
Camera Obscura - Look to the east, look to the west
Merge / CargoVÖ: 03.05.2024
Glasgow eyes
Es dauert zehn Songs, bis es doch aus Tracyanne Campbell bricht. "I was always such a fan of your rabbity eyes / Sugar-coated almonds as grey as Glasgow skies", singt sie, begleitet nur von einem einsamen Piano, und kurz darauf: "I liked who we were together / I'm not sure who I'll be apart / I love you forever and ever." Der Track heißt "Sugar almond" und richtet sich explizit an die 2015 verstorbene Bandkollegin und Freundin Carey Lander, deren Tod Camera Obscura verständlicherweise zum temporären Hiatus zwang. Doch angeregt von Belle & Sebastian, mit denen die Schott*innen von Beginn verbandelt waren, fanden sie ihre Fassung wieder und erfreuen mit "Look to the east, look to the west" die Teile der Indie-Welt, die sie noch nicht vergessen haben. Dass mehr als eine Dekade seit "Desire lines" vergangen ist, lassen sich Campbell und Co. nicht anmerken, so bruchlos wie sie ihren Country- und Soul-nahen Twee-Pop hier fortschreiben. Der ganz große Schwung, mit dem einst Lloyd zum Herzensbrechen aufgefordert wurde, mag passé sein, doch findet der von Neu-Keyboarderin Donna Maciocia komplettierte Fünfer mit zurückgeschraubten Orchester-Aspekten hier eine andere Form von Direktheit.
Das Thema der Vergänglichkeit prägt gleich "Liberty Print", wenn es die Geschichte eines in Schieflage geratenen jungen Mannes unverblümt zum Abschluss bringt: "Oh, what a terrible waste / Of a young man's time / You never did find peace / Oh, it's no fun / I had to visit your mother / You were her only son." Musikalisch stochert jener Opener zunächst im Elektro-Nebel, um sich dann allerdings als Uptempo-Perle mit glitzernden Keyboard- und Gitarren-Parts jede Trauer abzuschütteln. "We're going to make it in man's world" setzt auf eine ähnliche Formel, indem es nach dem ersten Refrain leicht aufs Sixties-Pop-Gaspedal drückt, was sich angesichts seiner titelgebenden Hook jedoch schnell verzeihen lässt. Camera Obscura verteilen weiterhin Gratis-Umarmungen in schweren Zeiten – "Just let your hand slip down / Imagine I'm there now", beschwichtigt Campbell ihr Gegenüber in der Lead-Single "Big love", die mit ihrer markanten Pedal-Steel dem Country so sehr huldigt, wie es sonst nur der Honky-Tonk-Schwelger "The light nights" tut. "Hearts like ours / Will get us in trouble", heißt es später in "Pop goes pop", auch wenn es kaum vorstellbar ist, wie dieser Hammond-Orgel-unterstützte Jangle-Funk irgendjemandem Ärger bereiten sollte.
Zwischen solchen schwungvollen Nummern zieht sich die Band immer wieder ins Kontemplative zurück. Der Tremolo-getränkte Bar-Jazz von "Only a dream" kreist unaufgeregt um sich selbst, ehe die Pianoballade "Sleepwalking" erst eine Minute vor Schluss den Rest der Band kathartisch durchlüften lässt. "The chaos of summer has died", pointiert "Baby Huey (Hard times)" diese Zustände herbstlich anmutender Ruhe. Wenn jener Song mit Synth-Bass und Akustikklampfe seine eigene, nostalgische Form von Elektro-Pop aufzieht oder "Denon" zwischen Vintage-Soul und Soft-Rock sein Glockenspiel anschlägt, sind das solche Momente selbstbewusster Uncoolness, für die man Camera Obscura nur lieben kann. Auch der abschließende Titeltrack biedert sich nicht an Trends an, sondern erinnert mit einem üppigeren Arrangement samt von der Leine gelassenen Holzbläsern an die Nullerjahre-Alben mit Produzent Jari Haapalainen, der auch bei "Look to the east, look to the west" an den Reglern saß. Ohne ihre Emotionen überzustrapazieren, verabschiedet Campbell ihr Publikum mit einer letzten herzerwärmenden Geste – und schaut hinauf in den grauen Himmel über Glasgow, der heute ein bisschen anders aussieht.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Liberty Print
- Pop goes pop
- Look to the east, look to the west
Tracklist
- Liberty Print
- We're going to make it in a man's world
- Big love
- Only a dream
- The light nights
- Sleepwalking
- Baby Huey (Hard times)
- Denon
- Pop goes pop
- Sugar almond
- Look to the east, look to the west
Im Forum kommentieren
MickHead
2024-09-18 20:09:39
Die schottische Indie-Pop-Band Camera Obscura veröffentlichte im Mai über Merge ihr erstes neues Album seit 11 Jahren, Look to the East, Look to the West. Jetzt haben sie „Look to the Demos“ digital veröffentlicht, eine EP mit fünf Demos des Albums. Die Demos wurden ursprünglich ausschließlich als Bonus-CD mit der Rough Trade-Exklusivversion des Albums veröffentlicht, sind jetzt aber für alle Fans auf allen großen Streaming-Plattformen verfügbar.
"Look To The Demos EP" (Playlist bei YouTube)
https://youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_lJsLrLZHASoY8uLIKnyf7r-1XZm9oxtcM&si=Kj7hzjzHScgp8UiK
novemberfliehen
2024-06-23 21:27:57
Großartiges Album. Wird definitiv in meiner Jahresbestenliste auftauchen und ist gegenwärtig auch weit vorne.
Bei Interesse in The Light Nights, Sugar Almond, Baby Huey oder Liberty Print reinhören.
Saschek
2024-05-13 22:42:33
Sowohl musikalisch als auch textlich bei mir eher eine 8/10. Für mich das beste Camera-Obscura-Album. Und das ist überraschend, weil ich die Vorabsinglöe gar nicht so sehr mochte.
Armin
2024-05-13 20:12:24- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Saschek
2024-05-12 15:05:10
Wow. Ziemlich großer Wurf. Album des Jahres bisher …? Großartige Songs, die mal eben auf Albumlänge das gesamte menschliche Gefühlsspektrum abdecken.
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