Corridor - Mimi
Sub Pop / CargoVÖ: 26.04.2024
Haarige Sache
"Um Gottes Willen, was ist das denn für ein fürchterliches, ja buchstäblich haarsträubendes Vieh da auf dem Cover?" ist möglicherweise der erste Gedanke, der einen angesichts des Artworks von "Mimi" beschleicht. Laut Promo-Material zum Album ist es nach der Katze des Sängers und Gitarristen Jonathan Robert benannt. Ob das Bild ebendiese zeigt, wissen wir nicht – der Rezensent hingegen würde nachts jedenfalls nicht ruhig schlafen können, wenn ein solch sinister blickendes und mit überbordendem Fell gesegnetes Tier mit ihm die Wohnung teilt. Haarig gerät auch der Versuch, neben der Kür (Rezension schreiben) auch die Pflicht (Referenzen nennen) zu absolvieren, denn die Musik von Corridor ist so eigenständig und -sinnig, dass die Suche nach passenden Vergleichen unweigerlich zum Haareraufen führt. Bevor nun aber ein Fünf-Euro-Schein in den Schlitz des redaktionseigenen Phrasen- und Metaphernsparschweins gleitet: Konzentration aufs Wesentliche, die Musik.
Corridor bespielen eine klanglich schlüssige, ja in sich geschlossene Szenerie, die einen irgendwo nachts in die Großstadt beamt und gegen halb drei morgens in einem Club verortet sein könnte, bei dem die eigentliche Party schon vorüber ist. Man hängt spärlich illuminiert in einem Sessel, der Raum ist vollständig zugequarzt, der Kellner hat gerade ein paar frische Gläser mit Mules abgestellt, man greift zu einem und wird so langsam wieder wach. Die Musik ist warm und eiskalt zugleich: Verstimmte, analoge, wabernde Synthesizer bilden ein warmes Grundgerüst, auch der verhallte und zumeist harmonische französische Gesang holt emotional ab. Auf der anderen Seite ist da dieser sehr merkwürdig-sterile Schlagzeug-Sound, der fast schon nach Pappkisten klingt und sehr an King Crimsons Soundgepräge im Album "In the court of the Crimson king" erinnert. Und da sind auch diese perlenden, kühlen Gitarren-Arpeggios, wie man sie von den Chameleons oder auch Interpol kennt. Der Bass wiederum beschränkt sich nicht darauf, Grundtöne zu zupfen, sondern führt ein stetes, melodisches, zuweilen konzertantes Eigenleben.
"Mimi" bietet nicht nur Kälte und Wärme, sondern auch unterschiedliche Helligkeitsabstufungen. Die ersten beiden Stücke wirken verschroben, dunkel und federnd zugleich, die Songstrukturen mäandern und changieren; Strophen, Bridges und Refrains verschmelzen miteinander. "Jump cut" und "Camera" wirken deutlich heller und schneller – und das strahlende "Mourir demain" kurz vor Schluss klingt dann plötzlich wie eine gutgelaunte Verschmelzung von Nada Surf und den Pixies. Das alles ist höchst elegant gemacht, spielt routiniert mit Retro-Soundästhetik und ganz leichten Shoegaze-Anleihen. Keine Frage: "Mimi" ist ein höchst eigenständiges Stück Musik, das sich mit aller Kraft gegen eine stilistische Einordnung wehrt und sich von niemandem vorschreiben lässt, was es tun oder sein soll. So, wie es sich eben auch für eine waschechte Katze gehört. Miau!
Highlights & Tracklist
Highlights
- Mon argent
- Camera
- Mourir demain
Tracklist
- Phase IV
- Mon argent
- Jump cut
- Camera
- Chenil
- Porte ouverte
- Mourir demain
- Pelicule
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AndreasM
2024-05-15 08:09:01
"Junior" war schon ein ganz tolles Album und ich freue mich daher sehr auf den baldigen, ersten Durchgang von "Mimi"!
carpi
2024-05-14 21:19:44
Schöne Neuentdeckung, vor allem der Mittelteil des kurzen Albums mit Jump cut, Camera und Chenil überzeugt mich.
Vive
2024-05-13 12:32:21
Ich würd mal die band WOMEN (frühere band von Cindy Lee + preoccupations) und The freakin BEACH BOYS zu den Referenzen hinzufügen wollen
Vive
2024-05-13 12:24:50
Wow! Mega spannend!!
myx
2024-05-05 21:39:24
"Mimi" hat mir soeben für eine halbe Stunde gute Gesellschaft geleistet. Danke der Band und auch dem Rezensenten. :)
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