The Afghan Whigs - Unbreakable. A retrospective 1990-2006

Rhino / Warner
VÖ: 06.07.2007
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Verlangen und Würde

Schöne Nachrichten. Eine der besten Bands des so genannten Grunge-Zeitalters kehrt nach langer Pause zurück, um mit neuer Musik zu betören. Um endlich wieder die Herzen klopfen und die Hüften kreisen zu lassen. Um ihren Rock'n'Roll vor Leidenschaften schier bersten zu lassen. Moment mal! Wer wird denn da von den Smashing Pumpkins reden? Die sind ziemlich neben dem "Zeitgeist" gelandet, also geht's um die nicht wirklich. Nein, viel bewegender: Die fabulösen Afghan Whigs sind es, die sich zurückmelden.

Nun ist "Unbreakable. A retrospective 1990-2006" kein durchweg neues Album, nicht mal weitgehend. Immerhin gibt's zwei schicke Neuzugänge als Zugabe. Ansonsten ist dieses Album "nur" die üblich geschmacksabhängige, aber immerhin labelübergreifende Zusammenstellung alter Unterschätztheiten dieser herrlich widersprüchlichen Band. Sie waren die erste Band auf dem legendären SubPop-Label, die nicht aus dem Nordwesten der USA stammte. Sie kümmerten sich von Cincinatti aus um körperlich spürbare Aufrichtigkeiten, doch statt von Political Correctness und Magengeschwüren wurden sie eher von Greg Dullis mit seiner katholischen Erziehung hadernden Erektionen geplagt. Und obwohl ihrem rauen Lärm schnell das bereits erwähnte Grunge-Etikett angeklebt wurde, waren sie tief im Innersten doch eher eine Soul-Band.

Denn Seele war es, die schon aus dem hypnotischen Radau von "Retarded" schepperte. Doch wo es hier noch der heilige Zorn war, der Dulli schreien ließ, entblößte mit "Congregation" ihr zweites SubPop-Album jede Menge Innenleben. Menschliches wie musikalisches. Songs wie "Turn on the water" oder das für "Unbreakable" sträflicherweise vergessene "Miles iz ded" schickten sich mit schillerndem Wahwah, taumelndem Klavier, nörgelnden Riffs und laszivem Bass an, dem Profil der Afghan Whigs unerwartete Untiefen zu verpassen. Und deuteten den folgenden Quantensprung schon an.

Als nämlich 1993 "Gentlemen" mitten im Seattle-Hype erschien, schnitten Dullis düstere Charakterstudien wie scharfe Messer durch die allgegenwärtigen Laut-Leise-Schemata. "It's in our heart, it's in our head / It's in our love baby, it's in our bed", krächzte es über die komplexen Rhythmen von "Debonair", und überall lauerten dissonante Beziehungsschatten. Wenn auch die Gitarren jaulten wie gequälte Tiere, litt Dulli doch hörbar am meisten in "What jail is like" oder der selbstentlarvenden Fleischeslust von "Be sweet". Zusammen mit den zäh fließenden Gefühlen und aufschreienden Grooves waren The Afghan Whigs für eine kurze Zeit die coolste Band der Welt.

Doch statt des in Reichweite scheinenden Gipfels hatte Dulli weiteres Ungemach im Sinn. Aus einem Drehbuch wurde 1996 "Black love". Dulli formulierte seine Gefühlsskrupel noch präziser, und die Afghan Whigs zelebrierten Songs wie "Going to town" oder das erhebende "Crime scene part one". Immer mehr dreckiger R'n'B hatte aus den ungekämmten Rabauken von einst echte Kerle gemacht, die auch mit "Crazy", "66" oder "Uptown again" vom souveränen "1965" aus ihren Schwächen Stärken machten.

Wenn nun die brodelnde Tiefe von "I'm a soldier" und vor allem "Magazine" all das aufgreifen, was die Afghan Whigs so besonders werden ließ, ist "Unbreakable. A retrospective 1990-2006" wieder bei den ewigen Widersprüchen angekommen. Natürlich kann man klagen, dass "My enemy", "Fountain and fairfax" oder "Blame, etc." fehlen. Man kann bemängeln, dass mit dem Supremes-Schlager "Come see about me" nur ein Cover dabei ist und TLCs "Creep" oder Barry Whites "Can't get enough of your love" den Kürzeren zogen. Doch dann schwelen schon wieder die breiten Klavierakkorde von "Faded" los und ungezählte Arrangementkleinigkeiten lassen ein ganzes Gefühlsleben in gerade einmal achteinhalb Minuten Song erfühlen: "If I go bad from time to time / Love to love, but love is not my only crime." Wahre Größe zeigt sich in den eigenen Unzulänglichkeiten.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Retarded
  • Turn on the water
  • Debonair
  • Be sweet
  • Gentleman
  • Faded

Tracklist

  1. Retarded
  2. Crazy
  3. Turn on the water
  4. Debonair
  5. I'm a soldier
  6. 66
  7. Be sweet
  8. Come see about me
  9. Uptown again
  10. What jail is like
  11. Magazine
  12. I'm her slave
  13. Going to town
  14. Gentleman
  15. Let me lie to you
  16. John the baptist
  17. Crime scene part one
  18. Faded
Gesamtspielzeit: 76:11 min

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