The Mars Volta - The Bedlam in Goliath
Gold Standard Labs / UniversalVÖ: 25.01.2008
Scheiben schießen
Wie passend, dass sich The Mars Volta ein begleitendes Computerspiel zu ihrer neuen Platte ausgedacht haben. Wann immer man es mit einem ihrer Alben zu tun bekommt, wünscht man sich ohnehin automatisch, man wäre Redakteur bei PC Player, Gamestar oder sonst irgendeinem Spieletest-Magazin. Deren Bewertungsmethoden lassen sich nämlich prima übertragen auf den exaltierten Extremsport, den Omar Rodriguez-Lopez, Cedric Bixler-Zavala und ihrer Bande veranstalten. Man müsste nur schreiben: Gitarren 92%, Bass 90%, Schlagzeug 89%, Gesang 70%, Bonusinstrumente 86% - und könnte sich schnell wieder mit erfreulicheren Dingen wie zum Beispiel Musik beschäftigen. Wie immer bei The Mars Volta würde allerdings auch gelten: Der finale Spontanvermerk "Spielspaß 43%" könnte einem irgendwann noch leid tun.
"The Bedlam in Goliath" nervt anfangs noch mehr als seine ebenfalls anstrengenden Vorgänger; zum einen, weil das erste Stück "Aberinkula" mit all seinem Anschieben, Vordrängeln und Lichthupen ungefähr wie das Gefühl klingt, bei 200 km/h auf der Autobahn von seinem eigenen Hinterrad überholt zu werden. Zum anderen aber auch, weil es im Vorfeld noch hieß, die Platte würde alles anders machen, was auf "Amputechture" zuletzt aus dem Ruder gelaufen war. Tatsächlich stecken diesmal zwei kurze Stücke zwischen den Fünf-bis-Zehn-Minuten-Jams, und mit etwas Phantasie lässt sich auch so Quatsch wie Refrains, zu Ende komponierte Melodien oder nachvollziehbare Songaufbauten in die Platte hineindeuten. Ihr ernstes und oberstes Anliegen bleibt trotzdem: der musikalische Exzess, das enthemmte Berauschen an Gitarre, Mystik und sich selbst.
Naturgemäß funktioniert das am besten, wenn sich die Band von jeder Vernunft befreit. Das erwähnte "Aberinkula" schafft das, indem es seine angestrengten Holzhackereien im zweiten Songteil mit einem offensichtlich, aber effektiv bei John Coltrane abgeguckten Saxophon durch die Hölle schickt. Auch "Goliath" ist sich selbst nicht ganz geheuer - Bixler-Zavala singt "Never heard a man speak like this man before", dann "Watch me now!", sehr geil, und Rodriguez-Lopez packt ein Gitarrensolo aus, das ungefähr "Never heard a man play like this man before" schreit, sehr laut und deutlich. Den dramatischsten Spannungsbogen hat aber "Soothsayer": Kinostreicher und auf Sitarsound getrimmte Gitarren drängen zunächst eine überschaubare Keyboard-Melodie tief in den Song zurück, nach fünf Minuten geht die übliche Instrumentennotschlachtung los, nur ganz kurz, und am Ende singt eine ganze Kirchengemeinde. The Gospel according to Omar.
Ein gutes Stichwort natürlich - "The Bedlam in Goliath" treibt seine Selbstinszenierung schließlich mit der gewohnten alttestamentarischen Wucht und Ernsthaftigkeit voran, während die Bibelverweise abgefrühstückt werden, als gäbe es irgendwann Mengenrabatt. Den thematischen Überbau hat The Mars Volta diesmal ein Ouija-Brett vordiktiert, das Rodriguez-Lopez in Jerusalem gekauft hat und das, grob gesagt, eine rudimentäre Kommunikation mit der Geisterwelt ermöglichen soll. Die daraus hervorgegangene Geschichte handelt von einem Serienkiller, allerlei Engeln und diversen Kreuzigungen - obwohl sie mit mysteriösen Statements und Beschwörungen von Bandseite noch mal zusätzlich aufgeladen wurde, bleibt sie aber der farbloseste Teil des Albums, weil Bixler-Zavalas' manischer, mitunter etwas zu dünner Gesang sie einfach nicht alleine tragen kann.
Deshalb bleibt das größte Rätsel an der Platte: wie wenig diese Musik bei allem Aufwand doch mit einem anstellt. Einmal mehr kann man beeindruckt sein von der Fingerfertigkeit aller Beteiligten, zu denen wie gehabt auch John Frusciante gehört. Man kann über den Mut staunen, mit dem The Mars Volta ihre Musik wieder näher an das überragende "De-loused in the comatorium" heranführen und gleichzeitig mindestens drei Krankheitsstufen hektischer klingen als damals. Nur zu lieben gibt es wenig an "The Bedlam in Goliath", das all seine Leidenschaft für eine Leistungsschau aufbraucht, aus der sich in letzter Konsequenz Musik ergibt, die lediglich in ihren lichtesten Momenten so revolutionär klingt, wie sie sich selbst findet. Bands machen so etwas seit über 40 Jahren, und manche konnten es schon damals besser. Mit zugedrücktem Auge deshalb: Spielspaß 63%.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Goliath
- Soothsayer
Tracklist
- Aberinkula
- Metatron
- Ilyena
- Wax simulcra
- Goliath
- Tourniquet man
- Cavalettas
- Agadez
- Askepios
- Ouroboros
- Soothsayer
- Conjugal burns
Im Forum kommentieren
Gomes21
2024-08-07 23:45:12
Deloused ist für mich auch sehr gut gealtert, höre ich kein bisschen weniger gerne.
Huhn vom Hof
2024-08-05 15:20:30
Für mich ist "De-Loused" gut gealtert. Vor allem "Drunkship of Lanterns" und "Televators" sind immer wieder beeindruckend.
PKingDuck92
2024-08-05 14:40:13
Hach ja erst gestern nach langer Zeit wieder gehört, einzige Platte von Mars Volta in meiner Vinylsammlung, und mittlerweile auch meine Lieblingsplatte von ihnen, auch wenn ich echte Startschwierigkeiten hatte. Die Frances The Mute habe ich mittlerweile wohl leider totgehört, und i.wie habe ich den Eindruck dass die "Deloused... " Gar nicht mal so toll gealtert ist.
The MACHINA of God
2024-08-04 17:32:54
Hör es grad seit Ewigkeiten mal wieder. Tolles Ding. Hatte die Produktion anstrengender in Erinnerung aber grad komm ich super klar. Was ne Band ey.
The MACHINA of God
2022-04-28 00:27:21
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