Swans - Birthing

Mute / Rough Trade
VÖ: 30.05.2025
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Das Runde im Eckigen

In der großen, weiten Welt der Rockmusik hat kaum jemand die Wiederholung als ästhetisches Prinzip so sehr verinnerlicht wie Swans. Klangräume wie schwarze Löcher mit erderschütternder Repetition prägen das Werk von Michael Giras Band vor allem seit dem monumentalen "The seer". Zuletzt hatte "The beggar" das Prinzip der Wiederholung als Rückgriff auf die eigene Vergangenheit begriffen, was sein Nachfolger "Birthing" gleichermaßen abrundet, wie er auf ein verändertes Danach verweist. "After that, Swans will continue, as long as I'm able, but in a significantly pared down form", erklärt Gira, ähnlich wie einst im Zuge von "The glowing man" – passend, weil "Birthing" ebenfalls einen Trilogieabschluss im zweiten Lebenszyklus der Band markiert. Eine gute Ausrede dafür, dass die Platte die Neugeburt eben bloß vorbereitet, die Parameter eines Swans-Albums wieder nur nuanciert verschiebt. Doch wer eine so beeindruckende und eigenständige künstlerische Identität ausgearbeitet hat, muss sich nicht im Geringsten dafür entschuldigen, an diese höchstklassig anzuknüpfen, anstatt sie komplett neu zu denken.

Zumal "Birthing" weitaus mehr Wucht als etwa ein "Leaving meaning" entwickelt und durchaus zu überraschen weiß. Im Grunde passiert dies bereits im vorab veröffentlichten "I am a tower", wenn sein Ausbruch in den letzten sechs Minuten wie die Swans-Variante von Stadion-Rock mit starker "Heroes"-Schlagseite klingt – nicht erahnbar, als der Song noch mit Frauengesang durch einen kahlen Wald aus Saiten-Sägen und Percussion-Asche streifte und Gira seinen Vortrag bis zum Schlagzeug-Kollaps mit immer mehr Galle füllte. Das eröffnende "The healers" beginnt mit Ambient-Flächen und Chor zwar ebenfalls unheilvoll, aber bedächtiger, auch wenn Giras Texte alles andere als meditationsbegleitend einwirken: "I am the mother of our slaughter / I break your bones to feed our daughter / In buried dreams I sift the powder / Inside your throat I hid her thunder." Nach einiger Zeit schält sich aus diesen Beschwörungen ein typischer Swans-Groover, der sich selbst auf den Knochen runternagt und in die Mundharmonika keucht, bevor er erst mit dissonanter Brutalität, dann mit an "Avatar" gemahnender Weltuntergangsdramatik zurückschlägt. Es ist mal wieder nicht weniger als atemberaubend.

Der Titeltrack droht, als dritter sich langsam aufbauender 20-Minüter in Folge auf dem Papier zu ermüden, ist dafür in der Realität aber strukturell zu spannend. Schon die erste Hälfte wirkt wie ein Ritual, die zweite dreht allerdings nicht einfach die Lautstärkeregler hoch, sondern schlägt zwischen unbarmherzigen Gitarren-Walzen und Piano-Zärtlichkeiten einige Haken. "Will it end? Does it end?" fragt Gira, und man wünscht sich trotz der langen Laufzeit, die Antwort würde "nein" lauten. "Your mind is a lie and a lie is a line spinning in a spiral", behauptet im Anschluss das deutlich kürzere "Red yellow", während es dezente "Children of God"-Vibes erzeugt, ehe es in den nächsten hypnotischen Groove samt freidrehendem Saxofon kippt. Als aggressivster Track der Platte bohrt sich "Guardian spirit" mit stoischem Nachdruck ins Fleisch, Gira wird fast verrückt vor Wut: "I am lifting you up / I am eating your head / Now feed me my find / My life is your death" – das wortlose Schlussgepolter dürfen wir vor unserem Ableben allerdings noch bestaunen.

Mit "The beggar lover (Three)" platzierte der Vorgänger ein collagenhaftes Wunderwerk an vorletzter Stelle, was "Birthing" wiederholt – nicht, dass das gerade einmal ein Drittel so lange "The merge" hier unbedingt ein Schlüsselstück darstellen wurde, doch zeichnet es sich durch eine ähnliche, vermeintlich strukturlose Unvorhersehbarkeit aus. Ein Computer explodiert, ein Bass spielt sich in Trance, Bläser geraten in Free-Jazz-Panik und ein als Little Mikey kreditiertes Kind zählt auf Deutsch bis zehn. Es folgen: Raumfüllendes Geräusch, körperlose Stimmen, ein windschiefer Akustik-Abgesang, und irgendwann versucht man, die Hand durch dieses schwarze Runde im sandfarbenen Eckigen zu stecken, nur um festzustellen, dass es sich doch bloß um ein flaches Albumcover handelt.

