Daniel Blumberg - Gut

Mute / PIAS / Rough Trade
VÖ: 26.05.2023
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Aus der Magengegend

Schmerz war schon immer ein zentrales Motiv in Daniel Blumbergs Schaffen. Die Platten des Londoners, der – so scheint es zumindest – vor einer Ewigkeit bei Yuck und Cajun Dance Party spielte, sind voll von zersplitterten Beziehungen, menschlichen Verlusten und psychischen Problemen. Im Vorfeld von "Minus", seinem Debüt unter eigenem Namen, entließ sich Blumberg sogar selbst aus dem Krankenhaus – eine Art method recording unter bedenklichen gesundheitlichen Bedingungen, bei dem ein reichlich zerspantes Singer-Songwriter-Album heraussprang. Keine Spur davon auf "Gut": Mit Longplayer Nummer drei verarbeitet der Brite eine schwere Darmkrankheit, die ihn während der Corona-Isolation ereilte. Integrale Bestandteile: nicht viele. Eine markante Bass-Mundharmonika, das für "On&on" vorübergehend entsorgte Piano und Blumbergs gequälte Stimme müssen oft reichen, um das drohende Versagen des eigenen Körpers zu illustrieren. Hier geht es nicht nur ans Eingemachte, sondern auch an die Eingeweide.

Da trifft es sich gut, dass Blumberg erneut mit Peter Walsh zusammenarbeitet – dem Produzenten, der auch in der Spätphase des großen Scott Walker am Mischpult saß. Die aufgeworfenen Sound-Brachen von "Gut" erweisen sich in ihrer gravitätischen Strenge und zuweilen fast atonalen Konsequenz nämlich als gefundenes Fressen für den Studio-Sozius des verstorbenen Pop-Dekonstrukteurs. Zumal man diese halbe Stunde am besten als durchgängige Installation hört, bei der die sechs Tracks mehr als Aufzüge der Inszenierung eines Leibes denn als Songs funktionieren. Themenfragmente tauchen immer wieder auf, Stücke schwellen geräuschvoll an, bis sie fast auseinanderfliegen. Vor allem "Cheerup" verweigert sich trotz Streichern und elegischer Klavierakkorde jeder konventionellen Struktur, während Blumberg "Nothing ever changes in this world" klagt und Schlagzeug-Ad-Libs einen ständig von Neuem durchrütteln. Der Übergang zu "Holdback" verläuft nahtlos, Verzweiflung und flaues Gefühl in der Magengegend bleiben.

Im Brady-Corbet-Video zu "Cheerup" windet sich Blumbergs hagere Gestalt dazu außerirdisch um die erratische Musik, "Body" geht noch ein Stück weiter:.Erzeugt der Sänger wortloses, mutwillig gutturales Würgen und Gurgeln, ist das ein zutiefst bedrohlicher Moment, neben dem die Furz-Einlage auf "Bish Bosch" wie ein 30 Jahre zu spät in die Tat umgesetzter Novelty-Gag wirkt. Blumberg dazu: "Doing my best with body." Wie man's nimmt. Auch "Knock" klopft nicht beim Vergnügungszentrum an, sondern mimt erst den Leisetreter und mündet dann in ein Drum-gewaltiges Finale, bei dem der Noise-Rock früher Swans mit dem Klumpfuß aufstampft. Immerhin glimmt dank der Zeile "Daniel, keep on singing" zum Schluss ein wenig Leichtigkeit auf – doch Blumberg.befindet sich inzwischen auf dem besten Weg zum künstlerischen Gewicht seiner großen Vorbilder. Und "Gut" fühlt sich an, wie Talk Talks "Spirit of Eden" vermutlich mit Desinfektionsmittel statt Räucherstäbchen in der Nase klingt: beunruhigend großartig, großartig beunruhigend.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Cheerup
  • Knock

Tracklist

  1. Bone
  2. Cheerup
  3. Holdback
  4. Body
  5. Knock
  6. Gut
Gesamtspielzeit: 30:57 min

Im Forum kommentieren

ijb

2023-06-02 21:47:17

Ich kenne Yuck nicht (nie gehört), fand "Minus" großartig. "On&On" dann auch sehr gut, aber nicht so stark. Die Filmmusik-Doppel-LP "The World to Come" auch sehr gut, aber leider Film unbekannt...
Die neue hab ich nach der fünfeinhalb-Sterne-Rezension im ME jetzt gekauft. Erster Durchgang: Holla, da macht's sich (und seinem Publikum) jemand echt nicht leicht. Keine einfache Kost, aber die Besprechung sicher recht treffend.

Armin

2023-05-31 21:12:21- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

etienoir

2023-05-26 21:23:26

ich konnte mit blumberg solo bisher nicht wirklich viel anfangen, und das wird sich mit dem neuen album wahrscheinlich nicht ändern. mir fehlen yuck. seufz.

Kai

2023-05-26 21:08:39

Ach ja, als Referenz würde ich weiterhin Talk Talks Spirit of Eden und Laughing Stock nennen und wenn das gar nicht so nah ist.
Der Sound von Yuck und Cajun Dance Party ist zumindest komplett abgelegt.

Kai

2023-05-26 21:06:42

Releaseday!

War schon On&On ein recht unhandliches, aber gleichzeitig schönes Werk, so wird hier diese 'Formel' noch einmal verschärft.

GUT ist kein typisches Album mit einzelnen Tracks. Vielmehr kann man die 6 Stücke als Akte verstehen, die miteinander verschmelzen und ohne den Albumkontext wenig bis gar nicht funktionieren.

Sowohl instrumental als auch lyrisch geht es dabei recht minimalistisch zu. Die Tracks bestehen häufig nur aus wenigen Instrumenten, und die Lyrics bestehen aus wenigen Zeilen, die mitunter stoisch wiederholt werden. Dennoch findet man in dem Sound so viele kleine Details, und man hat stets das Gefühl, dass Blumberg hier nichts dem Zufall überlässt.

Dabei stehen vor allem die Kontraste im Mittelpunkt. So wirkt ein Songtitel wie 'CHEERUP' fast schon ironisch, wenn darin beklagt wird: 'Nothing ever changes in this world'.

Soundtechnisch am spannendsten ist wohl 'BODY', in dem Blumberg über schweres Atmen und Schlucken (das fast schon an Bodyhorror erinnert) sowie allerhand merkwürdigen Geräuschen aus der Harmonika singt: 'Doing my best with body'.

Allen Tracks gemein ist die Verwendung einer Bass Harmonica, die man auch auf dem Cover erkennen kann.

Favoriten gibt es in diesen 30 Minuten eine Menge. 'HOLDBACK' ist einfach ein wirklich schöner Track, genau wie 'GUT' (wobei beide unterschiedlicher nicht sein könnten). 'BODY' ist zunächst abschreckend, aber nach dem dritten Hören unglaublich detailverliebt, und das Ende von 'KNOCK' ist wohl am ehesten mit episch zu beschreiben.

Daniel Blumberg bleibt ein unglaublich spannender Künstler, der mit GUT ein weiteres wirklich starkes Album abliefert, das sicher nicht viele, aber dafür feste Freunde finden wird.

9/10

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