Smog - A river ain't too much to love

Drag City / Domino / Rough Trade
VÖ: 30.05.2005
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Nach Süden

Es ist an der Zeit, Bill Callahan und seinem Emblem Smog die angemessen hemmungslose Verehrung zuteil werten zu lassen. Das war nicht immer so. Denn manchmal übertraf die Kunst den Künstler noch an Kauzigkeit. Doch auf "A river ain't too much to love" und der nicht wegzuwischenden Schönheit dieser musikalischen Hinwürfe des genialischen Eigenbrötlers spielt dies keine Rolle mehr. Es zählt nur die Hingabe, die Echtheit der transportierten Gefühligkeit. Alles ist so offen wie der Bandname, dem vor Berückung die Klammern wieder abgefallen sind.

Callahan blickt tief in sich. Auf der Suche nach Liebe? Erlösung? Seelenfrieden? Verklausuliert erzählt er von seinen desillusionierten Beobachtungen. Er beschreibt sie als Reise. Doch diese Straße ist nicht asphaltiert. Ein wackliges Kopfsteinpflaster gräbt sich durch welliges Terrain. Handliche Instrumentenmengen malen dazu sepiafarbene Hintergründe für die Straßenschilder, auf denen Callahans komprimierte Selbstverstümmelungspoesie prangt. "She said, I had an ego on me / The size of Texas."

Doch Übermut ist kein Attribut, das auf Smogs Musik passen würde. Die Klänge tragen schwer am Moll, die Lücken sind oft wichtiger als die Musik dazwischen, und die Akustik knackt wie ein wohliges Lagerfeuer. Neben der Schnur, neben dem Klischee. Nur ist es kein mißverstandenes LoFi, welches Callahan hier mit sorgfältiger Hand inszeniert. Klavier, Violine und Gitarre als Gegenentwurf des Bombasts. Sie entfalten sich wie die Flügel eines Falters. Eine Motte vermutlich. Und die vernarbte Stimme thront so klar und deutlich über allem, daß man die überaus intime Pracht der Melodien gar nicht verfehlen kann. Wie Vogelgezwitscher nach dem Stimmbruch.

Und so übernimmt ausgerechnet ein solcher Vogel die Hauptrolle in diesem wunderbar kargen Roadmovie quer durchs Leben. Es ist ein leicht desorientierter Piepmatz, der sich ein wenig zu spät auf die alljährliche Wanderung macht. "Why's everybody looking at me / Like there's something wrong / Like I'm a southern bird / That stayed north too long." Ein Selbstportrait? Ein Konzeptalbum gar? Jedenfalls besteht Hoffnung. Da draußen warten Abenteuer und Leidenschaften. Eine neue Welt. Und die sanfteste Metaphorik, seit es Antidepressiva gibt.

(Oliver Ding)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Say valley maker
  • The well
  • Rock bottom riser
  • Let me see the colts

Tracklist

  1. Palimpsest
  2. Say valley maker
  3. The well
  4. Rock bottom riser
  5. I feel like to mother of the world
  6. In the pines
  7. Drinking at the dam
  8. Running & loping
  9. I'm new here
  10. Let me see the colts
Gesamtspielzeit: 50:47 min

Im Forum kommentieren

Obrac

2021-09-21 10:24:05

Sein bestes Album.

Gordon Fraser

2021-09-21 03:42:30

„The Well“ - wie fantastisch ist der Song denn bitte?

Rooster

2009-10-12 17:40:31

Red Apple Falls ist schlicht grandios. Ich bin mit Sometimes I Wish We Were An Eagle eigestiegen und erst jetzt zum alten Smog-Zeug umgestiegen. Der Mann ist toll.

bee

2008-04-08 13:13:46

das gab bestimmt schrumplige Haut ,-)
*
"aber ich weiß inzwischen, dass es bessere gibt" - welche meinst du?
und überhaupt - der Herr und Meister ist bald auf Tour ...

markus w.

2008-04-08 12:17:07

Also gut, aber wenn's zu kitschig wird, bitte aufhören: Es war der Sommer 2003, der wohl heißeste der letzten 20 Jahre. Ich kann mich an sechs Wochen unterunterbrochene Hitze erinnern. 40 Grad waren greifbar. Im Saarland hat's sogar gepasst, wenn auch knapp.
Haldern-Festival 2003. Auch dort war's schweineheiß. Alles schwitzte, selbst die Salamibrötchen haben sich unter der brennenden Sonne zusammen gezogen.
Samstag, der zweite und letzte Festivaltag. Ein Freund von mir musste aus beruflichen Gründen kurz nach Köln fahren. Netterweise wollte er uns ein paar Platten mitrbingen. Damals habe ich aus Mangel an Alternativen noch den Silberlingen den Vortritt gegeben und das schwarze Gold erst ein Jahr später für mich entdecken können. Mit zwei Platten noch etwas frisch im Smog-Kosmos bat ich ihn um "Red Apple Falls". Ich wusste damals schon, es lag wohl am Cover, an der Aufmachung, whatever, dass jenes Album was besonderes werden würde. Auf jeden Fall, er hat sie mit nach Haldern gebracht.
Der nächste Morgen. Das Festival war rum. Wir mussten schon früh unsere Zelte abbrechen, da ein Mitglied unserer Festivalgemeinschaft zum Geburtstag der Mutter zu Hause sein wollte. Es war der erste Tag seit mehrern Wochen ohne Sonne. Es war vergleichsweise kalt, die Wolken hingen tief. Nach dieser furchtbaren Periode der Hitze eine große Wohltat. Der Zeltplatz lag im tiefen Schlaf. Ich war der Erste und sichtbar Einzige auf den Beinen. Wir hatten damals einen kleinen, tragbaren CD-Player am Start. Habe mich auf meinen Klappstuhl gepflanzt und "Red Apple Falls" eingelegt. Die Soundqualität war denkbar beschissen. "Morning Paper" hat mich aber trotz der Widrigkeiten in den Bann gezogen. Ein intensiver Moment, den ich niemals mehr vergessen werde. Nach vier Songs öffnete sich ein Zelt in der Nähe. Ein Mädchen in ca. meinem Alter kam zu mir und fragte mich nach dem Interpreten, der gerade laufe. Wir haben uns das Album bis zum Schluss angehört, das Wunder von "Finer Days" in uns aufgesogen. Dann ist sie aufgestanden, hat sich in aller Herzlichkeit bedankt und ist gegangen. Ein vergleichweiser zarter und kleiner Augenblick, bei den Irrungen und Wirrungen der Liebe (die mich später ereilen sollten), aber ebenso unvergeßlich.
Es geht gar nicht so sehr um das Mädchen, sondern um die Platte an sich. Sie gehört zwar immer noch zu meinen zehn liebsten, aber ich weiß inzwischen, dass es bessere gibt - habe mein Herz an andere verloren. Aber nicht eine einzige hat einen schöneren Rahmen als "Red Apple Falls". Der erste und der letzte Song, that's it. Seit diesem Tag in August 2003 haben Start- und Schlusstrack für mich eine enorme Wichtigkeit. Und jedes Album, dass ich höre, wird geprüft, ob es diesen Kriterien standhält. Natürlich auch darüber hinaus, aber für meine persönliche Einschätzung, für meine musik-rezipierende Entwickling war dieser Tag enorm wichtig...und vor allem wunderschön.
Zu Hause habe ich mich in die Badewanne gelegt. "Red Apple Falls" lief unterdessen bestimmt 7,8 Mal durch.

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