
Paul Weller - 66
Polydor / UniversalVÖ: 24.05.2024
Fit for fun
Damit das klar ist: Wir werden hier nicht in die Falle tappen, angesichts des Albumtitels, der Paul Wellers aktuelles Alter nennt, ein Udo-Jürgens-Zitat als Überschrift zu missbrauchen – das überlassen wir anderen popkulturellen Leitmedien. Wir nehmen vielmehr still und mit Bewunderung zur Kenntnis, dass der designierte Godfather of Britpop nach fast 20 Jahren höchst kreativen Schaffens mit The Jam und The Style Council auch noch ungerührt eine um die andere Soloplatte aus dem Ärmel schüttelt. Geht dem Kerl denn nie die Puste aus? Oder wenigstens die Inspiration?
Nein, ganz offenbar nicht: Wir haben jedenfalls bei den vorliegenden zwölf Tracks auch nach langem Suchen keinen einzigen finden können, der wirklich in die Hose ging. "66" ist ein zauberhaftes und buntes Spätwerk, das keine Sekunde langweilt und sich durch überbordende Spielfreude, reichlich Humor, aber auch viel Gefühl auszeichnet. Musikalisch entzieht sich das Album einer Schubladisierung gekonnt, wenn auch sicherlich Soul, Pop, Jazz und eine Prise Funk als Interessensschwerpunkte ausgemacht werden können. Der Opener swingt und groovt aufs Wunderbarste und macht mit Querflöte, Fingerschnipsen und Saloon-Piano sofort sehr gute Laune. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch "Rise up singing", bei dem süßliche Streicher und kitschiges Harfenflirren von einer knackigen Rhythmusgitarre ordentlich gegen den Strich gebürstet werden. Am meisten Spaß macht "66" sowieso, wenn Weller antäuscht, indem er musikalisch links blinkt und überraschend rechts abbiegt. So bedient er sich in "Flying fish" rotzfrech an Melodiefetzen von Abbas "The winner takes it all" – um dann nach der ersten Bridge in einen rattenscharf groovenden Philly-Sound-Tanzbodenfüller umzuschwenken. Ähnlich überraschend auch "Sleepy hollow", das arg pathetisch anfängt, dann aber mit Querflöten und später einem Vibrafon-Solo zeigt, dass hier auch ganz amtlicher Jazz möglich ist. Und in "Soul wandering" zitiert Weller zunächst Space-Rock à la Hawkwind – und legt dann den Gospel-Schalter um.
Neben quicklebendigen, tanzbaren oder zumindest zum Fußmitwippen anregenden Songs bietet "66" aber auch einige Verschnaufpausen. "Nothing" und "I wake up" zeigen sich als sparsam instrumentierte, atmosphärisch dichte Balladen – und sowohl "My best friend's coat" als auch "In full flight" verlassen poppige Gefilde insoweit, als dass hier im wiegenden Dreivierteltakt musiziert wird. Das überraschendste Stück ist jedoch der Schlusstrack "Burn out", der sich musikalisch recht deutlich von den anderen elf Stücken abhebt: Hier hören wir deutliche Reminiszenzen an David Bowie ("Space oddity") und später auch an den stilprägenden Saxofon-Sound von Van Der Graaf Generator. Damit nicht genug: Wellers Gesang wird zuweilen durch einen Flanger gejagt und von einem vielstimmigen Backgroundchor unterstützt. Das wirkt ähnlich bewusstseinserweiternd wie ein geziemender Zug an der Tüte und straft alle diejenigen Lügen, die Weller angesichts der anderen Albumtracks vielleicht ein Gran zu viel Gefälligkeit und Wohlklang attestieren möchten. Eins steht in jedem Fall fest: Der Mann ist mit 66 immer noch deutlich fitter und kreativer als manch ein anderer mit halbem Lebensalter. Herzlichen!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ship of fools
- Flying fish
- Nothing
- Burn out
Tracklist
- Ship of fools
- Flying fish
- Jumble queen
- Nothing
- My best friend's coat
- Rise up singing
- I woke up
- A glimpse of you
- Sleepy hollow
- In full flight
- Soul wandering
- Burn out
Im Forum kommentieren
MickHead
2024-10-19 13:30:22
Nach seinem letzten Album »66« veröffentlicht Paul Weller 4 neue Songs auf seiner »Supplement: 66« EP. Die Tracks auf »Supplement 66« wurden in Pauls eigenen Black Barn Studios aufgenommen und dienen als liebevolle Verbeugung vor seiner Vergangenheit, während sie gleichzeitig seine kontinuierliche Entwicklung als Künstler widerspiegeln.
Supplement: 66 EP (Playlist bei YouTube)
https://www.youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_n42XnBHLOKhwzm-EOdtmWa3IG89gk6klo
ZoranTosic
2024-06-11 20:40:33
Die ersten Soloalben sind sehr stark (vor allem wild wood, Stanley Road und Heavy Soul). Die As Is Now von 2005 fand ich auch sehr gut - danach hat er sich oft verloren - gerade wenn er zwanghaft moderne Einflüsse verwursten wollte.
Altherrenrock ? Mag sein, aber mir gefällt :-)
Socko
2024-06-11 17:34:03
Ich konnte mit Herrn Weller noch nie was anfangen.mit jam und style Council, ja, das war gut. Aber der Typ hat schon mit 30 Musik gemacht, die man gemeinhin altherrenrock nennt. Unglaublich ödes Zeug.
ZoranTosic
2024-06-11 16:35:09
Lief bei mir nicht beim cruisen durch Kalifornien, sondern als Hintergrundbeschallung im drögen Home-Office. Die Meinung von tjsifi teile ich trotzdem, ein paar ganz nette Songs, tut niemanden weh - ob ich das Teil in Zukunft nach der ersten Kennenlernphase noch oft auflegen werde, bezweifle ich trotzdem. Wenn ich Lust auf Weller Musik habe, werden es dann wohl doch wieder andere Alben.
tjsifi
2024-06-11 15:04:36
Recht routiniert runtergespielt ohne irgedwas besonders zu machen. War aber ein schönes Album zum Cruisen auf dem Highway 1 in Kalifornien am Samstag,
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