Tennant / Lowe - Battleship Potemkin

Parlophone / EMI
VÖ: 05.09.2005
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Children of the revolution

Die Pet Shop Boys sind nicht für jeden Spaß zu haben. Wohl aber für zahlreiche ernsthafte Angelegenheiten. Wenn sie sich mal gerade nicht selbst neu erfinden, eigene und fremde Tracks remixen, Songs kompilieren oder Videokunst schaffen, nutzen sie ihre knappe Freizeit, um Opern oder Film-Scores zu schreiben. Bie letzterem lassen sie sich allerdings weder für große Blockbuster noch für kleine Independent-Filme einspannen, es muß schon etwas ganz besonderes sein. Sergej Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" aus dem Jahr 1925 ist inzwischen unbestritten das, was man einen Meilenstein nennt, und kommt Neil Tennant und Chris Lowe deshalb wie gerufen.

Eisenstein selbst soll sich gewünscht haben, daß in jedem Jahrzehnt zeitgenössische Musik für seinen Stummfilm über den Matrosenaufstand 1905 geschrieben werde. Tennant und Lowe kommen dieser Bitte gerne nach, verlassen sich aber bei der Umsetzung nicht nur auf ihre sonst üblichen Synthesizer, sondern setzen auch noch gleich die Dresdner Sinfoniker unter der Leitung von Jonathan Stockhammer mit ein. So ist von Anfang an klar, daß es hier um sehr Großes geht.

Dichte Streicherteppiche bilden die Grundlage für das elektronische Zirpen und Pluckern, über das sich nur bei einer Handvoll Tracks Tennants Stimme nebst Chor erhebt. Aber wer braucht schon Gesang, wenn allein die Musik so gewaltig auf den Hörer einstürzt, daß der auch ohne den Film vor Augen Bilder sieht? Düstere Bilder, denn selbst wer den ebenso legendären wie zeitlosen Streifen nie gesehen hat, ist sich sicher, daß die Musik nur Unheil verheißen kann. Das sich stetig steigernde "Men and maggots" reißt einen in einen tiefen Strudel finsterer Klangbilder, während sich das neunminütige "Drama in the harbour" gleich als Soundtrack für die Apokalypse empfiehlt.

Am ehesten typisch Pet Shop Boys ist vielleicht das etwas nervige "Nyet", eine dumpf stampfende Disconummer. Doch dann spielt das Orchester wieder auf und erschlägt einen fast wieder mit epischem Kopfkino. Wobei den beiden Pet Shop Boys hier die Sensation gelungen ist, daß ein Soundtrack auch ohne den dazugehörigen Film funktioniert. Wenn man sich nur ein wenig auf diese Klänge aus einer anderen Welt einläßt, wird man schon ihr Gefangener. Nur manchmal sorgen die zahlreichen Synthesizer-Klänge dafür, daß "Panzerkreuzer Potemkin" eher wie "Crimson Tide" aussieht.

"Battleship Potemkin" ist kein Pop-Album zum täglichen Nebenher-Gebrauch. Es ist fast schon zeitgenössische Klassik. Wenn Neil Tennant in "No time for tears" beseelt "This is no time for tears / 'though our hearts are bleeding" haucht und die gothische Klangkathedrale dann von Disco-Bulldozern plattgemacht wird, ist das schon beinahe so genial wie Eisensteins berühmte Bildmontage des Massakers auf der Hafentreppe in Odessa. Aber eben nur beinahe.

Als "Panzerkreuzer Potemkin" vor 80 Jahren erstmals über die Leinwand flimmerte, sahen viele in ihm nur einen sowjetischen Propagandafilm. Inzwischen spricht man ihm darüber hinaus zu Recht wegweisende Qualitäten zu. Nach ihrer Musik zu eben jenem Meisterwerk sollte niemand mehr die Pet Shop Boys als harmlose Disco-Kapelle abtun.

(Lukas Heinser)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Men and maggots
  • Drama in the harbour
  • To the shore
  • No time for tears
  • For freedom

Tracklist

  1. 'Comrades!'
  2. Men and maggots
  3. Our daily bread
  4. Drama in the harbour
  5. Nyet
  6. To the shore
  7. Odessa
  8. No time for tears
  9. To the battleship
  10. After all (The Odessa Staircase)
  11. Stormy meetings
  12. Night falls
  13. Full steam ahead
  14. The squadron
  15. For freedom
Gesamtspielzeit: 68:23 min

Im Forum kommentieren

Oliver Ding

2005-09-20 22:52:35

Als gelegentliches Stilmittel mögen 8bit-Sounds ja nett sein. Komplette Musik in diesem Stil ebenfalls. Zusammen mit dem aufgebrezelten Orchesterschmalz wird das aber nur plump und billig. Mal davon ab, daß die Stücke nur so tun, als hätten sie etwas zu sagen, wobei man dann doch nur bis zu neuneinhalb Minuten auf die ausbleibende Pointe wartet.

DominoDancing

2005-09-20 21:18:11

Also Oliver, das einzige Argument, dass man davon überhaipt stehen lassen könnte, ist "künstlerisch wertvoll wie die Klingeltonwerbung". Auch wenn ich nicht ganz deiner Meinung bin. Aber "altersschwache" Instrumentierung oder mangelnde Modernität zu bemängeln ist in Zeiten des Retro-Rocks ein bisschen geheuchelt.

Thomas Künzel

2005-09-18 15:18:57

Hallo, hallo aus Berlin,
war letztes Jahr am Trafalger Square (25.000+geiles Regenwetter) und dieses Jahr auf der Museumsinsel(1.500+geiles Sommerwetter)!!!
London war besser...............!!!!
zur CD: wie immer perfekt produziert und eingängig; wirkt sogar ohne Film !!!
aber wie gesagt: "wer nicht wenigstens bei'nem Konzert war, hat etwas verpasst................
Gruß

Paul Paul

2005-09-14 20:43:38

Ach Oli, übertreib' nicht immer so! Ich hab' sie eben beim rumgeistern durchs Netzt gehört und sie klang gar nicht so schlecht.

Oliver Ding

2005-09-12 16:05:43

Ich find's eher unspannend. Altersschwache MIDI-Sequencer, eingeschlafene Füße. Modern wie die Fernsehzeitung von vor drei Wochen, künstlerisch wertvoll wie die Klingeltonwerbung.

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