Herbert Grönemeyer - Das ist los
Vertigo / UniversalVÖ: 24.03.2023
Mensch, Grönemeyer!
Dass einem der großen deutschen Pop-Künstler der letzten Jahrzehnte der Humanismus ein großes Anliegen ist, muss man wohl niemandem mehr erzählen. Herbert Grönemeyer lebt die Inklusion, eckt auch gerne mal an, weil er jede Tür nach rechts kraftvoll zuhaut. Auch im Video zu seiner Single "Deine Hand" finden sich kraftvolle Bilder: Die iranische Flagge wird für die Revolution geschwenkt und per Räuberleiter werden Zäune überwunden. Grönemeyer in Topform schafft emotionale Hymen für den Zusammenhalt. Leider ist er auf seinem 17. Studioalbum gelegentlich am Hinterherhecheln.
Der assoziative Titelsong beispielsweise ist Deichkind ohne Humor. Schlagerkitsch ohne Ironie, der nervt und dessen Mission auch nicht zu 100 Prozent zu erkennen ist: "Bankenkrise, Emirat / Schuldenbremse, Windradpark / Lifehacks, Burnout, Horoskop / Cis, binär und transqueerphob / Gucci, Prada, Taliban / SCHUFA, Tesla, Taiwan-Wahn." Und auch die Klimaschote "Oh oh oh" versinkt in Phrasen, wenn Grönemeyer die Welt in Flammen sieht. Hier ist er ganz kurz vorm erhobenen Zeigefinger. "Eleganz" ist gar ein Totalausfall und fuchelt mit seiner trashigen Melodie wie Animateurshände so dicht vorm Gesicht, dass man beinahe reinschlagen möchte.
Gerettet wird Grönemeyer von seiner anrührenden Menschlichkeit. Die Klavierballade beherrscht er wie kaum ein Zweiter und "Tau" zeigt sich wehmütig und wie im Text "leise traurig". Sein persönlicher Leidensweg verleiht einfachen Worten Gewicht, wenn er in "Genie" verlauten lässt: "Kummer begleitet jeden, der tief und innig liebt." Und das anfangs unauffällige "Eine Tonne Blei" wird mit der Selbsterkenntnis zum Highlight, dass auch er selbst eine Belastung sein kann, die er anderen manchmal zu leichtfertig aufbürdet: "Ich häng an Dein Herz eine Tonne Blei / Und lass Dich dann allein."
Dass Grönemeyer immer auf mehreren Hochzeiten getanzt hat und die schwungvollen Achtziger-Synthies genauso gern mag wie die Konsenshymne fürs Stadion oder eben die emotionale Klavierballade, ist nicht das Problem von "Das ist los". Einzig, dass er fast jeden dieser Songs schon einmal in einer besseren Version vorgelegt hat, macht diese Platte zu einer durchwachsenen Mittelmäßigkeit. Der Mensch Herbert Grönemeyer ist dabei zu jedem Zeitpunkt authentisch, aber er scheitert daran, dass man von dieser Leuchtfigur der deutschen Pop-Landschaft immer ein bisschen mehr erwartet.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Deine Hand
- Tau
- Eine Tonne Blei
Tracklist
- Deine Hand
- Das ist los
- Herzhaft
- Tau
- Genie
- Der Schlüssel
- Angstfrei
- Urverlust
- Eleganz
- Oh oh oh
- Eine Tonne Blei
- Behutsam
- Turmhoch
Im Forum kommentieren
Armin
2023-11-17 20:15:05- Newsbeitrag
Liebe Kolleg*innen,
es wird kalt. Auf den Straßen – aber auch in den Herzen. Dagegen hilft nur: die Wärme, die nur Kunst, die Musik erzeugen kann, mit Liedern, die uns zusammenbringen, die Gemeinschaft erzeugen. Eines dieser Lieder ist „Kaltes Berlin“, die neue Single von Herbert Grönemeyer. Mit wenigen Worten schafft es Hoffnung in Zeiten physischer und gesellschaftlicher Kälte. Hoffnung, die in diesen Tagen mehr denn je gebraucht wird.
„Die kalte Luft duftet nach Kuchen und Wein / Alle zusammen allein“
Es ist ein Winter-, ja vielleicht sogar Weihnachtssong, den Herbert Grönemeyer da gemeinsam mit dem preisgekrönten hiphop-affinen Produzentenduo Lucry & Suena geschaffen hat. Liebevoll blickt der Text des Friedrichshainers Lucry auf die graue, kalte Stadt im Winter, die aber unter der Oberfläche viel Liebe bereithält.
„Nebel verfängt im Laternenlicht / Ein Winternachtstraum der auf der Stelle tritt“
Erzählen uns Grönemeyer, Lucry und Suena vom heutigen Berlin oder der Stadt vor 100 Jahren? Manche Dinge ändern sich nie: das fahle Licht der Berliner Laternen, der Rauch der Schornsteine, die kriechende Kälte des Berliner Winters, die Einsamkeit der Großstadt und die subtile Herzlichkeit, die sich unter hartem Kern der Berliner*innen verbirgt. Präzise fängt der Song die Stimmung auf den winterlichen Straßen ein, und verströmt zugleich eine zuversichtlich warme, behagliche Stimmung.
Getragen wird „Kaltes Berlin“ von einer einfachen, aber wunderbar bekannt wirkenden Klaviermelodie. Über drei Minuten baut sich das minimalistische Lied mit jeder Strophe weiter auf – um dann mit einer zarten, reduzierten Coda zu enden.
„Vielleicht sind wir morgen längst nicht mehr hier/ im kalten Berlin“
„Kaltes Berlin“ ist auch auf der ab dem 8. Dezember erscheinenden neuen Deluxe Edition des Erfolgsalbums „Das ist los“ enthalten.
maxlivno
2023-03-31 07:36:47
Eine Tonne Blei kannst du direkt in jedes Best-Of reinpacken. Großartiges Stück. Abgesehen davon klingt vieles musikalisch einfach hässlich, auch wenn die Inhalte oder die Intentionen dahinter lobenswert sind. 5/10 passt
Grizzly Adams
2023-03-30 17:22:19
Wird wohl das erste Grönemeyer-Album werden, welches mich nicht auffordert, mir einen kompletten Hördurchgang am Stück zu gönnen.
„urverlust“ klingt schon ganz ok, aber das selbst das hat er in seiner Karriere lyrisch und musikalisch schon oft besser gemacht.
vinylium_senfterum
2023-03-30 14:34:41
Kann mich der Rezension anschließen. So richtig knallt da wenig.
Arne L.
2023-03-30 13:21:27
@peacetrail Ok, der ist wirklich neu für mich und sehr, sehr gut! Danke dafür!
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