Levin Goes Lightly - Numb

Tapete / Indigo
VÖ: 18.10.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Er taucht auf

Lebt Onkel Dittmeyer eigentlich noch? (Spoiler: Nein.) Und wie kommt man überhaupt auf so eine Frage? Nun, die Älteren werden sich erinnern, dass Phillip Boa & The Voodooclub 1989 auf "Hair" die kleine Heavy-Albernheit "Albert is a headbanger" platzierten. Zwei Jahre später machten die Osnabrücker Comedy-Punks Die Angefahrenen Schulkinder daraus "Tötet Onkel Dittmeyer" und traten damit nicht nur beim gleichnamigen Valensina-Fabrikanten eine Welle der Empörung los. Was das mit Levin Goes Lightly zu tun hat? Natürlich nichts. Außer, dass der androgyne Musiker aus dem Umfeld von Die Nerven einem Stück seines fünften Longplayers "Numb" den Titel "Headbanging" verpasst hat – und solche Assoziationen häufig zu so grenzwertigem Erinnerungssport wie oben animieren. Was freilich nicht heißt, dass der Stuttgarter plötzlich unter die Metaller gegangen ist.

Stattdessen nutzt er das zu drahtigem Bass und Synth-Arpeggios abzischende Stück als schief grinsende Rampe für die Freude am Leiden: "Is it beautiful when it's sad? / I shake my head as fast as I can." Ein vorzüglicher Einstieg, möchte man meinen. Der Opener "Wasser" ist mit ähnlichem maschinellem Tempo und leicht säurehaltiger Gitarre jedoch fast noch besser und handelt nicht bloß vom kühlen Nass, sondern laut dem Künstler vom Mit-, aber meist Gegeneinander zweier Muränen. "Du schwimmst immer vor und ich hinterher / Der eine trägt Flossen, der andere ein Gewicht / Dein Biss tut weh, aber heilen tut er nicht" – natürlich eine Metapher aufs Hin und Her in schwierigen oder gar toxischen Beziehungen, so hymnisch und azur- bis eisblau arrangiert, als würden Dirk von Lowtzow und Anja Plaschg zu "Ich tauche auf" ein Tänzchen in der Tiefsee wagen.

Doch so kompliziert die menschlichen und tierischen Geflechte auf diesem Album auch sein mögen, so zwingend pochen und federn die Songs. Frühe New Order oder aktuelle Cold-Wave-Acts wie Black Marble oder Boy Harsher laufen quasi nebenan – oder spätestens im Schwarzlicht-Club namens Verzweiflung um die Ecke. Sich endlich mal nicht "Numb" fühlen und eine Portion "Endorphin" abholen. Obwohl auch der nach dem Glückshormon benannte Track den Deckel draufhält, sich aber immerhin ein formschön eierndes Shoegaze-Riff gestattet. Ähnlich gekippt: der croonige Seufzer "Fleck", der mit Zeilen wie "Du hast Geheimnisse und ich hab meine / Aber wer mag das nicht, und wer hat keine?" die Liebe zu funkelden Keyboards als Angelegenheit mit begrenzter Hoffnung enttarnt. Alles konsequent in deutsch-englischem Wechsel vorgetragen.

Und außerdem oft mit gerolltem Halszäpfchen-R, das der Schwabe kurzerhand der Neuen Deutschen Härte entreißt und mit viel Melancholie auffüllt. Auch bei "Okay", einem herrlich elektronisch treibenden Duett mit der Berliner Sängerin Flora – eine Zierde für ein Album, das deutlich straighter ist als das verschachtelte "GA PS" und zackiger als das etwas schlafmützige "Nackt". Und zudem eins, das immer wieder ein kleines Zitat und eine listige Referenz an die Altvorderen fallenlässt: Der samtige Post-Punk-Knüller "Kindness & destruction" pumpt sich von Ski Patrol das Intro zu "Agent orange" und die Refainzeile aus Joy Divisions "She's lost control", den Closer "Sterne" trägt eine angemessen kraftwerkige Kometenmelodie. Und am Ende sind alle so etwas Ähnliches wie glücklich. Man muss es ja nicht gleich übertreiben mit den Endorphinen.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Wasser
  • Headbanging
  • Okay (feat. Flora)
  • Kindness & destruction

Tracklist

  1. Wasser
  2. Headbanging
  3. Fleck
  4. Allein
  5. Trick
  6. Numb
  7. Okay (feat. Flora)
  8. Circles
  9. Endorphin
  10. Kindness & destruction
  11. Sterne
Gesamtspielzeit: 40:24 min

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Armin

2024-10-30 21:05:57- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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