
Red Hot Chili Peppers - Stadium arcadium
WEA / WarnerVÖ: 05.05.2006
Super de duper
Es ist eine Krankheit, die größte Band der Welt zu sein. Coldplay gehen gerade irgendwo zwischen eigenen Ansprüchen und überhöhten Publikumserwartungen den Bach runter. Die Stones werden wohl bald in Leichensäcken auf Tour gehen, bloß um das alte Gefühl am Leben und den Cashflow aufrecht zu erhalten. Und daß es zum Ende der Beatles sehr viel böses Blut, aber immerhin kein Blutvergießen gab, scheint rückblickend ein echtes, kleines Wunder zu sein. Nur die Red Hot Chili Peppers, ausgerechnet die eine Band, die regelmäßig mit scheinbarer Willkür auf ihre goldigen Zukunftsaussichten gefeuert hat - die sind immer wieder halbwegs glimpflich davon gekommen. Bis auch sie jetzt einen klassischen Größte-Band-der-Welt-Fehler gemacht haben. Man ist beinahe froh, daß es endlich passiert ist.
Das Doppelalbum. Gerade eben wollten wir seinen Wikipedia-Eintrag darum ergänzen, daß es der natürliche Todfeind der Rockmusik ist. Aber so einfach kommt man da heute ja auch nicht mehr durch, weshalb unser Frust nun eben doch in schwarz auf blau nach draußen muß. "Electric ladyland" von der Jimi Hendrix Experience, erzählt man sich, sei das einzige Doppelalbum der Musikgeschichte, das nicht als einfache Platte besser gewesen wäre. Und "Stadium arcadium" nun ist immerhin das einzige Doppelalbum der jüngeren Überlieferung, das selbst als einfache Platte noch ein ziemliches Hemd mit Hühnerbrust wäre. Deshalb nun - die zweistündige Geschichte einer kleinen Enttäuschung. Und eine kurze Randnotiz, mit der wir John Frusciante gerne endgültig zum größten Gitarristen seiner Generation ausrufen würden.
Es ist nun mal so: Alles steht, fällt und beginnt mit dem langhaarigen Mittdreißiger, dessen ganzes Leben in fünf Notenlinien und vier Zwischenräume hineinpaßt. Da kann sich Flea noch so sehr krumm machen beim Flitzefingern über seine Baßsaiten. Da kann Chad Smith seine unfehlbaren Drums noch so konsequent in den Studioboden dreschen. Und da kann sogar Anthony Kiedis himself den vielfältigsten Gesang seiner Laufbahn herzeigen. Am Ende ist es trotzdem Frusciante, in dem alle lebenswichtigen Organe dieser Band zusammenlaufen. Wo er sich auf den letzten beiden Peppers-Platten noch durch erstaunlich ergiebige Arbeitsverweigerungen hervorgetan hatte, spielt er diesmal jede Menge fleißiger Seventies-Soli. Und auch seine Leadgitarre gibt sich plötzlich wieder agiler und exkursfreudiger. Irgendwer muß ja schließlich ein bißchen Leben in die Bude bringen.
Halten wir deshalb fest: Es ist Frusciantes farbenfroh blitzende Gitarre, die schon die erste Single "Dani California" erfolgreich ins Ziel prügelt. Es ist sein kühles Händchen, das dem ulkigen "Hump de bump" (Old-School-Peppers mit freigeistiger Trompete und Kücheninventar-Solo - sehr funky) die größten Albernheiten der ganzen Platte gestattet. Und es ist erst recht sein Verdienst, daß selbst Konrad Duden zu all dem, was in den letzten zwei Minuten des überschäumenden "Turn it again" abgefackelt wird, nur noch das schöne Wörtchen "sensationell" einfallen würde. Die deutlich gestutzten Hippie-Chöre - auf "By the way" noch prägendes Markenzeichen - sind da problemlos wegzustecken. Solange dieser Mann nur weiter in Flammen steht.
