
Kate Nash - 9 sad symphonies
Kill Rock Stars / BertusVÖ: 21.06.2024
Gestrichen voll
Auf dem Papier passt's wie die Faust aufs Auge: Kate Nash, die sich nach dem Nullerjahre-Erfolg ihres Indie-Pop-Meisterstücks "Made of bricks" in Richtung Punk-Attitüde und DIY-Veröffentlichungspolitik entwickelte, releast ihr fünftes Album auf dem ikonischen Label Kill Rock Stars, das historisch eng mit der Riot-Grrrl-Bewegung verwoben ist. Doch anstatt die Gitarrenverstärker noch lauter zu drehen und den relativen Lo-fi-Ansatz des per Kickstarter finanzierten "Yesterday was forever" fortzusetzen, wird "9 sad symphonies" seinem Titel gerecht. Nash ließ sich von altem Hollywood-Glanz inspirieren und bannt die Erfahrungen auf Platte, die sie Anfang der 2020er durch die Konzeption eines eigenen Musicals sammelte. Dominante Orchesterflächen umhüllen ihre Melodien, während ihre schwarz- und trockenhumorige Cockney-Schnauze unter der Theaterpracht natürlich nichts von ihrer Bissigkeit verloren hat. So wandelbar, wie sich die Britin in ihrer bisherigen Karriere gezeigt hat, fügt sie sich auch in die neue Ästhetik so reibungslos ein, als hätte sie nie etwas anderes gemacht – und zaubert aus diesem Zustand zwischen Selbstzufriedenheit und künstlerischem Wachstumswillen ihr bestes Album seit "My best friend is you".
Traurig sind diese Sinfonien allerdings nur, wenn man genau hinhört. Die eröffnende Lead-Single "Millions of heartbeats" thematisiert Inspirationsverlust und eine in den rechten Abgrund driftende Welt, klingt mit seinem Piano-Glitzer und einem von Streichern in die Höhe gerissenen Refrain jedoch maximal erbauend. Jene Streicher treiben auch das grandiose "Misery" vorwärts, ehe ein nervöser Beat die Opernwände endgültig zum Zittern bringt. Die Verbindung klassischer Elemente mit Pop-Gesten und clubtauglicher Elektronik zelebriert die Platte auf konstant hohem Niveau. Der Disco-Ausbruch nach zwei Minuten von "Wasteman" funktioniert, gerade weil er so käsig ist – Camp gehört bei Kate Nash schließlich nicht erst dazu, seit sie eine Achtzigerjahre-Wrestlerin in der Netflix-Serie "Glow" porträtiert hat. In diesem Sinne liefert sie ein Musterbeispiel dafür, wie man als Künstlerin liebgewonnene Trademarks ohne jede Abnutzungserscheinung in die Gegenwart transportiert – und wirkt auch mit einem namhaften Label im Nacken so befreit, dass von ihrem einstigen Ärger mit der Plattenindustrie nichts mehr zu spüren ist. An anderen Frust- und Wutauslösern mangelt es im Jahr 2024 sowieso wahrlich nicht.
Doch oft genug ist es nicht der Weltschmerz, der am tiefsten reindrückt. "Horsie" flüchtet in die Natur, um sich der Einsamkeit nach einem Beziehungsende zu entziehen, und ringt dieser Sehnsucht die kraftvollste Hook der Platte ab. Seltsame Erinnerungen an eine vergangene Flamme verwebt Nash zum Märchen-Epos von "Space oddyssey 2001", erinnert dabei nicht zum ersten Mal an Regina Spektors tolles "Home, before and after". Passend zum, natürlich unangebrachten, "My God, this film is so fucking long"-Statement des Songs wirkt die durchgehende Opulenz hier zum ersten Mal ein bisschen erschlagend. Klugerweise zieht Nash jedoch nicht nur nach knapp 40 Minuten den Vorhang zu, sondern lockert die Orchesterdecke auch in den letzten zwei Tracks auf. Das wundervolle "Ray" weist in der Refrainmelodie besonders auffällig auf "Made of bricks" zurück und baut auf eine rohe Akustikgitarre, während die Streicher nur die besungenen Sonnenstrahlen abbilden. Das zehnte und letzte Stück "Vampyre" entschlackt sich als kleine Country-Ballade sogar noch mehr und lässt sich zu einem waschechten Happy End hinreißen: "Turns out you were under my nose, you are the one." Es sollten ja auch von Anfang an nur "9 sad symphonies" werden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Misery
- Wasteman
- Horsie
- Ray
Tracklist
- Millions of heartbeats
- Misery
- Wasteman
- Abandoned
- Horsie
- My bile
- These feelings
- Space oddyssey 2001
