
Jimmy Eat World - Chase this light
Interscope / UniversalVÖ: 19.10.2007
X für ein Uh
Ein "E"! Ein "O"! Könnt ihr ein "U"? Wo ist das "I"? Wer hat ein "A"? Unlängst fragte noch Kollege Schwarze anlässlich von The goal is to make the animals happy, wo eine Band eigentlich ihre Selbstlaute gelassen habe. Jimmy Eat World geben mit "Chase this light" postwendend die Antwort. Für den Backgroundchor-Exzess, den ihr sechstes Album vom Stapel karrt, müssen sie schon mächtig auf Vokal-Einkaufstour gewesen sein. Da wird gehaucht, geseufzt, schwer, lang und freudvoll ausgeatmet, bis die Backentaschen beben und die Mundhöhlen vibrieren. Im Allgemeinen ist ein derart dicht zugeschallter Hintergrund ja ein sicheres Indiz für die Schlichtheit der Oberfläche.
Um so erstaunlicher, dass doch so manches Hochgefühl und beglückendes Temperament aus "Chase this light" heraussticht wie ein impulsives, verräterisches Glucksen. So gibt sich "Let it happen" nie wirklich mit seinem Power-Pop zufrieden und erschafft aus einer höchst klischeegefährdeten Strophe einen von Frauenchorälen nach vorne geschubsten Refrain, der sofort auf den Rest des Songs überspringt und selbst das nahe der Lächerlichkeit ausgestellte Lachgesäusel noch mitreißt. Auch "Big casino" entwischt mit seinen gesungenen Triumphbögen kurzzeitig in einen Zwischenpart, der die Arme erneut all dem entgegenstreckt, was mindestens unerreichbar scheint. Und wirft allein so den Refrain als einen nicht mehr kontrollierbaren Affekt aus dem Song heraus nach ganz weit oben. "Always be" zeigt sich von einem ähnlich ekstatischen Husten geschüttelt, und "Firefight" gibt sogar eine Idee davon, was manch einer seit längerem bei den Foo Fighters vermissen könnte.
Auch auf "Chase this light" gibt es sie also, die überbordenden Momente voll drängender Gelassenheit, wie sie Jimmy Eat World stets weniger erarbeitet, sondern vielmehr verschenkt haben. Doch es ist auch Misstrauen zu hören. Das ohne echten Höhepunkt im Streicherlamento einfach vor sich hinlaufende "Gotta be somebody's blues" ist dabei zugleich Sinnbild der Selbstzweifel und eines der besten Stücke des Albums. Gegen die ärgerliche College-Rock-Schlichtheit des folgenden "Feeling lucky" kann es allerdings nur wenig ausrichten. Auch der Schunkelrhythmus und die Handclaps von "Here it goes" werden nicht ohne die vor versammelter Klasse runtergelassene Hose in die Sommerferien geschickt. Und selbst wenn "Dizzy" ganz zum Schluss mit machtvollen Gesten und einem endlich wieder euphorisierenden Gitarrensound alle Albernheiten konsequent beiseite fegt, ist es dafür irgendwie zu spät.
Doch man kann all das auch nüchterner sehen: Irgendwann muss es einfach zurückschlagen, ein Überalbum wie "Clarity". Eine späte Rache, die Jimmy Eat World bisher mit dem spürbaren Mute der Verzweiflung ("Futures") und der Euphorie der Verdammten ("Bleed American") hintenan stellten. Auf "Chase this light" schrauben und drehen sie, können die Songs aber nicht immer daran hindern, überzukochen und zugleich in sich zusammenzufallen. "Chase this light" ist kein Neuanfang, ist nicht mal die Suche danach. Es ist, wie eigentlich immer bei Jimmy Eat World, ein unbeirrtes Weitermachen. Augen zu und durch, selbst, wenn man das Unheil bereits kommen sieht. "Uh-oh", anybody?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Let it happen
- Gotta be somebody's blues
- Firefight
Tracklist
- Big casino
- Let it happen
- Like she'll always be
- Carry you
- Electible (Give it up)
- Gotta be somebody's blues
- Feeling lucky
- Here it goes
- Chase this light
- Firefight
- Dizzy
- Be sensible (Bonus track)
Im Forum kommentieren
jo
2023-11-14 17:35:55
Sehe ich ähnlich. Ist auf jeden Fall der, den ich insgesamt von dem Album noch am besten hören kann.
eric
2023-11-14 17:13:32
"Let it happen" ist der beste Song auf der Platte!
jo
2023-11-14 14:38:58
Ach, "Let It Happen" geht nach dem Opener schon noch voll klar.
horstkevin
2023-11-14 09:47:46
Ich finde die drei aufeinanderfolgenden Songs "Chase This Light, Firefight, Dizzy" hervorragend. Nach dem starken Beginn (Big Casino) fällt das Album m.M.n. stark ab - aber der Schluss ist sensationell.
Affengitarre
2022-04-26 15:43:49
Schöner Beitrag. Für mich ist so im Nachinein wohl auch stärker als die beiden Alben danach und auch weit entfernt vom Totalausfall, aber klar, gegen die drei Alben davor hat es keine Chance.
Meine Highlights: "Let It Happen", "Gotta Be Somebody's Blues", "Chase This Light", "Dizzy", "Be Sensible" (Bonustrack)
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