Aesop Rock - Integrated tech solutions

Rhymesayers Entertainment / Cargo
VÖ: 10.11.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Er ist Boss

Wer Aesop Rock hört, ist Überforderung gewohnt. Der US-Amerikaner baut seine Alben gerne auf verkopft scheinenden Konzepten und geizt dabei weder mit Spielzeit noch mit Inhalt – dass er einer von der Yale-Universität veröffentlichten Anthologie zufolge der Rapper mit dem weltweit größten Wortschatz sei, kommt schließlich nicht von ungefähr. Eine Auszeichnung, auf die auch Kollegah stolz wäre, doch bei Aesop Rock braucht niemand auf der Luftpumpe komponierten Kreuzworträtsel-Rap zu befürchten. Daran ändert auch der seit "Spirit world field guide" wieder angezogene Veröffentlichungsrhythmus nichts. Aesops neunte Platte "Integrated tech solutions" stellt sich eine nur nach außen hin lebensverbessernde Tech-Firma vor, ohne die darin enthaltene Gesellschaftskritik zu überzeichnen. Die Musik, die vertrackt groovende Beats mit warmer Live-Instrumentierung ergänzt, bewahrt gleichzeitig bei aller Komplexität die Zugänglichkeit.

So dauert das eher lahme Intro, das die Tonspur eines Image-Videos für den fiktiven Konzern imitiert, dankenswerterweise keine 50 Sekunden. Gleich darauf legt Aesop los: "2,5 million years ago, a friend of mine / Made a tool from a stone and defended his tribe", beginnt er in "Mindful solutionism" die Geschichte einer Technologie, die der Menschheit nicht nur positiven Fortschritt gebracht hat. Mit stilechten Scratches greift der Track auch nach der Urzeit des HipHop, während zerrende Synths das Abdriften in rosarote Nostalgie verhindern. Dieses vertraute, entspannt-fesselnde Zusammenspiel aus Flow, Musik und verschlungenen Wortgeflechten steht exemplarisch für das gesamte Album. "Integrated tech solutions" mag ein wenig zu sehr auf Nummer sicher gehen und in seinen 64 Minuten die eine oder andere Redundanz auf hohem Niveau einstreuen, bezeugt aber wieder einmal, was für ein beeindruckendes Qualitätslevel der New Yorker seit über 20 Jahren hält.

Jeder der 18 Songs bekommt einen satirischen Kurztext aus Sicht der "ITS"-Firma spendiert, doch lässt sich der thematische Bogen auch locker ignorieren, da es in den Lyrics eh oft um anderes geht. "A river in the dark can be a genuine surprise / You might find some lovers getting cozy on the shore / Or a cold-blooded psychopath disposing of a corpse / Sitting by the Hudson River talking to a ghost" – die Gedanken des Erzählers von "By the river" schweifen ab, nur um von einer ihr eigenes Trauerlied singenden Trompete begleitet schließlich doch beim verstorbenen Freund zu landen. In "100 feet tall" zielt Aesop weniger auf die Feels als auf den Sinn fürs Absurde, wenn er zu paranoidem Bass von der Begegnung mit einem gottgleichen Mr. T berichtet. Noch nervöser zuckt das famose "Living curfew", das ein wie ein Gummiband langgezogenes Sample zur Hook bastelt und schon vor dem Einsatz des Ausnahmekönners Billy Woods eine nachdrückliche Intensität erreicht.

Überhaupt ragen die Tracks mit Features noch einmal heraus. Der stilistisch normalerweise ganz anders verortete Hanni El Khatib trägt zu "Kyanite toothpick" bei, das beim Cruisen durch die nächtliche Großstadt auch an einer R.E.M.-Referenz vorbeifährt. Durch das scheppernde "Bermuda" geistern die herrlich derangierten Vocals der Kalifornierin Leilani, weil offenbar niemand ihre Blumen annehmen will. Auch für "Black snow" holt sich Aesop Unterstützung: Nachdem sich die erste Hälfte des Closers mit polyrhythmischen Drums und Gitarren-Licks dem Afrobeat annähert, sorgt die Stimme der Soul-Sängerin Nikki Jean dafür, dass sich der Übergang zum bösen Kollaps bekömmlicher gestaltet. Vielleicht ein letzter Fingerzeig darauf, dass wir technologisch sediert auf den Abgrund zusteuern? Eine nicht nur eigentlich zu simple Botschaft für Aesop Rock – wer aus "Integrated tech solutions" nicht mehr als das ziehen will, hat wohl die eine oder andere Abzweigung im Textlabyrinth verpasst.