Nach diesem Hirnzwirbler bleibt Swans nur übrig, den Druck abzulassen und sich mit einem ihrer jüngeren Lieblingsthemen, der Vergänglichkeit, zu beschäftigen. Der zweigeteilte Closer "(Rope) Away" besteht hauptsächlich aus einem Instrumentalstück, das wie ein verglühender Post-Rock-Stern immer heller wird, bevor es eine von Flöten und Vibrafon unterstützte Folk-Perle auf den Erdboden wirft. Konstatierte Gira zuvor noch "Michael is done", fragt er hier nach den seelischen Überbleibseln verstorbener Weggefährt*innen: "And where has Alice gone? / And where has William gone? / And where has poor Catherine gone? / And where has Simon gone?" Die Antwort steckt vielleicht in dieser auf dem Album einzigartigen fragilen Schönheit, vielleicht aber auch an einem Ort, an dem man sie ohnehin nicht (be)greifen kann. "I'll stir the stars to feed your eyes / We'll drift away in dreams tonight." Nichts lieber als das.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • The healers
  • Birthing

Tracklist

  1. The healers
  2. I am a tower
  3. Birthing
  4. Red yellow
  5. Guardian spirit
  6. The merge
  7. (Rope) Away
Gesamtspielzeit: 115:41 min

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Felix H

2025-06-12 14:27:53

Aber, werde ich es oft hören? Ich denke eher nicht, viel zu weitschweifig, zu anstrengend, zu (Zeit)intensiv.
Ich glaube die Band muss sich auf die Dauer neu erfinden, evtl. wären "normalere" Songstrukturen und Songlängen ein Anfang, weg von überlangen Drones. Aber Gira hat ja auch was in der Richtung angekündigt.


Sehe ich genauso. Ich höre deshalb Swans auch wenig, weil ich selten(er) 2 Stunden Zeit habe, das in Ruhe zu tun. Und weil ich trotz der absolut vorhandenen Qualität schon das Gefühl habe, es "reicht" mit dem Stil.
Da Gira aber schon nach "The Glowing Man" ähnliches angekündigt hatte, bin ich mir nicht sicher, ob das so kommt.

Watchful_Eye

2025-06-11 23:42:46

"Jau. Wenn mir einer mit "Danke, ich höre mal die Tage rein" kommt, frage ich gar nicht mehr weiter nach, eh sinnlos. "

Also so würde ich aber auch reagieren, wenn mir jemand einen Song schickt, erst Recht bei einem langen Song, der Aufmerksamkeit erfordert. Soll ich etwa sofort alles stehen und liegen lassen?

Deaf

2025-06-11 21:49:29

Ich glaube die Band muss sich auf die Dauer neu erfinden

Jetzt auf die alten Tage hin bestimmt nicht mehr. Ausserdem waren solche epischen Songs von Anfang an nie massentauglich.

oldschool

2025-06-11 20:51:56

@Mann mit Wampe: Vielleicht liegt das auch etwas am Alter oder am Zeitgeist. Mit 22 habe ich mich auf so was noch gerne eingelassen. Heute ist das wie du sagst etwas anstrengend im hektischen Alltag. Dazu kommt noich spotify und die Tatsache, dass man heute alles haben kann und überall mal reinhören kann. Und viele tun das! Reinhören...nicht anhören.
Ich hatte einigen Freunden die Car Seat Headrest empfohlen und bin groß gescheitert. Weil niemand einen der langen Song angehört hat! Sondern nur angespielt hat.

Mann 50 Wampe

2025-06-11 18:54:25

Wieder ein Monolithisches Album, auf dem es viel zu entdecken gibt und dass sehr viel Aufmerksamkeit erfordert. Nach dem ersten kompletten Durchlauf gefällt es mir ganz gut, auf dem Niveau der Vorgänger.

Aber, werde ich es oft hören? Ich denke eher nicht, viel zu weitschweifig, zu anstrengend, zu (Zeit)intensiv.
Ich glaube die Band muss sich auf die Dauer neu erfinden, evtl. wären "normalere" Songstrukturen und Songlängen ein Anfang, weg von überlangen Drones. Aber Gira hat ja auch was in der Richtung angekündigt.

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