
Destroyer - Your blues
Talitres / Rough TradeVÖ: 30.08.2004
Vorhang auf!
Was ist das? Hat Jarvis Cocker seinem Projekt Relaxed Muscle das Skelettkostümchen vor die Füße geworfen und ein neues Musik-Versuchslabor namens Destroyer eröffnet? Spielen Mercury Rev und Badly Drawn Boy im Märchenwald eine sehr eigene Version der Rocky Horror Show nach? Vertont die flammende Lippe Wayne Coyne mit den Hidden Cameras im Rücken und Scott Walker an seiner Seite Ausschnitte nie erschienener Theaterstücke, die David Bowie in einer geheimen, nicht ganz nüchternen Session irgendwann in den Siebzigern zusammen mit Meat Loaf und Freddie Mercury verzapft hat? All das könnte möglich sein. Die offizielle Version ist aber diese hier: Destroyer nennt sich das Mitte der 90er entstandene Solo-Projekt des Kanadiers Daniel Bejar, den man durch seine Mitwirkung bei den New Pornographers kennt. Und "Your blues" ist bereits sein sechstes Album.
Theatralisch vorgetragene, musicaltaugliche Lyrik, eine simple Akustikgitarre und die hemmungslose Ausschöpfung des Klangspektrums eines alten Synthesizers bilden das Fundament, auf dem Daniel Bejar kleinen Prunkbauten errichtet. Denen man, wie der Opener "Notorious lightning" beweist, ihre pompöse Gestalt zunächst gar nicht anhört. Denn auch wenn gezischt und geflüstert und eifrig akzentuiert wird, ist da gleichzeitig ein auffälliges Genöle, das eher an Bob Dylan erinnert. Aber dann! Pünktlich zum Herannahen der Zeile "There is a monument" legt ein aufgeregtes künstliches Streichorchester los. Das wirkt so echt wie ein Ring aus dem Kaugummiautomaten: kein bißchen. Ein kaltes Konstrukt programmierter Puzzleteile, die dennoch ein Gesamtkunstwerk bilden - das allerdings nicht nur zu beeindrucken, sondern an manchen Stellen auch durchaus anzustrengen vermag.
"It's gonna take an airplane" hingegen ruht akustisch in sich. Frei von Bombast und übertriebener Dramatik hat jenes Stück schon fast das Zeug zur Meditationsmusik - zur bestmöglichen Entspannung empfiehlt sich, die fantastische Schlußzeile "Submarines don't mind spending their time in the ocean" mehrmals zu wiederholen. Es gibt viel zu entdecken auf "Your blues": die nicht zu verleugnende musikalische Nähe von "An actor's revenge" zu den Pet Shop Boys. Oder auch Bejars Freude am Zitieren - der Beginn von "New ways of living" entspricht musikalisch eins zu eins dem Anfang von "Always on my mind" und ist textlich auch mehr als nah dran. Und "What road" zwinkert in Richtung Smiths.
"Your blues" ist dann am besten, wenn Bejar unter spärlicher Akustikgitarrenbegleitung brillant monologisiert; wenn man glaubt, daß die Lautsprecher zur Bühne für einen imaginären Schauspieler werden, der zum Tag der offenen Tür in die Katakomben seiner abstrusen Gedankenwelt einlädt. Auch synthetisch errichtete Klangkathedralen und ausladende Epik machen Freude. Zuviel Synthetisches allerdings weniger. Denn wenn die eigentlich so liebevoll gezimmerten Stücke qualitativ zum Soapstudio aus Sperrholz mutieren, weigert sich die musikalische Überzeugungskraft aufzutreten. Zurecht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- It's gonna take an airplane
- Don't become the thing you hated
- What road
Tracklist
- Notorious lightning
- It's gonna take an airplane
- An actor's revenge
- The music lovers
- From Oakland to Warsaw
- Your blues
- New ways of living
- Don't become the thing you hated
- Mad foxes
- The fox and the hound
- What road
- Certain things you ought to know
Im Forum kommentieren
Markus Wollmann
2006-08-21 16:46:05
"Streethawk: A Seduction" lohnt sich in jedem Fall. Das ist Daniel Bejars absolutes Meisterwerk (@Buttergeist: "Thief" ist ebenso großartig). Mit "The very mordern dance" kennst Du zwar einen der besten Songs der Platte, aber die vielschichtige Transformation "The Bad Arts", "The Sublimation Hour" oder das hypnotische "Farrar, Straus & Giroux (Sea of tears)" solltest Du genießen und verschlingen (lernen). In meinen Top20 aller Zeiten (wenn ich die Muße hätte, mal eine aufzustellen) irgendwo zu finden.
Ganz nebenbei kann ich dem der sie findet unbedingt das Album "City of daughters" empfehlen. Ist sehr rar, aber eine Suche wert.
shrink
2006-08-21 15:01:12
Lohnt sich die "Streethawk: A Seduction"?
Kenne nur den Song "the very modern dance" und der ist riesig. Ist der Rest ähnlich?
