Los Campesinos! - All hell
Heart Swells / Wichita / Rough TradeVÖ: 19.07.2024
Grins mit
Wer bereits ein paar Lenze auf dem Buckel hat, wird es bemerkt haben: Einiges, das man längst belächelte, das man froh war, los zu sein, ist wieder da. Doch dazu später mehr. Nostalgie-Fans, hingehört: Als Los Campesinos!, das Indie-Rock-Septett aus Cardiff, sein tolles Debüt "Hold on now, youngster ..." herausbrachte, zeigte das Kalenderblatt Februar 2008. Ein gewisser Barack Obama hatte seine erste Amtszeit als US-Präsident noch vor sich und auch ZDF-Mann Béla Réthy wusste noch nicht, dass er während der UEFA Euro 2008 zum Radiokommentator umfunktioniert werden sollte.
So wirklich punkten konnten Los Campesinos! einst kurioserweise nur in der Underground-Szene der Staaten, im UK und dem Rest Europas kamen sie nie so wirklich über den Ruf einer netten, nerdigen Indie-Band hinaus. Dennoch gab es immer mal wieder Musik, aber auch längere Pausen. Da die aktuelle Auszeit bereits sieben Jahre andauerte, war es also höchste Zeit für ein nächstes kleines Comeback. In bloß leicht veränderter Stammbesetzung sind sie nun zurück, inklusive knackiger Bio: "The UK's first & only emo band". Aha, nach Buffalo Boots, Doc Martens, dem Pop-Punk soll nun also auch der olle Emo zurück sein? Mehr noch, nun pinnt man sich die drei öminösen Buchstaben auch noch stolz auf die Brust? "All hell" indes heißt das siebte Album, und natürlich lassen die Waliser es sich nicht nehmen, ihrem Publikum das Leben in kleinen und großen Alltags-Dramen näherzubringen. Und das in gleich über 50 Minuten und mit jeder Menge Emotion, Humor und Zynismus.
Worum es geht? Da lassen wir sehr gern Los Campesinos! selbst sprechen: "'All hell' is an album on drinking for fun and drinking for misery, adult acne, adult friendship, football, death and dying, love and sex, late-stage capitalism, Orpheus, day dreaming, night terrors, the heart as an organ and as a burden, suburban boredom, Tears of the Kingdom, increments of time, climate apocalypse, the moon the moon the moon." Ah... ja. Wie das klingt? Nun, ob Indie-Rock, Pop-Punk oder Emo-Rock auf diesem Regal steht, ist relativ egal, denn die Musik von Los Campesions ist herzerwärmend und zaubert ein Grinsen aufs Gesicht. Hymnische Rocksongs mit feinen Emo-Gitarren, mal luftiger, mal forscher, gibt's gleich in der ersten Albumhälfte en masse. Nachdem der Opener ein wenig Atmosphäre aufbaut, fegt das forsche "Holy smoke (2005)" diese Andächtigkeit mit dem unvermeidlichen ersten kleinen Staub-Pogo weg. Unfassbar gut muss der Band die Kreativpause getan haben, denn gleich zwei weitere Kracher lauern: Das flotte "A psychic wound" krallt seinen Refrain samt energischem Chor nachhaltig in die Ohrwindung, "The order of the seasons" punktet mit feiner Gitarren-Violine-Harmonie, bis ein intensives Finale wartet.
Dass die Truppe das mit der Intensität so gut beherrscht wie vielleicht nie, unterstreicht das tolle "Feast of tongues": Getragen zunächst von einem Teppich von Violine und Cello, übernimmt die pointierte Rhythmusgruppe mehr und mehr das Zepter zu Sänger Gareth Davids (vormals Paisey) knödeliger Stimme, bis hintenraus alles ineinandergreift und schlussendlich in post-punkender Schönheit kumuliert. Hälfte zwei bietet etwas weniger Überraschungsmomente, aber dennoch ein paar schöne Perlen. Das treffend betitelte "To hell in a handjob" lässt Dampf ab, "Moonstruck" ist eine absolute Hymne, die ein gewisser John K. Samson mit den Weakerthans nicht viel schöner hinbekommen hätte. "kms" mit Kim Paisey am Mikro haben Los Campesinos! hingegen sehr rau und grungig belassen, ein wenig folkig gar. Heimische Folklore behält zumindest leichten Einfluss auf die Kompositionen der Band, welche zumeist auf das kreative Konto von Gitarrist Tom Bromley gehen. Und wenn dann "0898 heartache" noch einmal mit Nachdruck zum Emorock-Tanz bittet, können jene, die mit diesem Sound gut klarkommen, schon wieder grinsen. Selbst, wenn man etwas vergessen hat, es quasi schon fast los war, ist ein unverhofftes Wiedersehen wie dieses manchmal einfach nur schön.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Holy smoke (2005)
- Feast of tongues
- The order of the seasons
- Moonstruck
Tracklist
- The coin-up guillotine
- Holy smoke (2005)
- A psychic wound
- I. Spit; or, a bite mark in the shape of the Sunflower State
- Long throes
- Feast of tongues
- The order of the seasons
- II. Music for aerial toll house
- To hell in a handjob
- Clown blood/Orpheus' bobbing hand
- kms
- III. Surfing a contrail
- Moonstruck
- 0898 heartache
- Adult acne stigmata
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Yndi
2024-08-20 11:04:01
Sie live zu sehen ist in Festlandeuropa auch quasi unmöglich, wirklich schade. Das Album find ich auch wieder richtig super, auch, wenn mir das super abgedrehte etwas fehlt. Top 10 peilen sie dennoch an.
Rasmussen
2024-08-20 10:54:28
Schade, dass sie hierzulande weiter so unter dem Radar laufen. Rundum gelungen und klarer Anwärter auf mein Album des Jahres.
Highlights wechseln täglich, einzig Moonstruck und Psychic Wound fallen in meiner Gunst etwas ab
Immermusik
2024-08-17 19:48:33
Ähnlich wie Superchunk klingen die immer noch so herrlich juvenil und überschwänglich. Spitzenband.
Glufke
2024-08-17 13:59:26
Lange kein Album mehr gehabt, das sich so schleichend zu einer Herzensplatte gemausert und jetzt Potenzial zum Album des Jahres hat. Ich würde keinen Song unter 8/10 bewerten. "Holy Smoke" und "Feast of Tongues" sind meine Highlights unter vielen Highlights.
saihttam
2024-07-21 23:21:26
Schöne Euphorie mal wieder. Vielleicht passt das gut zum Sommer.
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