Boards Of Canada - The campfire headphase

Music70 / Warp / Rough Trade
VÖ: 14.10.2005
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

The devil in the details

Boards Of Canada - oder der Zwiespalt unter seichter Hülle. Mike Sandison und Marcus Eoin lieben das Paradoxon. Das Zerrissene. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht sind sie selbst es, die zerrissen sind. Fest steht: Ihre Musik ist es. Und zwar mit einer Konsequenz und Totalität, wie man sie länger suchen muß. Nicht nur das Was in der Musik ist Zwiespalt, sondern auch Wie, Wo und Wann dahinter - da gerät das künstlerische Sein, der Prozeß unweigerlich selbst zum Paradoxon. Daß sich Sandison und Eoin - hermetisch abgeriegelt von allen äußeren Einflüssen - im zivilisationsfreien schottischen Hinterland einnisten, in einem Studio, dessen genaue Lage wahrscheinlich nur sie selbst kennen; daß sie - Zeit und Raum im übrigen Wirrwarr vergessend und getrieben vom eigenen Perfektionismus - jahrelang an ihrer Musik feilen; daß sie ihr Leben so kompromißlos an dieser Musik adjustieren: All das verleiht ihrer Musik eine seltene, beinah religiöse Dimension der Schönheit, auf der anderen Seite eben aber auch existenzielle Tragik.

"The campire headphase" ist, vier Jahre nach dem kryptomanisch konspirativen "Geogaddi" und sieben Jahre nach dem legendären "Music has the right to children", ihr Album Nummer drei. Und schon mit dessen Artwork begehen sie ein altes Ritual: alte Bilder. Immer wieder diese fast bis zur Unkenntlichkeit oxidierten Farbphotos unbestimmten Ursprungs. Die Gesichter der Menschen zerwaschen. Ihre Identität leer. Irgendwie vertraut und doch nicht faßbar. Hallo, Zwiespalt. Hallo, Musik.

Inspiriert von Science-Fiction-Serien und Tierdokumentationen aus ihrer Kindheit der späten Siebziger und immer mit dem Bewußtsein den gesellschaftlichen Übergang ins digitale Zeitalter miterlebt- und erlitten zu haben, schaffen Sandison und Eoin bittersüße Electronica-Bruchstücke, getragen von endlos rotierenden Melodieminiaturen. Klänge, die ein seltsam vertrautes Verhältnis zu Dir aufbauen, manchmal sogar dazu übergehen betont konventionell zu wirken. Klänge, von denen Du sofort meinst, sie schon irgendwo, irgendwann einmal gehört zu haben. Die Antwort allerdings bleibt im Halbschatten.

Organischer denn je sucht sich "The campfire headphase" seinen Sandison-Eoinschen Weg zwischen vollwertigem Track und Interlude. Plätschernde Gitarren-Akkorde, durch unzähliges analoges Kopieren künstlich gealtert, und ein angenehm warmes Rauschen bestimmen das Klangbild. Auch im rhythmischen Areal treten weiche, erdige Samples anstelle des impulsiven Gewabers der Vorgänger. Der Perfektionismus dabei immer spürbar. Jeder Bruch sorgfältig ausbalanciert, jedes Geräusch liebevoll eingebettet und zugedeckt.

Letztlich sind es die Kindheit und die Verluste des Erwachsenseins, die Sandison, Eoin und die Musik niemals loszulassen scheinen. Alte, fragmentarische Erinnerungen an eine Zeit, in der Dich noch die kleinsten Dinge beeindrucken und fesseln konnten. Eine Zeit, bevor Dein Gehirn - einhergehend mit der Verkomplizierung der Weltansicht - begann, vermeintlich unwichtige Dinge rückstandslos von den wichtigen zu filtern. Wohl wissend, daß ihre kindlich lebendige Wahrnehmung unwiderruflich verloren ist, haben Sandison und Eoin doch einen Trost: die Erinnerung und den Wert dieser zeitlos schön konserviert zu haben. Boards Of Canada - oder das Gefühl zwischen Nostalgie und Resignation vor dem Unwiederbringlichen.

(Stefan Färber)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Satellite anthem icarus
  • Peacock tail

Tracklist

  1. Into the rainbow vein
  2. Chromakey dreamcoat
  3. Satellite anthem icarus
  4. Peacock tail
  5. Dayvan cowboy
  6. A moment of clarity
  7. '84 pontiac dream
  8. Sherbet head
  9. Oscar see through red eye
  10. Ataronchronon
  11. Hey Saturday sun
  12. Constants are changing
  13. Slow this bird down
  14. Tears from the compound eye
  15. Farewell fire
Gesamtspielzeit: 62:09 min

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