Danke!
Buttergeist
2005-02-06 02:36:55
In "This Night" höre ich mich immer noch ein.
Man braucht wirklich extrem lange, bevor sich die Melodien herauskristallisieren. Die komplizierten Songstrukturen machen es einem nicht gerade zugänglich. Aber inzwischen hat mich schon mehr als sie Hälfte des Albums überzeugt und der Rest kommt bestimmt auch noch.
Sein Meisterwerk ist aber immer noch sein drittes Album THIEF. Von allen Destroyer-Alben wahrscheinlich das was man am ehesten mit Pop bezeichnen würde.
Man höre sich nur mal "The Way of Perpetual Roads" an. Ich bekomme immer noch jedesmal eine Gänsehaut wenn das Piano einsetzt, obwohl ich den Song schon fast zu Tode genudelt habe.
bartender
2005-02-05 15:07:38
"This night" habe ich mir damals fast blind gekauft, nachdem ich "Students carve hearts out of coal" (WAS für ein Song!!!) auf einem Heft-Sampler gehört hatte.
Ich habe noch nie eine Platte besessen, die derartig lange gebraucht hat um zu wirken. Inzwischen (zwei Jahre später) würde ich der Scheibe aber glatt ne 9/10 verpassen. Selbst die einfachste Bab-Bab-Baa-Chöre gehen ganz ganz tief rein. Auch die "Jaulerei" passt imho wie die Faust aufs Auge. Highlights: "Here comes the night", "Students", "Goddess of drought" und der finale Piratensingsang "The night moves". Toll!
In "Your blues" hab ich noch garnicht reingehört, warum eigentlich nicht?
el_STORM
2005-02-05 14:42:54
yop, natürlich, großartige Platte... Komisch, mit "The Night" konnt'/kann ich überhaupt nichts anfangen...
Aber hat schon jemand die neue EP gehört? Gefällt mir auch sehr!
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Destroyer - Dan's Boogie (8 Beiträge / Letzter am 06.02.2025 - 15:40 Uhr)
- Cassandra Jenkins - My light, my destroyer (29 Beiträge / Letzter am 14.11.2024 - 22:38 Uhr)
- Alana Yorke - Destroyer (3 Beiträge / Letzter am 20.05.2024 - 10:47 Uhr)
- Of Montreal - Hissing fauna, are you the destroyer? (65 Beiträge / Letzter am 17.03.2024 - 19:48 Uhr)
- Destroyer - Labyrinthitis (9 Beiträge / Letzter am 02.10.2022 - 18:30 Uhr)
- Destroyer - Have we met (10 Beiträge / Letzter am 02.03.2020 - 16:45 Uhr)
- TR/ST - The destroyer - 2 (3 Beiträge / Letzter am 08.11.2019 - 16:50 Uhr)
- Black Mountain - Destroyer (3 Beiträge / Letzter am 03.06.2019 - 11:43 Uhr)
- TR/ST - The destroyer-1 (2 Beiträge / Letzter am 11.04.2019 - 12:17 Uhr)
- Destroyer - Ken (17 Beiträge / Letzter am 14.11.2017 - 09:47 Uhr)
- Destroyer - Poison season (24 Beiträge / Letzter am 09.11.2015 - 22:48 Uhr)
- Destroyer - Kaputt (85 Beiträge / Letzter am 03.07.2013 - 20:08 Uhr)
- Pig Destroyer - Book Burner (15 Beiträge / Letzter am 02.01.2013 - 17:44 Uhr)
- Suche: Ähnliche Alben wie Destroyers Kaputt? (4 Beiträge / Letzter am 13.08.2012 - 01:28 Uhr)
- Destroyer - Destroyer's rubies (45 Beiträge / Letzter am 25.05.2012 - 12:33 Uhr)
- Bester Song von Destroyer (4 Beiträge / Letzter am 09.05.2012 - 22:39 Uhr)
- Destroyer Favourite Tracks (1 Beiträge / Letzter am 09.07.2011 - 18:57 Uhr)
- Destroyer - Streethawk: A seduction (6 Beiträge / Letzter am 01.03.2011 - 07:39 Uhr)
- George Thorogood & The Destroyers (13 Beiträge / Letzter am 15.07.2009 - 02:53 Uhr)
- Pig Destroyer - Phantom limb (14 Beiträge / Letzter am 28.11.2008 - 07:34 Uhr)
- Destroyer - Trouble in dreams (6 Beiträge / Letzter am 18.04.2008 - 14:46 Uhr)
- The Meat Destroyer (1 Beiträge / Letzter am 24.08.2007 - 02:33 Uhr)
- Destroyer - Your blues (8 Beiträge / Letzter am 21.08.2006 - 16:46 Uhr)
- Zolof The Rock & Roll Destroyer (3 Beiträge / Letzter am 28.01.2006 - 19:54 Uhr)
- Low - The great destroyer (4 Beiträge / Letzter am 15.06.2005 - 11:49 Uhr)