Harmful - Counterbalance

BMG Ariola
VÖ: 29.05.2000
Unsere Bewertung: 9/10
9/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Angeschrägte Schichtarbeiter

Kaum 136 Schlaganfälle nach "Apoplex.136" legt das Frankfurter Trio Harmful mit "Counterbalance" das Nachfolgealbum. Die Entstehungsgeschichte ihres dritten Albums liest sich wie ein Roman über die Alpträume von Musikern. Da kam man voll Optimismus von BluNoise zu Intercord, bekam mit Dave Sardy (Helmet, Slayer, Red Hot Chili Peppers) einen Top-Produzenten gereicht und begann bereits Anfang des Jahres 1999 mit den Aufnahmen zu "Counterbalance". Die neuen Songs sollten insgesamt etwas melodiöser als der Vorgänger ausfallen. Das erste Ergebnis ist aber für den Geschmack der Band zu poppig ausgefallen und wurde daher schnell wieder verworfen. Mit zurückgekehrter Wut im Bauch nahm man ein komplett neues Album auf. Mit dieser härteren Version war dann zwar die Band selbst zufrieden, nicht aber Intercord. Zusammen mit Dave Sardy mußte zum Nachsitzen und Nachmischen noch einmal die Produzentenbank gedrückt werden, bis alle Beteiligten mit den nun eingegangenen Kompromissen leben konnten.

So hätte "Counterbalance" bereits im Januar erscheinen können. Doch dann kam EMI ins Spiel und machte mit dem Schlucken der finanzschwachen Intercord dem Treiben einen Strich durch die Rechnung. Das Material sagte dem neuen Oberhaupt EMI ganz und gar nicht zu, und Harmful wurden kurzerhand vor die Tür gesetzt. Die ambitionierten deutschen Noise-Pioniere fanden dann aber zu guter letzt doch noch Unterschlupf bei der BMG Ariola. Ende gut, alles gut: "Counterbalance" bekommt nun endlich die Möglichkeit, die Firmenbüros zu verlassen und vom gemeinen Publikum gehört und genossen zu werden. Wenn es mit dem Album nicht klappt, die Tapferkeitsmedaille der deutschen Musikindustrie haben sich Harmful jedoch bereits jetzt verdient. Seht ihr, liebe Kinder, Beharrlichkeit zahlt sich eben doch aus.

Trotz der oben ausgeführten größeren Schwierigkeiten und der etwas geringen Spieldauer von knapp 37 Minuten ist "Counterbalance" ein Monstrum von einer Platte geworden. Es braucht zwar ein wenig Zeit, bis man in das Album hineingefunden hat. Doch bereits nach dem zweiten bis dritten Hören stößt man unweigerlich auf geniale kleine und größere Feinheiten, und selbst nach dem zehnten Durchlauf fallen noch neue Gitarrenschichten auf. Das Etikett "atmosphärisch dichter Soundteppich" traf selten besser zu als hier. Am ehesten ist der Vergleich zu den "Sky valley"-Zeiten der seligen Kyuss zu bemühen. Das Himmeltal war zwar in einer etwas anderen Stilrichtung angesiedelt, trug aber dieselbe Dichte im Sound wie nun Harmful in sich. Weitere Vergleiche fallen schwer, Harmful haben es wirklich geschafft einen für sie typischen Sound zu kreieren.

"Früher wollten wir nur die krasseste Band der Welt sein" berichten sie, mit der Härte von "Apoplex.136" hat das neue Album aber wirklich nichts mehr zu tun. Es dominiert nun nicht mehr die ausschließliche Aggression, man kann stattdessen mit Verzückung den verschiedenartigsten melancholischen Melodien lauschen, die aus einer Wand aus wunderschön schräg klingenden Gitarrenakkorden und diffizilen Rhythmiken hervortreten. Jedes Stück besitzt auf seine Art und Weise kleine, absolut hörenswerte Besonderheiten. Mit "Notwithstanding" hat man sogar eine potentielle Hit-Single mit an Bord, dem ein schickes modernes Video mit schnellen Schnitten und Extremsportlern gut zu Gesicht stehen würde. Den momentanen Geschmack der Kids könnte ein solches Gesamtwerk durchaus treffen, und auch hinsichtlich der Optik wurde "Counterbalance" ein zeitgemäßes und stimmungsvolles Image verpaßt. Vielleicht verirrt sich ja irgendein Trendnachläufer schon alleine der Optik wegen zu Harmful. Zu wünschen wäre es ihnen allemal. In jedem Fall gilt es, die Augen nach der weiteren Entwicklung von Harmful offenzuhalten. Und "Counterbalance" wird wohl noch für einige Zeit in den Untiefen meines CD-Wechslers gefangen gehalten werden.

(Matthias Allstadt)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Aftermath
  • Likewise
  • You asked for
  • Notwithstanding

Tracklist

  1. Aftermath
  2. Us
  3. Likewise
  4. Vault!
  5. You asked for
  6. Well-mended
  7. Impalpable
  8. Counterbalance
  9. Notwithstanding
  10. Indigestible
  11. Lugubriously
  12. Opinion
Gesamtspielzeit: 36:56 min

Im Forum kommentieren

The MACHINA of God

2018-11-06 22:37:25

So unterbewertet die Band.

Well-Mended

2018-11-06 00:31:38

Harmful, Scumbucket, Ulme, Blackmail...ultraviel gute und vor allem schön HARTE Gitarrenbands, die aus Deutschland kommen/kamen...

Hört mal bei "Impalpable" den fantastischen (Übergang zum) Refrain, da stellen sich bei mir jedes Mal die Nackenhaare auf...schweinegeil!!!!

Christopher

2018-11-05 23:38:29

Höre das Album gerade seit langer, langer Zeit mal wieder. Scheiße, waren die gut.

anerkennung

2015-03-04 13:22:32

vergessen sollte auch nicht das solowerk des sängers aren: unter dem namen "emirsian" hat er feine "weltmusik" veröffentlicht.

anerkennung

2015-03-04 13:18:27

"7" ist halt deutlich ruhiger, aber deswegen nicht weniger schlecht. die melodien sind immer noch da.

interview mit billy gould (fnm)

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