Turbostaat - Alter Zorn

PIAS / Rough Trade
VÖ: 17.01.2025
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
4/10

Fünf Freunde und das Grau

Der Beginn des Jahres 2025 fühlt sich ziemlich grau an, auch abseits der Witterung eines gewöhnlichen Januars. Doch es gilt, das Leben zu schätzen. Ein Herzinfarkt im unmittelbaren Umkreis zwang Turbostaat von jetzt auf gleich in die Knie. Stillstand, Ungewissheit. Ein Schlag, der die nordfriesische Punk-Institution lahmlegte wie Corona einst die Kultur. Und just zu einem Zeitpunkt, als Turbostaat sich anschickten, die Pandemie hinter sich zu lassen und ihr tolles 2019er-Album "Uthlande" durch die Republik zu tragen. Jenes Ereignis hätte gut und gerne das Aus für die Band bedeuten können. Zum Glück kam es anders.

"Alter Zorn", das achte Turbostaat-Album, markiert eine Art Neustart für Marten Ebsen, Jan Windmeier, Rollo Santos, Tobert Knopp und Peter Carstens, für jene Husumer Freunde, die sich bereits seit der Schule kennen und 2024 das 25. Band-Jubiläum feiern durften. Das Quintett blickt dieses Mal nicht auf Küste, Hallige oder Watt, sondern nimmt vemehrt die Großstadt-Perspektive ein. Dort sind sie anders markant, jene Konturen unserer Existenz. Schonungslose Bilder zeichnen die Lyrics. Man blickt in die "Affenstraße", wo der Schmutz nach dreimal Hinsehen vertraut wirkt, ähnlich ergeht es uns mit diesem intensiven, von Breaks geschüttelten Opener. Das Album erzählt von "Ruinen zwischen Glas und Stahl" in unseren Metropolen, die immer beklemmender werden, voller "greller Sommerkotze" und Scherben. "Der Schmerz hat einen Namen / Doch wir sprechen ihn nie aus", heißt es im energischen Finale von "Subraum", und neben all den Obdachlosen huschen auch sie vorbei: die Gewinner abseits der Bordsteinkante, die mit Karte zahlen, aber Dankbarkeit verlernt haben.

Das Verarbeiten der eingangs beschriebenen Geschehnisse gelingt dabei auch auf musikalischer Ebene. Nimmt man das ein oder andere melodieselige Stück wie etwa "Scheissauge" mit seinem anderthalbfachen Refrain aus, gelingt es Turbostaat auf dieser Platte durchaus, den Kreis zu ihren räudigeren Frühwerken zu schließen. Kantig und kompromisslos sind die neuen Songs geraten, die abermals durch Moses Schneider in Szene gesetzt wurden. Und die ihre akustische Wirkungskraft auf unterschiedliche Art und Weise entfalten – sei es durch die drückende Intensität des Closers "Jedermannsend" oder durch den Titelsong, welcher in windschiefem Rhythmus und in Dissonanz aufblühen darf, bevor es zum akustischen Handkantenschlag kommt. "Altes Leben / Alte Liebe / Alter Zorn.". Das sitzt. Forsch poltert "Vinograd" in unter drei Minuten ins Ziel, schlagen die kleinen, aber feinen Punkrocker "33 Tage" und "Mutlu" ihre Haken, während das bereits seit 2022 bekannte "Otto muss fallen!" im neuen Soundgewand zur absoluten Punkrock-Hymne mutiert.

Einsamkeit und Grau? Hallo Großstadt! Zeilen wie "Blaues Flackern und Gardinen" lassen im andächtigen Post-Punker "Isolationen" ganze Straßenzüge allabendlicher Monotonie erahnen. "Es ist einsam hier", konstatiert das forsche "Nachtschimmel" dagegen ohne Umschweif. Kaum verwunderlich in einer von Egoismus geprägten Gesellschaft, die mehr und mehr dazu neigt, bloß noch Schwarz oder Weiß zu sehen. Genau hier aber finden Turbostaat durch ihre ureigene Linse, in Form ihres unverkennbaren, in Moll getünchten Punks, erneut circa "50 Wörter für Grau". Die Band verpasst keine Gelegenheit, auszusprechen, wie dankbar sie sei, das mit der Musik einfach noch immer machen zu dürfen. Und wir? Sind einfach froh, dass die fünf Nordlichter unseren Alltag noch immer bereichern.

