Real Estate - Daniel
Domino / GoodToGoVÖ: 23.02.2024
Schreit den Namen meines Produzenten
Routine kann eine tolle Sache sein. Nicht unbedingt, wenn man sich vom Alltagstrott zerrädert fühlt und die größte Abwechslung eines Tages im Inhalt des Mittagspausenbrötchens stattfindet. Wohl aber, wenn es um Bands wie Real Estate geht. Sobald Martin Courtney und seine nicht mehr ganz so jungen Jungs ein Album ankündigen, muss niemand krasse Stilwechsel oder Avantgarde-Experimente befürchten, sondern kann sich auf eine neue Ladung geschmackvoller akustischer Graue-Wolken-Löser einstellen. Ihre sechste Platte "Daniel", die vielleicht, vielleicht auch nicht nach Produzent Daniel Tashian benannt ist, macht da keine Ausnahme, im Gegenteil: Nachdem "The main thing" zumindest im kleinen Rahmen ein bisschen mehr probierte, weist der Jangle-Pop seines Nachfolgers wieder stärker auf selige "Days"- und "Atlas"-Zeiten zurück, ohne ganz an deren Meisterklasse heranzureichen.
Genau das gelingt Real Estate allerdings auf Songlänge in Gestalt der ersten Single. Im wundervollen "Water underground" perlen die elektrischen und akustischen Saiten in Melodien hinein, die ihre sedative Wirkung genau deshalb so effektiv entfalten, weil die Band ihre sonnige Leichtigkeit nie in Heile-Welt-Naivität kippen lässt. Das Arrangement tropft Keyboard, Spielzeug-Bläser und Mini-Chöre perfekt ab und gibt am Ende einem aus dem Handgelenk geschüttelten Solo sowie ein paar Slide-Gitarren Raum. Generell sind die Americana-Einflüsse, die bei dem Fünfer aus New Jersey früher schon mitschwangen, gefühlt präsenter auf "Daniel" – sein potenzieller Namensstifter Tashian saß immerhin auch bei Kacey Musgraves an den Reglern, auch wenn Real Estate ihre Country-Früchte eher vom Wilco-Baum pflücken. Der Twang bleibt jedoch akzentuiert im Hintergrund mit Ausnahme von "Victoria", in dem sich Bassist Alex Bleeker für seinen Gesangsauftritt den Cowboyhut aufsetzt.
"An unfamiliar place / With a familiar song", heißt es zu Beginn von "Haunted world", das somit eine ungewollte Poetik formuliert: Mit der Magie des Vertrauten stressigen Umständen zu begegnen, ist das, wofür Real Estate immer noch so wichtig sind. Da zynische Menschen eigentlich keinen Grund haben, die Musik von Courtney und Co. zu hören, sollten blöde Fragen nach der Existenzberechtigung eines weiteren Albums mit nur dezent verschobenen Soundparametern sowieso rar bleiben – im Angesicht eines schlicht famosen Songs wie dem Streicher-unterstützten Opener "Somebody new" werden sie komplett lächerlich. Dass Real Estate ihre Formel auch variieren können, zeigt etwa das freiförmigere "Freeze brain": Mehrspurige Gesangslinien kreisen um einen Kopfnicker-Beat samt Hand-Percussion und erzeugen damit eine Art braver Psychedelik, die den Vibe der Platte erweitert, ohne ihn aufzubrechen.
Während der Aufnahmen lebten die fünf Männer gemeinsam in einer Mietwohnung in Nashville, um die notwendige Distanz während der Corona-Pandemie wieder auszugleichen – vielleicht der Grund, warum sich "Daniel" besonders nahbar anfühlt und nicht nur wegen seines menschlichen Titels wie ein enger Freund rüberkommt. Ein tanzbarer Hit wie "Say no more" mit seiner zugvollen Bridge wirkt ebenso intim wie der ambitioniertere Closer "You are here", in dem schwere Tastenanschläge auf TripHop-artige Drums treffen, ehe alles in einem endlosen Instrumentalpart zerfasert. Wolkenkratzer erheben sich auf dem seltsamen Coverbild, und ein Telefon wird gereicht, vermutlich will der Kapitalismus wissen, warum wir nicht aus den Puschen kommen – doch Real Estate stehen schon bereit, um den Hörer abzunehmen und die Alltagslast ein wenig zu erleichtern. "Best we can do is be happy here / Sing another line."
Highlights & Tracklist
Highlights
- Somebody new
- Water underground
- Say no more
Tracklist
- Somebody new
- Haunted world
- Water underground
- Flowers
- Interior
- Freeze brain
- Say no more
- Airdrop
- Victoria
- Market street
- You are here
Im Forum kommentieren
jo
2024-03-12 23:35:43
Bei mir auch. Aber dafür fahre ich dennoch weder unter der Woche nach Hamburg noch nach Berlin.
Gordon Fraser
2024-03-12 18:56:44
Yeah! Eine der Bands, die auf meiner Live-To-Do-List ganz oben steht.
joseon
2024-03-12 17:06:28
26.09.24 Hamburg, Logo
30.09.24 Berlin, Lido
jo
2024-03-09 08:00:42
Bestes "Real-Estate"-Album ist für mich übrigens die Many Moons von Courtney.
Die mag ich auch gerne, ich fand aber sein zweites Solo-Album besser.
Bei Real Estate reihe ich mich auch in die "Days"-/"Atlas"-Fraktion ein - ein Mix aus beiden wäre wohl das perfekte Album. Aber auch danach haben sie nie enttäuscht und ihrem Sound auch durchaus ein paar neue Facetten hinzugefügt. Gerade auch Lynch als neuer Leadgitarrist spielte da eine gute Rolle.
AliBlaBla
2024-03-08 19:24:45
Ich ....M U S S ....muss einfach noch mal wiederholen, das Schlussstück ist überragend...
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