Mabe Fratti - Sentir que no sabes

Unheard Of Hope / Al!ve
VÖ: 28.06.2024
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Zwischenbereiche

Es liegt nahe, Mabe Frattis Geschichte als die einer sukzessiven Öffnung zu erzählen. Das gilt zunächst ganz banal auf geographischer Ebene, als die Guatemaltekin vor einigen Jahren in der sprudelnden künstlerischen Avantgarde Mexiko-Stadts andockte, aber eben auch thematisch und musikalisch. So begann sie einst vorrangig mit Cello und Loop-Gerät, bastelte damit Klanglandschaften, die so entrückt und sperrig wie intim daherkamen. Immer wieder umkreisen ihre Kompositionen und Texte die Grenzen zwischenmenschlicher Kommunikation, von Intelligibilität und Bedeutung. Daran hat sich – wie der Titel ihres Viertlings "Sentir que no sabes" ankündigt – zwar wenig verändert: Wahrnehmungen und Gefühle jenseits des Wissens werden hier erforscht, liminale Räume ausgelotet. Und doch macht Fratti diesmal manches anders als zuvor. Die erste Single "Kravitz" wartet mit klarem Downtempo-Beat auf, Frattis Stimme und die einzelnen Instrumente treten transparenter hervor als bislang gewohnt. Als da wären: eine brodelnde Kontrabasslinie, windschiefe Bläser sowie im zweiten Teil jazzige Klavierakkorde, die den Song harmonisch aufklappen. In seiner cineastischen Qualität erinnert das durchaus an Portishead und läutet eine Reise ein, deren Verzweigungen man gerne folgt.

"Sentir que no sabes" entpuppt sich rasch als Zwitterwesen, das Frattis neugefundene Lust am klassischen Songformat mit den elektroakustischen Experimenten früherer Werke konstelliert. Während der berührend zarte Gesang von "Pantalla azul" von einem verfremdeten Cello und Gitarrenarpeggien umflort wird, schlagen die beiden "Elastica" betitelten Instrumentals ins andere Extrem aus: einmal, indem bis zur Dissonanz verstimmte Streicher einen unbehaglichen Groove erzeugen, dann wieder als abstrakter Ambient. Besonders spannend im wörtlichen Sinne wird es immer dann, wenn Fratti gegenläufige Tendenzen ineinanderfaltet. "Margen del indice" hebt kurz mit Industrial-Elementen an, lässt hinter seinem verspulten Durcheinander aber gelegentlich ein paar Pop-Melodien durchblitzen. Fratti resümiert treffend: " Misterioso material / Dice quién soy yo." Zumeist behalten die Songs jedoch ein minimalistisches Antlitz, in "Quieras o no" auch mal zu einer Formstudie getrieben, die den Bogen etwas überspannt. Dazwischen tummeln sich berückende Zeitlupen-Balladen wie "Oidos", das am Rande der Sprachlosigkeit fragt: "¿Sabes cuáles palabras / Te tienes que tragar?"

"Enfrente", von Fratti zur zweiten Single auserkoren, macht seiner namensgebenden Gegenüberstellung alle Ehre. Einen gesampleten Musique-concrete-Schnipsel dürfen weiche Streicher auffangen, das sich später dezent beimischende Piano klingt nach Kirchenglocken. Dazu berichtet sie von unleugbaren Worten und Lügen, die leicht schlafen lassen, bevor im Outro verwaschene IDM-Drums eine entspannte Trance dirigieren. Es beeindruckt, mit welcher Eleganz Fratti den Pop in ihre stellenweise kryptischen und ominösen Motive einwebt, dabei immer wieder überraschende Lösungen findet. "Intento fallido" löst seine düsteren Ruminationen in einer zuckersüßen Hook auf, inklusive euphorisierendem Tonartenwechsel am Ende: "Y me deshago ante ti." Symptom einer sinnlichen Greifbarkeit? Vielleicht verdichtet der Closer "Angel nuevo" das Album am besten: Anfänglich beinahe meditativ, schält er sich langsam und in mehreren Metamorphosen aus dem Kokon einer Ballade heraus. Wer dem Prozess lauscht, kann nicht umhin, manchmal noch neugieriger auf seine nächste Form blicken zu wollen.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Kravitz
  • Enfrente
  • Intento fallido

Tracklist

  1. Kravitz
  2. Pantalla azul
  3. Elastica II
  4. Oidos
  5. Quieras o no
  6. Enfrente
  7. Elastica
  8. Márgen del indice
  9. Alarmas olvidadas
  10. Descubrimos un suspiro
  11. Intento fallido
  12. Kitana
  13. Angel nuevo
Gesamtspielzeit: 41:49 min

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Randwer

2024-08-01 19:58:21

Oh, das hatte ich noch gar nicht auf dem Schirm. Höre gerade bei Bandcamp ins Album rein. An zwei Stellen bei Kraviz hatte ich auch Portishead-Flashbacks im Ohr. Da werde ich doch gleich mal die 10£ locker machen und den Ohrenschmaus herunterladen.

Armin

2024-07-31 21:20:19- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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