(Eric Meyer)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Alter Zorn
  • Nachtschimmel
  • Otto muss fallen!
  • Mutlu
  • Jedermannsend

Tracklist

  1. Affenstrasse
  2. Subraum
  3. Scheissauge
  4. Alter Zorn
  5. Nachtschimmel
  6. Isolationen
  7. Winograd
  8. 33 Tage
  9. Otto muss fallen!
  10. Dem Annern sin Uhl
  11. Mutlu
  12. Jedermannsend
Gesamtspielzeit: 41:17 min

Im Forum kommentieren

Zwen

2025-05-19 12:51:14

Auch wenn es hier eigentlich keinen wirklichen Grund gibt - außer, dass ich mich in Vorbereitung auf mein ca. 13. Turbostaat Konzert am Donnerstag in Hamburg mal wieder durch die komplette Diskographie höre - will ich auch nochmal a la Glufke meinen subalternen Kommentar zur gesamten Diskographie abgeben.....

Flamingo:
Schnelle tappt man in die Falle, in klassischer Anti-Manier, das erste und quasi unkommerziellste Album als DAS Album zu bezeichnen. Langweiliger Hipster-Pick. Aber: Für mich bleibt es das absolute von vorne bis hinten unerreichte Werk von den Jungs. Damals xmal auf norddeutschen Bühnen live gesehen und auch später immer noch ein Grinsen im Gesicht bei den Live-Darbietungen von Cpt. Käse, Drei Ecken, 18:09 oder natürlich Wieso Herbst?. Unzerstörbares Album, Deutsch-Punk-Rock-Perfektion. (11/10)

Schwan:
So wie Flamingo in einen Hauch schwächer. Vom Federvieh im Titel bis zum generellen Klang - einfach ein extrem gutes Follow-Up. Nicht mehr ganz so stürmisch aber mit unzerstörbaren Hits wie Schwan, Die Stulle oder dem 2. Karton. (9/10)

Vormann Leiss:
Irgendwie hört man das Major Label ein bisschen. Oder man nennt es Weiterentwicklung. Im Ergebnis ist es alles etwas weniger stürmisch, etwas ausgefeilter und etwas - dare I say - poppiger. Mit Haubentaucherwelpen hier mein persönlicher absoluer Turbostaat Lieblingssong enthalten. Udn auch der rochelnde Harm natürlich einer für die Ewigkeit. Der erste "richtige" Hit vermutlich. Und dann nicht zu vergessen "Husum, verdammt" (ich komme aus Flensburg und kann das Sentiment 1:1 nachvollziehen...). (8,5/10)

Das Island Manöver
Tja. Irgendwie für mich damals das erste Album gewesen, das ich im Vergleich etwas achselzuckender aufgenommen habe, als mir llieb war. Lange Zeit wenig bis kaum gehört. Jetzt mal wieder. Und es bleibt für mich eher eins der schwächeren. Zum Beispiel fällt mir jetzt wieder auf, dass der "Hit" (Pennen bei Glufke) hier jetzt zum ersten Mal für mich nur ein halber Hit ist. Und dann muss ich jedes Mal meinen Finger unter Kontrolle halten, Füfwürstchengruff und Täufers Modell nicht zu skippen, die mich latent nerven... Für mich vermutlich das schwächste Album - trotz dessen, dass ich gerade Fraukes Ende oder Fuhferden und den Titelsong schon ziemlich geil finde... (6,5/10)

Stadt der Angst
Das Album, das ich mir damals eher so aus Gewohnheit gekauft habe, denn aus Überzeugung. Und dessen Bewertung mir auch jetzt noch mit am schwersten fällt. Musikalisch schon eine Fortsetzung vom Manöver mit noch etwas weniger Sturm und Drang (vielleicht). Irgendwie gibt es hier sehr wenige Songs, die mir auch Jahre später direkt ins Ohr kommen. Vielleicht bewusst eins der Alben, von denen recht wenig Songs im Live-Repertoire landen? Ich muss aber auch zugeben, dass ich immer eher ein Sucker für den klassischen Turbostaat-Sturm-und-Drang-Hit als für den Song wo etwas mehr passiert und der ein wenig komplexer ist. (Bin da etwas schlichter gestrickt….). Sohnemann Heinz und Alles bleibt konfus (wenn man die nervigen ersten 20 Sek überstanden hat…) allerdings hochhaushoch, aber in Summe hier die wenigsten Songs, die ich mit auf eine Insel nehmen müsste…… (6/10)