- Ray
- Vampyre
Im Forum kommentieren
zolk
2024-12-07 17:55:13
Das Konzert gestern hat mir auf jeden Fall großen Spaß gemacht und ich hatte den Eindruck, dass das den meisten so ging. Ihrer "Butts for tour buses"-Aktion und ihrer Kritik an der Musik-Industrie im allgemeinen hat sie meinem Empfinden nach ca. 10 Minuten in einem flammenden Monolog gewidmet (habe nicht auf die Uhr geschaut.) Man könnte das villeicht kritisieren, weil es schon ein kleiner Bruch im Flow des Konzerts was. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass ihr das jemand krumm genommen hat. Und danach ging es dann ja auch weiter. Sie war glaube ich gesundheitlich (Erkältung) ein bisschen angeschossen, hat dauernd an ihrer Teetasse genuckelt, aber wenn sie das nicht erwähnt hätte, wäre es mir vermutlich gar nicht aufgefallen. Die Songauswahl fand ich sehr gut, ich denke es war von jedem Album was dabei. Trotzdem irgendwie schade, dass die kleine Halle bei weitem nicht ausverkauft war. Man konnte, wenn man wollte, zu jederzeit ohne großes Gedrängel direkt bis zur Bühne gehen. Immerhin hat ihr das ermöglich, dass sie zwei Songs sehr entspannt im Zuschauerraum zum besten geben konnte. Ich glaube ja, dass das schäbige Cover ihres Albums eine große Mitschuld daran trägt. Wenn ich sie nicht gekannt hätte, hätte mich das jedenfalls überhaupt nicht angesprochen und kein Interesse geweckt, da mal reinzuhören. Vielleicht hätte sie sich für das Cover einfach in ihrem Bühnenoutfit ablichten lassen sollen. Das wäre m.E. viel anpsrechender gewesen. Aber was verstehe ich schon von Marketing :-).
Heute spielt sie in Berlin und am Montag in Köln. Falls jemand nocht nichts vorhat...
Francois
2024-11-27 09:34:02
ist auch sicher ein public stunt... jetzt ist sie mal in den Medien (und mehr als mit dem letzten Album, welches ja auch gut ist...)
Es ist ja schon eigenartig... jetzt ist sie seit Jahren nicht mehr bei einem großen Label - gerade von einem kleinen könnte man etwas mehr "Kreativität" erwarten, was Publicity oder ähnliches anbelangt.
Du kannst auch mit gutem, kreativen merch viel dazu verdienen, oder von mir aus "Vip Tickets" verscherbeln, in denen man backstage mit ihr ein Foto machen kann, was weiß ich (The Darkness machen das ja zB)
Oder sie soll sich mit anderen ähnlichen Artists zusammentun und auf Tour gehen... Das sollte in UK wahrlich kein Problem darstellen
Rhyton
2024-11-27 09:21:18
"Unter dem Titel „Butts for tour buses“ will Nash, 37, mit Bildern ihres Gesäßes so viel Geld verdienen, dass sie ihre Tour damit finanzieren kann. Der BBC sagte Nash: „In den nächsten drei Monaten werde ich damit vermutlich mehr Geld verdienen als mit Musik.“ Der Hintern stelle für sie zudem die perfekte Kombination aus Komik und Sexualität dar.
„Es hat auch etwas von einem Punk-Protest“
Sie wolle aber, so Nash, auch darauf aufmerksam machen, wie die Zustände in der Musikbranche seien. Dass also eine Künstlerin mehr Geld mit anzüglichen Bilder verdienen könne als mit Konzerten. „Es hat auch etwas von einem Punk-Protest, dass ich als Frau die Kontrolle über meinen Körper habe und ihn verkaufe – um damit mein Leidenschaftsprojekt finanziere, das eigentlich meine 18-jährige Karriere ist“, so Nash."
Für eine Tour muss man Geld vorschießen, darum gehts vielleicht. Zueem ist es auch politisch gemeint. Ist doch ganz smart, Madonna hätte das 1992 auch gemacht.
Davon abgesehen: No shame
Francois
2024-11-27 09:04:44
Das verstehe ich ja echt nicht...
Gut, Made of Bricks ist lange her, hat sich aber ca 1mio mal verkauft, zu einer Zeit, in der es keine Streaming Platformen gab.
Das zweite Album war jetzt auch kein Flop
Gerade eine UK Tour sollte doch wohl genug Geld einbringen, dass man davon gut leben sollte...
nörtz
2024-11-26 19:15:40
Und Lily Allen, die ja damals gleichzeitig mit Kate Nash bekannt wurde, verkauft auf OnlyFans Fuß-Fotos, um weiterhin Musik zu machen.
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