
Annett Louisan - Babyblue
Ariola / SonyVÖ: 17.02.2023
So eine Frechheit
Lange bevor er bei Plattentests.de Karriere machte, schrieb der Autor dieser Rezension schon mal über Annett Louisan. Ausgerechnet über das mit 2/10 am härtesten abgewatschte Album "Kleine große Liebe" behauptete er in einem Text: "Wenn die Wahlhamburgerin dichtet, erinnert man sich, wie reich die deutsche Sprache ist." Auf welcher privaten Euphoriewelle er damals gesurft sein muss, ist vier Jahre später nicht mehr nachvollziehbar. Beim erneuten Hören wohl aber die Erkenntnis: Da hat er sich von den drei, vier – seiner Meinung nach immer noch – sehr guten Songs vom belanglosen Gros ablenken lassen. Und trotzdem steht er bei Louisans zehnten Studioalbum "Babyblue" wieder am selben Punkt und will vor allem viel loben.
Wo die Sängerin in den letzten fast 20 Jahren manchmal eher unfreiwillig aneckte, weil manchen ihre Lolita-Rolle nicht passte oder andere ihr Banalität vorwarfen, schärft sie nun bewusst die Kanten. Schon zu Beginn schmeißt sie sich im Rampenlicht aufs Klavier und flirtet in "Die mittleren Jahre" mit dem Zynismus: "Früher sind Menschen nur 40 geworden und sparten sich so die Therapie." Der manifestiert sich als Gesellschaftskritik im anschließenden "Die fabelhafte Welt der Amnesie" noch deutlicher und stößt sicher ein paar Leute vor den Kopf. Die Sängerin kritisiert die Geschichtsvergessenheit in Teilen der Bevölkerung, setzt Montagsdemonstrationen und Ausländerhass säuselnd entgegen: "Im Kleinbus nach Berlin, zum Brandenburger Tor / Die Medien sind schuld, Du kommst Dir echt rebellisch vor." Noch einen drauf setzt sie in "Große Hände" und tanzt die Polka zu Verschwörungstheorien von 9/11 über Adrenochrom bis hin zu Echsenmenschen. Das muss man alles nicht gut finden, Profil verleiht es ihr aber allemal. Einzig das Disney-artige "Hallo Julia" verläuft sich ein bisschen zu sehr in sakralen Hallen, bis man nicht mehr weiß, ob das nun kritisch gemeint ist oder sie den Pomp der katholischen Kirche nicht doch ein bisschen schön findet.
Ordentlich romantisches Drama und leidenschaftlichen Streit gibt es natürlich trotzdem. Fast schon klassisch Louisan wird es in "Du liebst wie ein Arsch" ein bisschen vulgär und im hämischen Karma-Tango "Das Universum schlägt zurück" sogar noch ein bisschen mehr: "Du hast Dein Leben selbst gefickt." Die zwölf Songs haben mit ausgepolsterten Arrangements einen Hang zur Größe, und glücklicherweise sucht man die gruseligen, stampfenden Schlager der Vergangenheit vergebens. Das dürfte auch Produzent Tim Tautorat zu verdanken sein, der zuletzt an anderen gelungenen Releases von Betterov über Provinz bis Tocotronic beteiligt war. "Babyblue" fühlt sich sehr nach Louisan an – aber eben nach der guten Version, die in "Wenn ich groß bin" den Chanson und die französische Sprache liebt und bei "Blutsschwestern" cineastisch erzählen kann. Und da der Rezensent schon zu Beginn arg am eigenen Glaubwürdigkeits-Stuhl gesägt hat, setzt er zum Ende noch einen drauf. Im betörenden Finale in Form des Gitarrenstücks "Wenn ich einmal sterben sollte" erinnert Louisan ganz sanft und ganz vorsichtig an keinen Geringeren als Leonard Cohen. Das war's dann wohl mit der Plattentests.de-Karriere. (
Highlights & Tracklist
Highlights
- Die mittleren Jahre
- Große Hände
- Wenn ich einmal sterben sollte
Tracklist
- Die mittleren Jahre
- Die fabelhafte Welt der Amnesie
- Hallo Julia
- L’amour
- Babyblue
- Blutsschwestern
- Arsch
- Wenn ich groß bin
- Das Universum schlägt zurück
- Zuckerbrot und Peitsche
- Große Hände
- Wenn ich einmal sterben sollte
Im Forum kommentieren
nörtz
2023-02-27 13:36:21
So schlecht find ichs gar nicht.
"Wenn ich einmal sterben sollte" ist doch ganz schön, da muss ich dem Rezensenten zustimmen. :D
Armin
2023-02-22 19:21:13- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Z4
2022-11-30 20:33:50
Ich zweifle ja am Erscheinen, für das Wortspiel kommt sie bis dahin ins Gefängnis oder auf den Index.
Armin
2022-11-30 19:53:06- Newsbeitrag
Annett Louisan kündigt neues Album für 2023 an – „Babyblue“ erscheint am 17.02.
Erster Track aus dem Album „Die fabelhafte Welt der Amnesie“ out now
Annett Louisan hat ein neues Album aufgenommen. Es trägt den Namen „Babyblue“. Babyblue“ ist, das wird gleich klar, ein Album über den Blues in der Mitte des Lebens und das Älterwerden. Voller Hingabe und Humor, augenzwinkernd und aufrichtig zugleich, erzählt Annett Louisan über Angst, aber auch das Annehmen dieses Lebensabschnittes. Vom Glück und vom Unglück, wie sich beides bedingt und wie nicht nur Menschen kommen und gehen, sondern auch man selbst. Solange, bis man schließlich wieder zu sich findet.
Produziert wurde Annett Louisan’s „Babyblue“ von Tim Tautorat, der sich mit seinen Arrangements der gemeinsamen Kompositionen vor den Chansons der späten 60er und frühen 70er Jahre verbeugt und die Melancholie von „Babyblue“ auch musikalisch gekonnt einfängt.
Hör hier den ersten Song aus ihrem kommenden Album „Babyblue“ – „Die fabelhafte Welt der Amnesie“:
Nach „Kitsch“ aus dem Jahr 2020 ist „Babyblue“ das zehnte Studioalbum von Annett Louisan, einer der erfolgreichsten Musikerinnen Deutschlands. 2004 wurde sie mit „Das Spiel“ fast über Nacht zu einem Star. Nicht nur die Radiostationen verliebten sich in den federleichten Popsong. Von einer „kleinen Hymne ans weibliche Selbstbewusstsein“ schrieb etwa der „Spiegel“, und bescheinigte Louisan Texte ohne die dem deutschen Liedgut so oft „immanente Peinlichkeit“.Das erste Album „Bohème“ erreichte nach sechs Wochen Gold-und nach neun Wochen Platinstatus und wurde damit zu dem am schnellsten verkauften Debütalbum der deutschen Musikgeschichte. Sechs Alben folgten bis heute, alle erreichten die vordersten Chartregionen. Über 1,5Millionen Exemplare ihrer Alben wurden bis heute verkauft oder gestreamt.
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