Jupiter Jones - Raum um Raum
Go-Kart / SoulfoodVÖ: 18.10.2004
Glück ist Liebe
"Die Zeit ist reif für Tränen, Schweiß und Blut, für ein ehrliches Stück grundsolides Leben", finden Jupiter Jones. Etwas, das auch vorher schon unausgesprochen klar war, seit längerem. Achtung, dieser Text wird pathetisch. Doch in solchen Ausführungen endet sie nun mal: ehrliche Musik, die wir innig lieben. Die von uns handelt und nicht von paranoiden Androiden oder Entlausungen im Komatorium. Die Anspruch bereit hält, Optimismus, eine Vision, einen Sinn fürs Gute. "Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", lassen Jupiter Jones im Intro den alten Hesse sprechen. Auch das wußten wir schon. Und doch fängt erst mit "Raum um Raum" 2004 so richtig an.
Schließlich kommt das neue Millenium nicht mehr ohne aus. Jahr für Jahr erscheint es, meist aus dem "Neuen Kamp 25" in Hamburg, vom Grand Hotel van Cleef: das deutschsprachige Manifest. Das anfangs jede Menge Lobhudeleien auf sich versammelt, aber doch erst wachsen muß, bis es am Ende des Jahres in allen Bestenlisten landet. Spätestens dann dürfen die Meinungen gar nicht mehr salbungsvoll, weil wahr genug sein. Sie werden fortan ständig wiederholt, die Befindlichkeitsparolen, finden sich geschrieben als Slogans an der Wand oder im Epizentrum des Denkens. Die 68er hatten ihr Woodstock, wir haben Alben wie "Raum und Raum". Etwas, das verbindet, das hemmungsloses Fühlen erlaubt, ohne Rot zu werden.
Natürlich, dieses Jahr war sonst nicht viel Niveauvolles im Land. Und gegen die Brillanz von "Hinter all diesen Fenstern" hätte "Raum um Raum" sicher alt ausgesehen. Und doch gelingt diesmal ausgerechnet dieser Bande aus der Eifel - auf Augenhöhe mit Kantes "Zombi" - das beste deutschsprachige Album 2004. Und die beste nationale Punkrock-Standortbestimmung seit Muff Potters "Heute wird gewonnen, bitte". Doch damit sei genug der Vergleiche. Auch wenn es aufmerksame Hörer mehr als nur eine Kettcar-Referenz zu entdecken gilt, bietet "Raum um Raum" mehr Eigenes, als nur die Hesse-Statements, die sich, von einer weisen Stimme als Spoken Word-Schnipsel vorgetragen, durchs ganze Album ziehen.
"Unter uns Darwinfinken" drischt sich mit Highspeed ins Album und schleift die Melodie hinter sich her, bis ihr ganz schwindelig wird. "War nichts" kennt die gemischten Gefühle am morgen danach, "Kopf hoch & Arsch in den Sattel" reitet durch die Prärie der Sonne entgegen. "Jupp" bringt ein klein wenig Mitleid für den Mann auf, der in seinem Leben kaum mehr hat als seinen Job und das NPD-Kreuz auf dem Wahlzettel alle vier Jahre. Und "Wenn es alle verstehen" nagelt es auf den hoffnungslosen Punkt: Alle sitzen wir im gleichen Boot, weit draußen auf See. Aber ein Ruder ist noch da, und jeder muß für sich den Anfang machen.
"Spar die Wehmut für das Alter / Heb die Gläser für John Keating / Reiß die Trauer aus den Büchern / Der Schädel schmerzt, your heart is beating", skandieren Jupiter Jones später. Man kann nicht ewig vertrauen in die Freuds, Nietzsches, Sartres und Kafkas. Irgendwann muß Schluß sein mit den Seiten, die nur schwarz auf weiß zeichnen. Die letzten Worte flüstert Hermann schweigend durch die 42 Minuten. "Ich muß Geduld haben, nicht Vernunft, ich muß die Wurzeln tiefer treiben, nicht an den Ästen rütteln." Also los.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Unter uns Darwinfinken
- Kopf hoch & Arsch in den Sattel
- Versickern / Versanden
- Reiß die Trauer aus den Büchern
Tracklist
- Kein Lied
- Unter uns Darwinfinken
- Alles Glück der Welt
- War nichts
- Raum um Raum
- Wenn alle es verstehen
- Kopf hoch & Arsch in den Sattel
- Jupp
- Versickern / Versanden
- Momentaufnahme
- Reiß die Trauer aus den Büchern
- Auf das Leben! (Für den Film)
Im Forum kommentieren
Jedem Start-Up wohnt ein Dollar inne
2012-05-04 15:18:25
Was wohl Hermann Hesse zu diesen Sell-Out-Burschen Jupiter Jones sagen würde?
FOREST
2012-05-04 14:52:11
jetzt mal ehrlich,welche langweiler hören
jupisser jones,mann mann mann
@Castorp
2012-05-04 14:24:24
Das ist ja schrecklich!
Castorp
2012-05-04 14:12:28
Allein in der Startwoche gingen 12.000 CDs über den Tresen. Pro Stück kommen bei der Band laut Vertrag zwischen einem und 1,50 Euro an, sagt Eigner. Den Gewinn teilen die vier Musiker untereinander auf. Mit "Jupiter Jones" hat Eigner bisher knapp über 56.000 Euro verdient.
1-1,50 Euro pro verkauftes Album, was die Band dann nochmal durch alle Mitglieder teilen muss, hahahaha. Happiness in slavery! Nicht mal ein lumpiger Euro ist pro Bandmitglied drin! Danke für die hundertste, detailliert aufgeschlüsselte Bestätigung, dass große Plattenfirmen fast nur aus soziopathischen Blutsaugern (siehe auch: Kevin Shields Tirade im aktuellen Pitchfork-Interview) bestehen.
Ich wünsche JJ, dass sie irgendwann soviel Kohle verdienen und dem Major irgendwann den Stinkefinger zeigen und abhauen. Über kurz oder lang wirkt sich diese Abhängigkeit vom Major eh auf das Risiko, neue Songs zu komponieren, auf die cleanere Albumproduktion etc. aus und ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass JJ das wirklich wollen(?). Fragt doch mal andere Musiker, wie Gemma Hayes, wie das damals war mit diesem Dreckspack von EMI? Sie würde heute nie wieder bei einem großen Label unterschreiben, weil sie genau erkannt hat, wie sehr man sich damit versklavt und trotz des Geldes langfristig nie glücklich wird, weil irgendein Plattenfirmen-Depp einem in die Kunst pfuscht. KUNST!!111
Will you bite the hand that feeds?
jawoll
2012-05-04 12:35:45
das sehe ich genauso
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