Abalonia
Hat mich damals in einer „Nicht-Turbostaat-Zeit“ erwischt. Und ich weiß noch genau, dass ich nach den Rezensionen direkt das Gefühl hatte „hm, liest sich wie eine Fortsetzung von Stadt der Angst“ und mich erstmal gar nicht mit dem Album befasst. Erst retrospektiv im Rahmen der Uthlande-Tour wirklich gehört. Und direkt festgestellt, dass es ein großer Fehler war, das damals zu ignorieren. Fand das dann (für mich) erstaunlich extrem gut und rund. Der Überbau interessiert mich eher weniger, aber ein Album, das so konsistent und vor allem konsistent stark ist mit wirklich jetzt schon absoluten Klassikern wie Ruperts Grün oder dem Titelsong. (9/10)

Uthlande
Für mich irgendwie eine runde Mischung aus allen Phasen des Staates (eigentlich vergleichbar zum Alten Zorn). Ich hab da bisschen bei beiden Alben das Gefühl, dass sie sowas wie das absolut runde „Alterswerk“ der Band darstellen. Klar – weniger Rotze als am Anfang der Karriere, aber auch in Summe weniger „Experimente“ als in der Mitte. Uthlande sicher bisschen „härter“ als Alter Zorn. Tolle Songs, die für mich schon weit vorne in jeglichen Staat-Playlists sind wie Rattenlinie Nord (alles an dem Song: JA!) oder Ein schönes Blau. (8/10)

Alter Zorn
Fast noch nicht soooo oft gehört, dass ich jetzt sonderlich kompetent was schreiben kann. Aber eigentlich steht auch schon das meiste bei Uthlande. Produktion vielleicht tatsächlich nicht optimal. Auch für den Gesang. Ansonsten aber: ein neues Turbostaat-Album. Was soll man mehr sagen? An der Hit-Front mit Jedermannsend, Scheissauge oder Alter Zorn auch mal wieder breit aufgestellt. (8/10)

Also - trotz der mich durchaus vorhandenen Höhen und Tiefen in der Diskografie live jedes Mal eine 10 von 10. Mir muss erstmal jemand eine Band zeigen, die jetzt über knapp 30 live JEDES MAL so als Einheit alles rauslässt. Auch wenn es abgedroschen ist, bei mir drängt sich jedes Mal das Bild des gut geölten Motors aus, wenn ich mal wieder nassgeschwitzt aus einer Location trotte nach einem Turbostaat Konzert. Hab jetzt schon Bock auf Donnerstag....

Glufke

2025-02-27 09:20:03

Kopiert aus dem Konzerte-Thread:

Ich war gestern beim Tourauftakt von Turbostaat in der Sputnikhalle in Münster. Vorband waren Lichterfeld aus Osnabrück, die Indie-Punk im Stil von Matula und Captain Planet spielen. Wenig eigenständig klang das dementsprechend, aber einige Songs hatten schon ihre Momente. Dennoch kein Vergleich z.B. zu Love A, die 2013 mal am gleichen Ort für Turbostaat eröffnet haben.

Ziemlich pünktlich um 21 Uhr starteten dann Turbostaat mit dem Opener des neuen Albums „Affenstrasse“, der live - wie vieles von „Alter Zorn“ - nochmal ein bisschen besser kommt. Anschließend gab es tatsächlich alle Songs vom neuen Album und dazwischen immer wieder alte Hits und Klassiker, wobei u.a „Pennen bei Glufke“ und „Schwan“ schmerzlich fehlten. Generell sorgte der Fokus auf der neuen Platte wahrscheinlich auch dafür, dass die Stimmung etwas verhaltener war, als ich das von ihren Konzerten gewohnt bin. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Publikum in Münster irgendwie generell super zurückhaltend war (auch schon bei Captain Planet 2023). Ich konnte mich zum ersten Mal bei meinem insgesamt 24. Turbostaat-Konzert in die erste Reihe wagen und war einer von vielleicht zehn Leuten, die da vorne ein bisschen entspannt eskaliert sind. In Düsseldorf letzten Dezember wäre das für mich unvorstellbar gewesen, ohne meine Brille zu verlieren und mit einigen blauen Flecken das Konzert zu verlassen. Vorne hätten noch locker 20 bis 30 Personen Platz gehabt, dementsprechend voll war es hinten. Immerhin gab es keine Crowdsurfer, die nerven mich zumindest bei Turbostaat-Konzerten immer.