(Marvin Tyczkowski)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Mindful solutionism
  • Living curfew (feat. Billy Woods)
  • Kyanite toothpick (feat. Hanni El Khatib)
  • Bermuda (feat. Leilani)

Tracklist

  1. The ITS way
  2. Mindful solutionism
  3. Infinity fill goose down
  4. Living curfew (feat. Billy Woods
  5. Pigeonology
  6. Kyanite toothpick (feat. Hanni El Khatib)
  7. 100 feet tall
  8. Salt and pepper squid
  9. Time moves differently here
  10. Aggressive Steven
  11. Bermuda (feat. Leilani)
  12. By the river
  13. All city nerve map
  14. Forward compatibility engine (feat. Rob Sonic)
  15. On failure
  16. Solid gold
  17. Vititus
  18. Black snow (feat. Nikki Jean)
Gesamtspielzeit: 64:20 min

Im Forum kommentieren

Watchful_Eye

2024-12-15 18:13:41

Ich finde schon die Beats großartig, obwohl ich die Texte von selbst aus oft nicht schnalle. :)

Und wenn, dann nur durch aktive Beschäftigung damit. Ich würde mein Englisch als insgesamt flüssig ansehen, aber da stößt es oft an seine Grenzen.

Ich habe da in letzter Zeit öfters mal ChatGPT nach Analyse-Ideen zu bestimmten Texten und Lines gefragt. Das ist sehr zu empfehlen.

Affengitarre

2024-12-15 17:12:16

Ja, diese Detailverliebtheit in den Texten zeichnet ihn echt aus. Fantastischer Artist.

Arne L.

2024-12-15 17:04:58

Aesop Rock ist für mich persönlich ein Top-3-Rapper überhaupt und es ist so krass, wie man von imm Songs ein Dutzend mal hören kann und dann fällt einem das erste Mal richtig auf, worum es eigentlich geht. Heute ist mir bei einem Song das Licht aufgegangen, weil ich mal richtig zugehört habe: "Vititus" ist relativ unauffällig, aber er rappt über seine Familie, die teilweise aus Litauen eingewandert ist und groß war und beschreibt da so genau deren Geschichten. Sowas wie die Religiösität auf witzig: "The decor is white Jesus / All walls, everywhere you turn the guy's bleeding". Und dann an anderer Stelle so die Eigenarten der Familienmitglieder auf sympathisch: "Bang on the water pipe, down come Leona / She could eat a onion like a apple what a soldier, gold". Das hab ich echt bei keinem anderen Rapper. Richtig toll!

Unangemeldeter

2024-08-21 21:26:58

Bei mir hat sich das Album fantastisch gehalten. Insgesamt sieht meine Aes-Albenliste inzwischen wohl so aus:
1. None Shall Pass
2. The Impossible Kid
3. Integrated Tech Solutions
4. Labor Days
5. Float
6. Garbology
7. Skelethon
8. Spirit World Field Guide
9. Malibu Ken
10. Bazooka Tooth

1 und 2 tauschen nach Tagesform auch mal die Plätze, genauso sind 6-8 ein wenig random verteilt. Die Bazooka Tooth müsste ich ehrlich gesagt mal wieder auflegen, die hab ich sicher seit 10 Jahren nicht mehr gehört.

Arne L.

2024-08-21 11:44:03

Hat leider nicht den Song der ganz großen Sachen, aber nach fast einem Jahr immer noch ein gutes Album. Allgemein, aber gerade bei "Pigeonometry" häng ich immer noch an seinen Lippen.

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum