Mine - Baum
Virgin / UniversalVÖ: 02.02.2024
Nahezu perfekt
Jasmin Stocker alias Mine strebt nach Perfektion, das konnte man schon früh in ihrer Karriere beobachten. 2014 wurde im öffentlich-rechtlichen Format "Startrampe"gezeigt, wie sie mit großer Konzentration komponierte und im Tonstudio die Streicher für ihr zweites Album "Das Ziel ist im Weg" dirigierte. Und genauso seriös und gut durchdacht ging Mine alle weiteren Veröffentlichungen an. Die Albumcover und Musikvideos sind kleine Kunstwerke, die Texte stets mit feiner Feder geschrieben. Ihr letztes Album "Hinüber"widmete sich Verfall und Untergang. Ihr nun erscheinendes fünftes Studiowerk steht für einen Neuanfang und heißt "Baum". Alle Künstler*innen betonen bekanntlich gerne, wenn es um ihre aktuell releaste Musik geht, dass es das Beste ist, was sie je erschaffen haben. Bei Mine hätte es fast gestimmt. Aber eben leider nur fast.
Die mittlerweile 38-jährige hatte schon immer diesen einen Song im Gepäck, der weniger ernsthaft ist und die textliche Tiefe und Schwere ihres Albums konterkariert: Auf "Hinüber" war es "Eiscreme", auf dem Gemeinschaftswerk mit Rapper Fatoni "Alle Liebe nachträglich" der Abschlusstrack "Erdbeeren ohne Grenzen". Auf "Baum" ist es "Nichts ist umsonst". Doch so gewöhnungsbedürftig dieser Hyperpop-Eurodance-Verschnitt ist, er stört nicht den positiven Gesamteindruck des Albums. Diesen Job übernehmen zwei andere: "Copycat", ein klassischer Disstrack gegen Unbekannt, und "Fesch", eine banale Funk-Nummer. Beide Songs passen nicht in das mit viel Liebe gemalte Gesamtbild und werden der hohen Qualität von "Baum" nicht gerecht. Denn bis dahin zaubert Mine einen Hochkaräter nach dem anderen aus dem Hut. Beim Titeltrack singt die gebürtige Stuttgarterin über sphärische, elektronische Sounds. Der Beat klackert hypnotisch, die Bläserfraktion trägt im besten aller Sinne dick auf. "Danke gut" wird vom Männerchor Ffortissibros intensiv eingeleitet. Mine schraubt ihre Stimme in unbekannte Höhen, Featuregast Mauli hält sich mit seinen von Autotune verzerrten Zeilen im Hintergrund. Für das ebenfalls großartige "Schattig" hat Mine die französische Singer/Songwriterin Léonie Pernet eingeladen, die der Melancholie den letzten Schliff verleiht.
2020 erzählte Mine in einem Facebook-Post von Mobbingerfahrungen während der Schulzeit. "Ich weiß es nicht" thematisiert ihre damalige Unsicherheit und greift dabei den organischen Sound ihres Debütalbums auf. Auch "Staub" ist behutsam instrumentalisiert. Die Sängerin richtet sich hier mit klar formuliertem Schmerz an ihre verstorbene Mama: "Jetzt steh ich an Deinem Baum / Und lege meine Hände auf ihn drauf / Ich rede mit mir selbst wie ein Idiot / Ich glaube nicht an Leben nach dem Tod." Das wehmütige "Weiter gerannt" rundet das Album eigentlich perfekt ab. Leider reichen "eigentlich" und "fast" nicht aus für ein Meisterwerk. Mine war diesmal verdammt nah dran an der Perfektion.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Baum
- Schattig (feat. Léonie Pernet)
- Staub
Tracklist
- Baum
- Ich weiß es nicht
- Nichts ist umsonst
- Nichts ist umsonst - Reprise
- Danke gut - Intro (feat. Ffortissibros)
- Danke gut (feat. Mauli)
- Spiegel
- Schattig - Intro (feat. Kieler Knabenchor)
- Schattig (feat. Léonie Pernet)
- Staub
- Stein (feat. Madanii)
- Copycat
- Fesch
- Baum - Reprise
- Weiter gerannt
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Mawi09
2024-02-16 10:28:36
Nach ein paar Durchläufen gefällt es mir ganz gut, deutlich besser als der Vorgänger. Baum, Ich weiß es nicht, Spiegel und Staub sind grandios, sowohl textlich als auch vom Sound. Ein ganzes Album in dem Stil würde ich mir von ihr wünschen. Aber leider wird hier wieder viel gemischt, was gerade bei der kurzen Gesamtlänge bei mir eben keinen Albumfluss aufkommen lässt, sondern eher den einer Playlist. Auch die Feature machen die meisten Songs schlechter statt besser. Wirklich unhörbar finde ich aber nur Nicht ist umsonst und Copycat, irgendwie schwer zu verstehen wie die gleiche Person so unterschiedlich gute Texte fabrizieren kann.
Mawi09
2024-02-02 19:48:39
Geht mir ähnlich, wobei ich vor allem Album 2 aber auch 3 schon in Gänze hörbar fand, wenn auch nicht alles mega war. Erst beim letzten waren es deutlich zu wenig Highlights, da blieben nur so 2 Songs hängen. Ich hör hier auf jeden Fall mal rein.
humbert humbert
2024-02-02 19:25:47
Mine hat mich auf Albumlänge nie überzeugt, hat aber bisher auf jeden Album zwei, drei richtig gute Lieder, die ich mir regelmäßig anhöre, wie 'Blätter', 'Zuvielleicht, 'Das Ziel ist im Weg', 'Klebstoff' oder 'Unfall'.
Das neue Album muß ich mir noch anhören. Jedenfalls spannend zu sehen, wie mit jedem Album ihre Brille eine Spur extravaganter wird.
Edrol
2024-02-02 17:18:47
Ich dachte nicht, dass man gegen diese Musik eine solche Abneigung haben kann. Ich schätze Mine sehr und "Baum" ist ein weiteres wunderschönes Album von ihr (allenfalls minimal schwächer als der Vorgänger "Hinüber", weil hintenraus in der Tat zwei, drei mittelmäßige Songs dabei sind). Seltsam finde ich die sehr kurze Laufzeit vieler Tracks, aber der Albumfluss ist mit Ausnahme von "Copycat" und "Fesch" grandios. Die Intros und Reprisen sind allesamt hervorragend. 8/10 für mich.
joseon
2024-02-01 11:00:57
Mochte sie bis "Klebstoff" ganz gerne, vor allem live, aber inzwischen ist mir das zu viel "seht her, was ich alles kann" Strebermusik. Reinhören werde ich aus alter Verbundenheit natrlich trotzdem.
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