Was sich im Umgang mit "Stadium arcadium" abgesehen davon als besonders hilfreich erweist: der zweite, dritte und zehnte Versuch. Nur mit ausgeprägtem Geduldsvermögen lassen sich einige weniger offensichtliche Hits des Albums aus der Reserve locken; etwa die dickköpfigen "One hot minute"-Hausbesuche von "Readymade" oder das eilige "So much I", das zum Refrain besonders effektiv mit der Tür ins Haus fällt. Auch die liebevolle Detailarbeit, mit der etwa Kiedis' Stimme immer wieder kleine Effektspielereien oder "Wet sand" gar ein Akkordeon untergejubelt wird, ist eher für aufmerksame Hinhörer gedacht. Und plötzlich sehen die Jungs mit ihrem Selbstverständnis gar nicht mehr so blöd aus: "Somehow we'll make it / 'Cause that's what we do." Irgendwie kriegen wir das Ding schon geschaukelt.
Zwischendurch also doch noch Euphorie, angefeuert auch durch die großzügigen Traumwandlereien des zweiten Openers "Desecration smile", der sich als Nachfolger von "Under the bridge", "Scar tissue" und wiesiealleheißen in Position schleicht. "Stadium arcadium" kommt natürlich zu keiner Zeit gänzlich darüber hinweg, daß vor allem viele seiner ruhigeren Stücke besser gleich im Panzerschrank der Warner Brothers verschwunden wären. Aber es ist eben doch bedeutend mehr als der kunstvoll aufgeblasene Heißluftballon, den man zunächst hinter all dem Rummel vermutet hatte. Aus zehn zueinander passenden Songs hätte man hier vielleicht sogar das beste Peppers-Album seit "Blood sugar sex magik" zusammenpuzzeln können. Solange diese Männer aber mit dem Anspruch leben, die größte Rockband der Welt sein zu müssen, stehen sie sich selbst im Weg.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Dani California
- Hump de bump
- Desecration smile
- So much I
- Turn it again
Tracklist
- CD 1
- Dani California
- Snow (Hey oh)
- Charlie
- Stadium arcadium
- Hump de bump
- She's only 18
- Slow cheetah
- Torture me
- Strip my mind
- Especially in Michigan
- Warlords
- Wet sand
- C'mon girl
- Hey
- CD 2
- Desecration smile
- Tell me baby
- Hard to concentrate
- 21st century
- She looks to me
- Readymade
- If
- Made you feel better
- Animal bar
- So much I
- Storm in a teacup
- We believe
- Turn it again
- Death of a martian
Im Forum kommentieren
jo
2023-04-13 22:11:38
Alles klar - und ja, das merkt man :).
fuzzmyass
2023-04-13 21:59:20
Ich weiß, war nicht auf dich direkt bezogen und du hast nicht Unrecht was den Unterschied betrifft, aber "Relevanz" ist bei mit immer Trigger :D
jo
2023-04-13 21:57:01
Ich habe mich damit nur auf das Ausgangsposting bezogen und sehe das an sich ähnlich wie du.
Dennoch kann ich bei einer Band, bei der ich mich auskenne, meines Erachtens in "relevantere" und "weniger relevante" Alben einordnen. Sehe da kein Problem drin, da es hier ja nicht um "Relevanz von Kunst an sich" ging, sondern um "eigens (für sich selbst) eingeschätzte Relevanz im Kontext der Band".
Schon ein Unterschied, fuzzy.
fuzzmyass
2023-04-13 21:51:32
"Relevant" - mein Hassbegriff in Bezug auf Musik :D
Gibt nichts irrelevanteres bei Kunst als eine Debatte ob sie relevant ist oder nicht... bei DEN Verkaufs-/Streamingzahlen von RHCP ist im Endeffekt jedes ihrer Alben "relevant", zumindest nach den 80ern :)
jo
2023-04-13 21:45:28
Sound ist allerdings nur bei der CD-Version nicht so toll. Auf Platte echt klasse, da beim ersten Mal von Steve Hoffman direkt von den Tapes gemastert (und danach auch von Größen) und diese - im Gegensatz zu "Californication" - eben kein Clipping enthielten (im Gegensatz zum CD-/ digitalen Master).
Ansonsten stimme ich aber zumindest zu, dass es - wie so oft bei RHCP-Alben - zu viele Füller gibt. Relevant finde ich die Platte dennoch.
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