Ingesamt habe ich auf jeden Fall - vom Publikum, nicht von der Band! - viel bessere Konzerte erlebt. Die Ansagen von Jan und Band waren wie immer grundsympathisch und generell hatte die Band auf jeden Fall richtig Bock. Sie meinten, sie hätten sich oft verspielt, das ist mir aber nicht aufgefallen. Konzert Nummer 25 ist schon in zwei Wochen in Köln und ich setze meine Hoffnungen darauf, dass das Kölner Publikum nicht sämtliche Energiereserven an Karneval verballert hat ;)

Mawi09

2025-01-23 12:45:03

Desto öfter ich das Album hörew, desto besser finde ich es. Sie haben es meiner Meinung anch wieder geschafft ihrem typischen Sound neue Seiten abzuringen. Auch wenn es hier sicher keine große Revolution ist. Aber ich bin mittlerweile begeistert. Die zweite Hälfte ab Isolationen finde ich stärker. Letztgenanntes erinnert mich etwas an die Toten, einen meiner liebsten Tracks von Turbostaat überhaupt. Auch Den Annern sin Uhl, Mutlu, Jedermannsend und 33 Tage sind für mich absolute Highlights.

rainy april day

2025-01-22 21:15:41

Mir gefällt es nach drei, vier Durchgängen sehr gut. Und obwohl ich deine Kritik bei den Songs Affenstraße, Otto muss fallen und 33 Tage irgendwo verstehen kann, weil sie ein bisschen nach Malen nach Zahlen mit Turbostaat klingen, so haben zumindest die ersteren bei mir beide gezündet (Otto muss fallen fand ich schon bei Release stark und die neue Version ist noch einen Tick besser).
Die annern sin uhl oder wie es heißt ist für mich bisher mit Abstand das größte Highlight, der Titelsong dagegen Skip-Kandidat.

Pollen

2025-01-19 10:17:52

Hm… ich folge der Band seit langer Zeit und finde sehr viel sehr gut. „Alter Zorn“ lässt bei mir sehr viele Fragezeichen zurück. Ich finde das Album hält auf der einen Seite mit „Subraum“ und „Isolationen“ zwei super starke Songs bereit. Die Singleauskopplungen sind (wenn auch erwartbar) schön. Auf der anderen Seite (vor allem auf B) finde ich Songs wie „Affenstraße“, „Otto muss fallen!“ und „33 Tage“ einfach furchtbar uninspiriert und schwach. Das Kernproblem liegt meiner Meinung nach im Bereich der Vocals. Da ist viel zu viel „Haus/Maus“, aber dann wieder fehlende Reime, da sind zu viele Silben in den Zeilen, und generell sind die Vocals nervig weit vorne gemischt. Die Produktion mufft auch im Bereich der Instrumentals. Das legt auf die eh schon eher repetitiven Tonabfolgen im Hause Turbostaat zusätzlich eine Staubschicht. Dadurch fühlt sich „Alter Zorn“ nur an ganz wenig Stellen zornig an. Vielleicht Bedarf es auch einfach mal einen neuen Produktionsansatz und neue Leute, die die Band anders inspirieren und Freshness generieren. Ich habe das Gefühl, auch in Anbetracht des Covers, dass man voneinander besudelt ist. Insgesamt kittet das Album für mich einfach nicht. Ich hätte mir vielleicht eher ein Album mit dem Titel „Neuer Zorn“ gewünscht. Bleibe der Band aber natürlich weiterhin treu und freue mich nichtsdestotrotz, dass sie wieder am Start sind.

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum