Bonnie 'Prince' Billy - The purple bird

Drag City / Domino / GoodToGo
VÖ: 31.01.2025
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10
3/10

Gemeinsames Zuhause

Wer bei dem Namen Will Oldham noch immer hauptsächlich einen eigenbrötlerischen Schrat vor Augen hat, liegt einerseits richtig und hat doch ein paar wesentliche Abzweigungen nicht mitbekommen. Seit einiger Zeit besingt der nur vermeintliche Individualist nämlich ebenso vermeintlich uncoole Tugenden der Gemeinschaft: Einfühlungsvermögen, Miteinander, das einfache Leben. Verband sich dies auf dem so treffend betitelten Vorgänger "Keeping secrets will destroy you" noch häufig mit sorgenvollen, zurückhaltenden Meditationen über die Flüchtigkeit des Glücks im Angesicht von Tod und Umweltzerstörung, so bringt "The purple bird" neue Facetten zum Vorschein. Gewissermaßen bildet es das vordergründig heitere Pendant, was schon die warmen Klavierakkorde des Openers "Turned to dust (Rolling on)" verkünden. "Can't we all just get along / As life keeps rolling on", fragt Oldham und beschließt kurzerhand, das nationale Motto der USA den Demagogen zu entreißen. "In God we trust?" Ja, aber eben nicht diejenigen "who prey upon the foolish and the weak".

Erst zum zweiten Mal in seiner Karriere arbeitet Oldham mit einem externen Produzenten zusammen: Der Country-Routinier John Ferguson schart einen Haufen exzellenter Studiomusiker um Bonnie 'Prince' Billy und gibt den zwölf Songs ihren vollen, aufgeräumten Klang. "The purple bird" ist also eine Art Nashville-Platte geworden – süffig, spielfreudig und so eingängig wie kaum eine zweite in seiner Diskografie. "You're only as good as the people you know", singt Oldham im beschwingten Closer "Our home", der schon live für Wippen und Lächeln sorgte und mit Fiddle und Mandoline angenehm an The Waterboys erinnert. Voller Wortspiele und Lebenslust ruft Oldham dazu auf, sein eigenes kommunales Zuhause errichten, ein utopisches Gegenbild zur zersplitternden amerikanischen Gesellschaft: "We got the power and it's all off the grid." Es ist so etwas wie das Leitmotiv des Albums, eine Reaktion auf die schmerzhaften Diagnosen, die Oldham andernorts ausstellt.

"The constant implied threat of violence eats away at our precious loving time", mahnt das sphärisch-wabernde "Sometimes it's hard to breathe", während die im Duett mit Nashville-Ikone John Anderson gesungene Ballade "Downstream" soziale Verantwortung fordert: "We live in the ruins of another life's dream." Munter nutzt Oldham die breite musikalische Palette und hebt seine charakteristische Stimme, die von Album zu Album voluminöser und vielseitiger zu werden scheint, in sanften Harmonien auf. Mal setzt ein Song mit dunklem Chamber-Pop ein, der sich dann beharrlich gegen den Reiz des Rückzugs wehrt ("London May"), dann greift beschwipster Honky Tonk den uralten Country-Topos des Trinkers auf, der bei den Hunden statt seiner Geliebten schlafen muss. Dabei wird er aber immerhin von charmanten Bläsern und der Slide-Gitarre begleitet ("Tonight with the dogs I'm sleeping"). Das großteils akustische "Is my living in vain?" mixt zu den dezenten Drones der Maultrommel ein Destillat der existenziellsten aller Fragen, beantwortet sie mit hart errungenem Grundvertrauen.

Viele der eindringlichsten Momente auf "The purple bird" entstehen genau dann, wenn sich Falltüren unter der Behaglichkeit auftun. "One of these days (I'm gonna spend the whole night with you)" kreist eloquent um das Unaussprechliche einer Liebeserklärung. "Boise, Idaho" spürt mit seinen sehnenden Streichern und einer verhallten Gitarre den Abschiedsschmerz bis in die Knochen. Wenn ein Akkordeon hinzukommt, entrückt sich die Atmosphäre so weit, dass alte Palace-Großtaten wie "West Palm Beach" oder "Gulf shores" in den Sinn kommen. "Guns are for cowards" klingt zunächst wie ein lustiges Kirmesliedchen, bis hinter Gelächter und "La-la-la"-Chören textliche Gewaltorgien ausbrechen. "Who would you shoot in the face?", fragt Oldham fröhlich, singt von Blutlachen und dem Schicksal einer Bekannten: "She couldn't scream / Her mouth had been shot / And now she's not with us today." Völlig unvermittelt trifft der Song nach den Einladungen zur idyllischen Strand- ("The water's fine") und Badeparty ("New water"), die ihm vorausgehen – das macht ihn als verstörenden politischen Kommentar umso wirkungsvoller. Unterm Strich bleibt aber vor allem dieser Eindruck: Oldham will mit "The purple bird" einen Ort finden jenseits der politischen Krisen Amerikas, die den Subtext des Albums durchziehen. "Pull down the fences and pull up a chair / That’s how we make it our home". Na dann: An die Arbeit!

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Boise, Idaho
  • Guns are for cowards
  • Is my living in vain?
  • Our home (feat. Tim O'Brien)

Tracklist

  1. Turned to dust (Rolling on)
  2. London May
  3. Tonight with the dogs I'm sleeping
  4. Boise, Idaho
  5. The water's fine
  6. Sometimes it's hard to breathe
  7. New water
  8. Guns are for cowards
  9. Downstream (feat. John Anderson)
  10. One of these days (I'm gonna spend the whole night with you)
  11. Is my living in vain?
  12. Our home (feat. Tim O'Brien)
Gesamtspielzeit: 43:19 min

Im Forum kommentieren

AliBlaBla

2025-01-31 19:44:25

"London May" is sehr schön, finde ich ein absolutes Highlight...mit "Boise, Idaho"

kusubi

2025-01-31 18:42:13

Ich habe seit Tagen London May als Ohrwurm

AliBlaBla

2025-01-31 17:07:01

Beste Bonnie "Prince" Billy in....Ewigkeiten...
Über Erwartung begeistert, würde 8 zücken

MickHead

2025-01-31 13:15:59

jetzt komplett bei Bandcamp:

https://bonnieprincebilly.bandcamp.com/album/the-purple-bird

MickHead

2025-01-28 16:52:35

Letzter Song vor dem Release:

"Turned To Dust (Rolling On)"

https://youtu.be/Otc_nvvTBvM?si=bnTUB6SRag_eH8T5

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