Charlotte Brandi - An den Alptraum
Listen / Broken SilenceVÖ: 10.02.2023
Mut zur Poesie
Eine Minute und siebenundvierzig Sekunden. So lange benötigt Charlotte Brandi, um das nur vermeintlich stärkere Geschlecht (also uns Männer) gleich zu Beginn mit "Der Ekel" ordentlich einzunorden. Und das a cappella, mit fünf übereinandergelegten Spuren der eigenen Stimme. Sie hat sich einiges vorgenommen.
Aber wer sich mit dieser Künstlerin beschäftigt, ist darüber nicht verwundert. Mit Me And My Drummer hat sie Indiefame erreicht, dieses Duo nach zwei schönen Alben als auserzählt erklärt, mit dem ersten Soloalbum "The magician" andere Klangbereiche erforscht und dann mit einer EP ("An das Angstland", inklusive eines feinen Duetts mit Dirk von Lowtzow) die Sprache gewechselt. Was könnte da als nächstes kommen? Nun, zum Beispiel ein komplett unter Beteiligung von FLINTA* (ergo: ohne Männer) aufgenommenes Album. Was teilweise eine ziemliche Herausforderung war, wie Brandi letztens im Soundcheck auf radioeins erzählte. Nicht wegen der beteiligten Personen selbst, sondern wegen der gar nicht so einfachen Suche nach ihnen – es gibt beispielsweise nach wie vor zu wenige FLINTA*-Personen fürs (Studio-) Drumming, und die guten sind dann natürlich heiß begehrt.
Wie bei der vorangegangenen EP bereits angedeutet, wird komplett auf Deutsch gesungen. Und stilistisch kennt Brandi ohnehin kaum Scheuklappen. Sie selbst spielt Keyboards/Synthesizer, Gitarre/Bass, Klavier, Dulcimer, Flöte, Cello, Percussions, dazu kommen noch ihre Gastmusiker*innen. Die Arrangements sind zumeist abwechslungsreich, mehr noch als auf dem Vorgänger, und selten vorhersehbar. Eigenwillige Ideen hat es auch reichlich: Plötzlich wird in "Geld" losgejodelt, da muss man schon schlucken. Dahinter entwickelt sich dann aber ein ganz feiner Popsong. An anderer Stelle landet die vom Wandern fußgeschundene Protagonistin in "Wien", regeneriert in einem hellen Refrain und wird am Ende mit Wiener Dialekt aus der Stadt geschimpft.
Lyrisch geht es um viel. Vor allem aber um Poesie und Ermutigung. Brandis Gedanken oszillieren über feministische Themen – wobei sie nie belehrend arbeitet, sondern stets spielerisch –, Grundsätzlichkeiten wie "Frau", "Mann", "Kind", Lebensentwürfe, die anders verlaufen, als man sich das erträumt hätte (Wem geht das nicht so?), aber auch gewöhnliche Dinge wie das Unterwegssein oder bereits erwähntes Geld. Ganz wichtig dabei: eine gesunde Prise Humor. Stimmlich spielt Brandi ihre Vielseitigkeit voll aus. Kraftvoll, zerbrechlich, laut, leise. Da klingt auch mal ein Ton scheinbar schief – aber nur dort, wo er es soll. Man höre sich hierzu "Die letzte Brücke" ganz genau an. Während man so überlegt, womit man diese Musik vergleichen könnte (Spoiler: mit wenigem), erklingt Stella Sommer, die in "Vom Verlieren" gastiert. Das passt. Wie auch die Klammer, mit der "Der Ekel II" das Album mit einer gehörigen Portion Wut abschließt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Wien
- Die letzte Brücke
- Geld
Tracklist
- Der Ekel
- Luzern
- Wien
- Die letzte Brücke
- Geld
- Todesangst
- Meine Hunde
- Frau
- Kind
- Vom Verlieren (feat. Stella Sommer)
- Der Ekel II
Im Forum kommentieren
AndreasM
2023-02-21 13:04:13
von angreifen oder angegriffen fühlen kann auf keinen Fall die Rede sein - keine Sorge!
Und den Anspieltipp nehme ich direkt dankend mit!
AliBlaBla
2023-02-21 12:50:09
AndreasM
Ääääääh, doch! Im Sinne von:
"Wenn nicht eigenSTÄNDIG, dann auch sicher nicht einzigARTIG", das schließt sich ja aus. Ich wäre mit einzigartig eh lieber etwas sparsam, geizig, ist ja auch 2023 überhaupt nicht zu erwarten..Ach, sehe gerade, das hattest du nicht geschrieben, sondern "eigenständig" , okey okey...
Wollte dich wirklich nicht angreifen.
Ich wollte eh beileibe keine Hate verbreiten, aber der Duktus hat mich schon sehr an Ja König Ja erinnert -- immerhin stehen beim Musikexpress unter "klingt wie" Die Heiterkeit und -eben- Ja König Ja, ..Insofern beruhige ich mich ja auch schon wieder.
Ganz gute Platte.
(Und bitte auch mal...hihi..Ja König Ja hören, "Die Seilschaft der Verflixten" Anspieltipp!)
AndreasM
2023-02-21 08:35:29
eigenständig ist nicht gleich einzigartig ;)
Und ich habe noch nie einen Song von Ja König Ja gehört. Mein Unwissen schützt also definitiv :), so denn etwas an deiner Einschätzung dran sein sollte.
AliBlaBla
2023-02-20 17:53:23
Sorrrrrrrrrrrrrrry, aber erinnert das euch nicht .....FATAL an Ja König Ja ? ! ? !
..."einzigartig in Deutschland", das ich nich lache....Nach dreißig Sekunden bei mir...Schnappatmung!
(Falls ich die beiden mal wieder auf einem Konzert sehe, im Publikum, werde ich sie unverblümt fragen, was sie von C.B. halten, und gerne hier berichten..)
Hierkannmanparken
2023-02-20 11:48:50
Sie würde doch richtig gut zu Dagobert passen musikalisch. An Schlager musste ich auch denken, irgendwo zwischen Ironie bezüglich der Ästhetik und Aufrichtigkeit bezüglich der behandelten Themen.
Anfang und Ende finde ich sehr unterhaltsam!
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