Vagabon - Sorry I haven't called
Nonesuch / WarnerVÖ: 15.09.2023
Euphorie ist eine Strategie
"Can I talk my shit?" fragt Laetitia Tamko gleich zu Beginn ihres dritten Albums – dabei wollte sie auf diesem laut eigener Aussage gar nicht mehr "introspektiv" sein. Ganz und gar sorgenfrei klingt jener Opener mit seinen Autotune-Hauchern und dem frühlingshaften Vibe, der Einfluss des als Ko-Produzenten rekrutierten Ex-Vampire-Weekend-Manns Rostam Batmanglij ist klar herauszuhören. Tamko macht ihrem Künstlernamen Vagabon alle Ehre, wandert auf "Sorry I haven't called" weiter zu einem dauertanzbaren, teils an Ibiza House angelehnten Elektro-Pop, nachdem der selbstbetitelte Vorgänger bereits den Indie-Rock des Debüts "Infinite worlds" umverkabelt hatte. Doch die ästhetische Leichtigkeit hat einen traurigen Hintergrund. Einer von Tamkos besten Freunden starb, worauf sich die in Kamerun geborene New Yorkerin ausgerechnet in ein Örtchen nördlich von Hamburg zurückzog. Die norddeutsche Einsamkeit gepaart mit regelmäßiger Club-Rave-Katharsis ließ eine Platte entstehen, die den dunklen Momenten des Menschseins mit purer Euphorie begegnen will und unter deren Hooks die emotionale Ehrlichkeit von früher keineswegs gelitten hat. "I don't think I'm escaping / I'm going to a place I know."
So steckt "Sorry I haven't called" voller textlicher Unsicherheiten, die der akustischen Oberfläche geheime Bedeutungen einschreiben. Das polyrhythmische Afrobeats-Gezappel der tollen Single "Carpenter" macht den nervösen Struggle mit der eigenen Vergangenheitsbewältigung greifbar. Die reduzierte Orgel-Ballade "Autobahn" kann ganz zur Ruhe kommen, weil Tamko hier in einer neuen Beziehung Frieden findet: "You understand me / When I call on you / When I stare through you / And I know where you stand." Dass eine solche Verschnaufpause auch einfach körperlich vonnöten ist, verdeutlicht der Track ebenfalls mit ein paar Worten: "We stayed up all night on the floor." Zuvor pumpte immerhin das Deep-House-Geständnis "You know how" erbarmungslos durch, ehe "Lexicon" mit seiner solarbetriebenen Akustischen die balearische Windmaschine anschmiss. In "Passing me by" irritiert indes das unmotivierte Heruntergepitche von Tamkos Stimme, was die farbenfrohen Synth-Flöten jedoch wieder wettmachen. Analog zum Sound sind auch die Lyrics der 30-Jährigen universeller geworden, doch dass auch eine einfache Sprache im richtigen Kontext ganz tief reindrücken kann, wissen Freund*innen guter Popmusik sowieso schon längst.
"I want so much more / Than I've ever asked for before", fleht "Nothing to lose" und drückt diese Sehnsucht mit sich überlappenden Vocals und einem immer aufgeregter werdenden UK-Garage-Beat aus. "It's a crisis"? Mitnichten, zumal jener Track genau dann per verhalltem Saxofon davonschwebt, wenn die Platte ein wenig in der Hängematte zu versacken droht. Dieser kleine Aufwach-Moment leitet in ein wieder deutlich lebhafteres und stilistisch breit aufgefächertes Schlussdrittel über, in dem auch die größten Highlights warten. Zu famoser Melodie und Neunziger-getränktem Jungle-Kurzschluss bringt "Do your worst" die Auswirkungen einer toxischen Beziehung auf den Punkt: "You turn me into someone I don't fuck with / I don't like myself when I'm with you." "Made out with your best friend" kitzelt als stahlschmelzender R'n'B-Schwitzer den Bass aus den Boxen, bevor der Closer "Anti-fuck" genauso unerwartet alte Zeiten wieder heraufbeschwört. Tamko holt die Gitarre raus und schrammelt sie am Ende zu einem Shoegaze-artigen Flirren, das den Sonnenaufgang nach der Clubnacht einfängt. "Am I wrong to decide the last thing I want is unknown?" Einer Vagabon stehen eben alle Wege offen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Carpenter
- Do your worst
- Made out with your best friend
- Anti-fuck
Tracklist
- Can I talk my shit?
- Carpenter
- You know how
- Lexicon
- Passing me by
- Autobahn
- Nothing to lose
- It's a crisis
- Do your worst
- Interlude
- Made out with your best friend
- Anti-fuck
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Armin
2023-10-04 20:10:38- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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