Múm - Go go smear the poison ivy

Fat Cat / PIAS / Rough Trade
VÖ: 21.09.2007
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

In den Knochen

Es ist vielleicht die mutigste Leistung überhaupt von Múm, dass sie sich selbst und ohne erkennbaren Außendruck vom Konsenskollektiv zur umstrittenen Band gewandelt haben. Schon mit ihrem heute noch unbegreiflichen Debütalbum "Yesterday was dramatic, today is okay" und seiner Verbindung aus Elektronik mit großem Aktionsradius und erhabenem Instrumentarium erschlossen sie sich ein Schienennetz, auf dem sie vermutlich ihre ganze Karriere sorglos zu Ende hätten fahren können. Ab "Finally we are no one" kamen dann allerdings Stimmen hinzu, die scheinbar versuchten, den ausgelutschten Island-Fabelwesen-Mythos dahingehend zu erweitern, dass man sich Elfen und Kobolde doch bitte auch mit Raucherhusten und Bronchitis vorstellen muss. Jubel auf der einen Seite, "Sigur-Rós-für-Arme"-Spruchbänder auf der anderen. Wird doch sonst auch langweilig.

Um bloß nirgendwo festzufrieren, schmiegen sich Múm auf "Go go smear the poison ivy" nun wieder mit Vorliebe an Laptop-Displays und externen Festplatten an. Kristín und Gyða Vlatýsdóttir haben die Band verlassen; es bleibt also das alte Grundgerüst aus Örvar Þóreyjarson Smárason und Gunnar Örn Tynes übrig, die zusammen mit einigen Freunden fast jeden Track ihrer vierten Platte auf Computer-Basis hochziehen. Mit großer Freude darf man deshalb im alten Baukasten für Rezensionen elektronischer Musik kramen: Ja, es raschelt auf "Go go smear the poison ivy", es knistert, knuspert und, Gott schütze uns, es pluckert auch immer wieder im Paralleluniversum der Lautsprecherboxen. Das Rollo hochziehen, sich der Welt zuwenden - geht alles anders als diese Platte.

Trotzdem ist es Múms bisher vielseitigste Arbeit. Sie begreift ihre Elektronik immer nur als Ausgangspunkt, umstellt sie mit all den Streichern und Bläsern, die zu erwarten waren, hat aber auch das Klavierstück "Moon pulls" herzuzeigen, die Percussion einer ganzen Einbauküche, den obligaten Akkordeon-Walzer "School song misfortune" oder das Spieluhren-Geklimper von "Rhuubarbidoo". Der Gesang dazu steht näher denn je am Menschen, erlaubt keine bemühten Fantasy-Metaphern mehr und leistet sich trotzdem den Luxus, neben allerlei Unkonkretem auch die schlimmsten Schauergeschichten zu erzählen, die den Grimm-Brüdern gerade nicht mehr eingefallen sind. "Worms on the bones under beds / Of insomniac eaten teenagers / They whisper / And it sounds like a crooked flute."

Das in jeder Hinsicht lobenswerte Postkarten-Artwork, aus dem man sich acht verschiedene Albumcovers basteln kann, ist also nicht die einzige Gemeinsamkeit, die sich "Go go smear the poison ivy" mit den ebenso zum Drastischen neigenden Elektroingenieuren von Matmos teilt. Es mag manchmal willkürlich anmuten, wie Múm ihre Musik hier zwischen Kindersingkreis, Spielzeuginstrumenten, Rummelplatz-Rummel, Kammerorchester und maschinell verschleierten Popsong-Absichten zusammenwerfen. Es ist aber doch und vor allem ein Zeugnis von nicht klein zu kriegender Kreativität, anhaltender Rastlosigkeit und scheinbar endlosem Vorstellungsvermögen von dem, was ein paar Menschen und ihre Instrumente gemeinsam auf die Reihe bringen können. Wenn Múm überhaupt mal erstarren, dann höchstens in Schönheit.

(Daniel Gerhardt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Blessed brambles
  • Marmelade fires
  • Dancing behind my eyelids

Tracklist

  1. Blessed brambles
  2. A little bit, sometimes
  3. They made frogs smoke 'til they exploded
  4. These eyes are berries
  5. Moon pulls
  6. Marmelade fires
  7. Rhuubarbidoo
  8. Dancing behind my eyelids
  9. School song misfortune
  10. I was her horse
  11. Guilty rocks
  12. Winter (What we never were after all)
Gesamtspielzeit: 44:05 min

Im Forum kommentieren

Pelo

2009-07-31 21:27:50

Dancing Behind My Eyelids taugt mir immer mehr!

Flux

2008-03-08 16:38:26

Fand's auch grossartig (nicht in Heidelberg). Nach dem eher durchzogenen 'Summer make good' ein Schritt nach vorne!

Pelo

2008-03-08 13:58:39

Gestern in Heidelberg gesehen, genial sag ich da nur.

Lätta

2007-09-16 15:38:39

Mir fehlt ein wenig die verträumte Atmosphäre der Vorgänger. Viele der neuen Songs klingen doch schon arg verquert und übertrieben nerdy.

smörre

2007-08-27 23:44:58

Wunderbares Album, wenn nicht die Vorgänger wären :/

Es läuft gerade "Moon Pulls" - was ein schöner Pianosong. Überhaupt erstaunlich unelektronisch das Album.

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