Idles - Tangk
Partisan / PIAS / Rough TradeVÖ: 16.02.2024
Wo die Liebe hinfällt
Es geht um Liebe! "Love is the fing", war von Anfang an das laute Motto für das fünfte Album von Idles. Fast 30 mal kommt allein das Wort "love" selbst in den elf Songs vor. Wer jetzt allerdings eine Herzchenaugenemoji gewordene Kuschelrockplatte erwartet, hat wohl nie ein Album der Briten gehört. Denn natürlich sind die Sachen, die man emotional mit sich trägt, nicht alle derselben Natur. Und dass das Album von Bandgitarrist Mark Bowen zusammen mit Kenny Beats, mit dem man für den Vorgänger "Crawler" schon für einen Grammy nominiert war, und zusätzlich von Nigel Godrich (Radiohead, The Smile, Beck) produziert wurde, macht mindestens Musikenthusiasten dann doch Herzchen in die Augen.
Der Begrüßungskuss reißt dementsprechend fast schon erwartungsgemäß jede Befürchtung ein. "These are the things you lost in the fire", raunt Frontmann Joe Talbot im nüchtern betitelten "Idea 1" über Drumpad und ein wenig Klavier, während man sich fragt, ob es in einem zerrütteten Haushalt auch Liebe geben kann. Und auch die aggressive Bassline und Gitarrenschläge in "Gift horse" klingen erst mal so gar nicht lieb, während Talbot durch Wortwiederholungen einen Galopprhythmus zu simulieren scheint. Ein Schelm, wer sich fragt, ob er nun selbst der Hengst ist, auf dem die von ihm gekrönte Königin reitet. Hier sind Idles genau das, wofür man sie kennt und liebt. "Pop pop pop" schmeißt dann den Drumloop wieder für einen angenehmen Meditationsmoment an. Und man lernt das pseudodeutsche Wort "Freudenfreude" kennen, das The New York Times vor ein paar Jahren als Gegenentwurf zur Schadenfreude erschaffen hat. "Roy" befreit sich aus der Hypnose und wärmt mit einer House-of-the-Rising-Sun-Melodie in der Bridge schon mal die Tanzschuhe auf. Auch wenn "A gospel" sie noch mal traurig zur Seite stellt und zu nicht viel mehr als ein paar Klaviertasten und winzigen Glockenklängen eine Beziehung beendet, bevor es weitergehen kann.
Alles Vorbereitung auf die große Freudenfreude-Explosion in der man sich in Form der Single "Dancer" mit LCD Soundsystem in einer Schweißwelle auf der Tanzfläche paart. Gleichzeitig aber nicht nur ein Song über Zweisamkeit, sondern über die Tausendkeit und Idles’ Verbindung zu ihren hingebungsvollen Fans und ihrer gemeinsamen energiegeladenen Konzerten: "I give myself to you / As long as you move / On the floor [...] I’m a dancer / You’re a dancer / Let’s dance." Die ständigen Wechsel zwischen leise und laut sollten das Album zerbrechen, stattdessen schlagen die Songs wie Wellen nur immer kräftiger nach dem Rückzug gegen die Brandung. "Dancer" ist ein Triumph auf ganzer Linie und mit seinen disharmonischen Strophen, die sich im Refrain in pure Ekstase verwandeln, prädestiniert, ab jetzt auf jedem Konzert ein Highlight zu sein.
Wenn Idles direkt im Anschluss in "Grace" mutig genug sind, um nach Radiohead zu klingen, dann wird hier die Symbiose aus der Direktheit von Sänger Talbots Texten, Bowens Experimentierfreudigkeit, Kenny Beats Lässigkeit und Goodrichs Erfahrung spürbar. Wer hätte beim Debütalbum "Brutalism" schon gedacht, dass sich die Band aus Bristol ausgerechnet hierhin entwickelt, immer noch neue, geniale Ideen hat und sich trotzdem treu bleibt: "No god, no king / I said love is the thing." Die hektischen Riffs von "Hall and Oates" bringen dann noch eine fette 2024er-Version der Kinks ins Jetzt und haben selbst Musik in den Ohren, weil sie so verliebt sind. Und auch die Absolution wartet in "Jungle", das nicht nur bedrohliche Kulissen auffährt, sondern Gewalt und Missbrauch beschreibt, bevor es gerettet werden kann. Die Verabschiedung findet im gar nicht so gewaltigen "Monolith" statt. Ein Ticken zieht sich durch den Song, als ob die Zeit abläuft, während Talbot fast summend die nötigsten Nachrichten an die übergibt, die zurückbleiben. Die ruhige Klangcollage läuft aus, bevor ganz am Ende überraschend ein Saxophon ein Album beschließt, bei dem man auf dem Weg komplett vergisst, dass alles Liebe sein soll, weil es auch so laut und bedrohlich ist. Aber immerhin schießt Amor auch mit Pfeilen und nicht mit Zuckerstangen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Gift horse
- Dancer
- Grace
Tracklist
- Idea 01
- Gift horse
- Pop pop pop
- Roy
- A gospel
- Dancer
- Grace
- Hall & Oates
- Jungle
- Gratitude
- Monolith
Im Forum kommentieren
u.x.o.
2025-08-29 11:14:40
Ziemlich starker Soundtrack, finde ich. Vor allem die experimentellen Stücke aus der Feder Simonsens sind toll umgesetzt. Das ambientlastige Soundkleid steht der Band ausgezeichnet und ich hoffe, das wird in spätere Arbeiten mit einfließen. Die "Standard-Songs" der Idles wirken teilweise etwas deplatziert, aber bei einem OST kommt es ja nicht so sehr auf einen Albumfluss an. Die Eigenkompositionen sind auf jeden Fall auch ganz cool.
Arne L.
2025-07-31 18:27:38
Irgendwie hatte ich mir mehr erhofft, auch wenn‘s nicht schlecht ist. Ist aber auch „nur“ ein Filmsong.
foe
2025-07-30 18:03:47
Neuer Song:
https://youtu.be/RaMK4gDYl4o?si=QeK-zpGARSC252fk
Arne L.
2025-02-15 11:23:38
Bin gestern Nacht im Schnee eine Stunde nach Hause gelaufen und hab dabei das Album gehört und würde bei der Bewertung mittlerweile noch höher gehen. Ich halte das für eines der besten Alben der letzten fünf, sechs Jahre und wäre da bei einer leichten 9/10. Immer wenn ich dachte, na der nächste Song muss dann ja mal ein bisschen abfallen, war ich wieder begeistert. Ich glaube, wenn eine Sache das Album in der öffentlichen Wahrnehmung ein bisschen runtergezogen hat, dann war es eine "falsche" Erwartungshaltung.
tjsifi
2024-12-18 18:43:17
Mega!
POP POP POP (feat. Danny Brown)
https://youtu.be/uvr6-DzNu24
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