yorn) und ein Dutzend andere führen die Credits auf. Keiner von ihnen steuerte mehr bei als eine paar kaum hörbare Background Vocals, aber jeder von ihnen wollte dabei sein, hier eine Herzensangelegenheit zu verteidigen. "In defense of the genre" - ja, welches Genre denn?

Das Album beschränkt sich beileibe nicht auf einen Stil, will alles auf einmal sein, vielleicht sogar die Platte, nach der man seine ganze sonstige CD-Sammlung wegwerfen kann, wenn man denn CDs wegwerfen könnte. "That is why" kredenzt Kirmes-Krimskrams circa Adam Green, "Shiksa (Girlfriend)" im Intro mehrstimmiges Tralala circa Die Prinzen, "Baby girl, I'm a blur" einen chirurgischen Plastikbeat circa Cher und das ganze Album einen Gemischtwarenladen XXL. "Died a Jew" hantiert gleich mit dem Pürierstab, starring Jesus und Judas, HipHop und Punkrock. Auf "...is a real boy" soll sich Bemis vor allem mit sich selbst auseinander gesetzt haben, "In defense of the genre" sei der Beobachtung anderer Leute gewidmet. Klar, dass es einiges zu berichten gibt.

"In defense of the genre" leidet aber letztlich unter den gleichen Problemen wie fast alle Doppelalben: Auf die Hälfte, auf die besten Songs, auf eine einzelne CD komprimiert, wäre es ein großartiges, kompaktes Werk. Aber weil Say Anything in einem Anfall von Größenwahn die A-Seiten nicht von B- und C-Seiten trennen konnten, wurde eben doch alles in ein Jewel-Case gepresst, was eigentlich auf einem Dachboden besser aufgehoben wäre: Kram wie das rumpelig-schlank instrumentierte "Spores", das eher wie ein unter dem Bett verstautes und mitnichten für dieses Album neu aufgenommenes Demo wirkt. Das Kontrastprogramm bilden die überzeugenden, punktgenau ausgefeilten Stampfer wie "People like you are why people like me exist", "Skinny, mean man" oder das auf zweieinhalb Minuten komprimierte "Sorry, dudes. My bad". "In defense of the genre" ist so etwas wie der Musik gewordene Doppel-E-Büstenhalter, der viel zu große Dinger notdürftig zusammen halten muss. Schön anzusehen und faszinierend ist das ja durchaus, aber dann doch irgendwie wenig praxistauglich. Weniger wäre mehr - Hand drauf!

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Skinny, mean man
  • This is f***ing ecstasy
  • Died a Jew
  • Sorry, dudes. My bad
  • About falling

Tracklist

  • CD 1
    1. Skinny, mean man
    2. No soul
    3. That is why
    4. Surgically removing the tracking device
    5. This is f***ing ecstasy
    6. The church channel
    7. Shiksa (Girlfriend)
    8. Baby girl, I'm a blur
    9. Retarded in love
    10. People like you are why pople like me exist
    11. Died a jew
    12. An insult to the dead
    13. Sorry, duded. My bad
  • CD 2
    1. Spay me
    2. In defense of the genre
    3. The truth is, you should lie with me
    4. The word you wield
    5. Vexed
    6. About falling
    7. You're the wanker, if anyone is
    8. Spores
    9. We killed it
    10. Have at thee!
    11. Hangover song
    12. Goodbye young tutor, you've now outgrown me
    13. I used to have a heart
    14. Plea
Gesamtspielzeit: 89:00 min

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zote

2008-03-05 23:30:25

Für mich sind immer noch alle Songs auf dem Album gut bis sehr gut.Die einzigen Songs die mir nicht so gefallen, aber welche ich nicht als schlecht bezeichnen würde, sind "that is why" und "baby girl im a blur".Für ein Doppelalbum, sind die Songs einfach klasse und halten die Messlatte bis zum Ende hoch.Aber beim nächsten Album wird wieder auf eine CD reduziert und dann kommt schon wieder ein Überalbum;)

eumel

2008-03-05 15:55:38

der einzigste song der konkurenzfähig zum vorgängeralbum is, is skinny mean man
textlich vll. manch anderes auch noch, aber musikalisch wirklich ne riesen enttäuschung
kann man halt nur aufs nächste album warten, leider

Bauer

2008-03-05 15:11:48

Seh ich nicht anders. No Soul ist grandios. Es sind ziemlich viele geile Lieder drauf. Werd sie mir heute abend mal zulegen, ne Doppel CD für den Preis eines normalen Albums, klasse!

Daharka

2008-03-05 15:08:09

Allein No soul ist einer der besten songs die say anything je zu stande gebracht haben... so ziemlich genau so ein überhit wie alive with the glory of love...

Bauer

2008-03-05 14:50:07

"Auf der "in defense.." gibts kein "alive with the glory of love", "admit it", "belt" und wie sie alle heissen."

Hm Tatsache, die Lieder auf der neuen Platte haben echt andere Tracknamen. Echt komisch.

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