Stereo Total - Paris - Berlin
Disko B / Hausmusik / IndigoVÖ: 22.06.2007
Aufgewärmtes Konfetti
"Paris - Berlin" klingt in etwa so: Ein Billigschlagzeug nimmt eine Schrammelgitarre und einen Billigsampler für ein paar Soundgimmicks bei der Hand, packt sie mit vertrautem unschuldigen Lolitagesang und lakonischem Croonen in einen quietschbunten Bus und zusammen geht’s quäkend und lärmend zur nächstbesten Kirmes. In der traditionellen Stereo-Total-Kontroverse werden manche davon nicht genug bekommen und dieses Chanson-Pop-Punk-Trash-Amalgam mit französischem Zungenschlag lustig, schräg, nonkonform oder einfach toll für die WG-Party finden, wenn man gerade keinen Schlager oder NDW im Haus hat. Der Rest wird davon hässlichen Ausschlag bekommen und sich eher an den dicken Nachbarsjungen beim Trompeteüben erinnert fühlen, den man auch nicht erträgt ohne sedierende und angstlösende Psychopharmaka.
Waren "Musique automatique" und "Do the Bambi" eher im Elektropop beheimatet und spielte das Remixalbum "Discothèque" mit Disco und Dub, so kehren Stereo Total mit ihrem neuen Album zu ihren rauen, punkig-minimalistischen Ursprüngen zurück. Das Soundkleid ist demnach neu und alt zugleich, die Musik darunter ist der gewohnte Lo-Fi-Tingeltangel-Trash. Gepaart ist das Geschraddel wie immer mit mal harmlos-naiven, mal ironisch-kritischen Betrachtungen über Liebe, sexuelle Identität, Kaugummi, die Wandlungen der Patty Hearst, das Frauenbild der modernen Gesellschaft und zum Schluss die ausbeuterische Musikindustrie, die der Jugend ihre fade Radiosuppe als authentisch verkauft: "Das ist Punk! Das ist Rock’n’roll! Das ist moderne Musik!" Den roten Faden bildet diesmal neben der Liebe das Thema Revolution, symbolisiert in den Fidel-Castro-Uniformen, in denen Françoise Cactus und Brezel Göring im Booklet posieren.
Freilich ist auch auf "Paris - Berlin" trotz solcher Spielereien kaum mehr als eine Handbreit Wasser an inhaltlichem Tiefgang unter dem Kiel, was aber ohnehin noch nie anders war. Die einen werden sich daher freuen, dass die rosafarbene Bonbonparty ungebremst weitergeht, während sich die anderen wie üblich mit Grausen abwenden. Und man kann es ihnen nicht verübeln, denn wer Stereo Total für Avantgarde hält, übersieht leider, dass auch die Avantgarde sich weiterentwickeln muss, weil sie sonst irgendwann keine Avantgarde mehr ist. Stereo Total aber erzählen seit zirka 15 Jahren den gleichen Witz wieder und wieder. Und dessen Pointe will nicht mehr so richtig zünden.
Zwar eignet dem nervösen Dilettantismus von Cactus und Göring immer noch ein gewisser Charme, aber viel mehr als ein höfliches Kopftätscheln für die lustige Kleinkunstperformance der beiden Racker will sich nicht mehr einstellen: "Schön gemacht, mein Schatz, aber jetzt ist dann auch gut, ja?!" Von einem verkaufsträchtigen Hit wie "Liebe zu dritt" ist das Album meilenweit entfernt. Schwerer wiegt, dass sich die Mehrzahl der Songs nicht mit dem Witz messen kann, der aus der kürzlich erschienenen Best-of-Zusammenstellung "Party anticonformiste" sprüht. Zwar sind "Mehr Licht", "Ta voix au téléphone" oder "Patty Hearst" netter Trash-Pop, aber sie reichen nie an den Irrsinn von beispielsweise "À l'amour comme à la guerre", "Comme un garçon", "Schön von hinten" oder "Plötzlich ist alles anders" heran.
Als Fazit bleibt denn auch nur ein Songtitel von "Paris - Berlin" übrig: "Plus minus null". Stereo Total machen einfach stur weiter das, was sie schon immer gemacht haben, allerdings ohne den Energie- und Ideenlevel halten zu können. Sie bleiben damit auch nach wie vor sympathisch daneben. Dennoch wäre es schön, auch von dieser Band mal mit etwas Neuem, Unerwartetem überrascht zu werden, anstatt die immergleichen Knallbonbons auf dem Tellerchen zu finden, die wieder nur das Konfetti vom Vorjahr enthalten.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Mehr Licht
- Ta voix au téléphone
- Patty Hearst
Tracklist
- Miss Rébellion des Hormones
- Ich bin der Stricherjunge
- Plastic
- Komplex mit dem Sex
- Lolita fantôme
- Küsse aus der Hölle der Musik
- Plus minus null
- Mehr Licht
- Ta voix au téléphone
- Patty Hearst
- Baby revolution
- Relax baby be cool
- Chewinggum
- Moderne Musik
Referenzen
Spotify
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