Prinz Pi - ADHS
Keine Liebe / SonyVÖ: 03.02.2023
Mach's noch einmal, man
Eine steile These zum Einstieg: Friedrich Kautz ist in der Lage, für jeden einzelnen Menschen einen Song zu schreiben, der diesem gefällt und ihn berührt. Er hat als Prinz Porno einen der besten Songs über Graffiti gemacht, war der "Sneakerking" und hat der Berliner Currywurst einen stabilen Track gewidmet. Er hat die melancholischen Hipster*innen und deren romantisiertes Jugendbild als Prinz Pi abgeholt und ihnen ein paar der dramatischsten Liebeslieder geschenkt, zu denen unzählige Tränen vergossen wurden. Untergrund-Nerds werden ihm wegen Songs wie "Keine Liebe" oder "20.000 Meilen Untergrund" nie komplett den Respekt verweigern. Und Mama mag, was er mit Bosse gemacht hat. Und trotzdem schafft er es auch nach 25 Jahren Rap nicht, sein Opus magnum abzuliefern.
Dabei fängt "ADHS" ganz stark an. In einer ersten Episode zeigt der Berliner Rapper seine Paradedisziplin: Die musikalische Zeitreise. Auf dem Weg von der Kindheit ins Jetzt reflektiert er sein früheres Konsumverhalten und kritisiert sich selbst dafür, sein Selbstbewusstsein von teuren Klamotten abhängig gemacht zu haben, die ihn nur ärmer zurückgelassen haben. Gleichzeitig bleibt er selbstsicher genug, um Kritik an seinen vermeintlichen Kalendersprüchen abzuwatschen. "S1E1" reiht sich ein in eine Historie von starken Intros. Umso ärgerlicher ist es, dass es schon im pathetischen, darauffolgenden "Angst" mit Sänger 1986zig phrasenhaft heißt: "Denn vor Sonne kommt Regen und nach der Dunkelheit Licht / Fast wie ein Spiel dieses Leben / Spiel mit!" Noch ärgerlicher wird es in "Telegramgruppe", das auf oberflächliche Art schwerwiegende gesellschaftliche und politische Probleme banalisiert, weil es für das Konzept drängende Themen wie Antisemitismus und Leistungsdruck im Kapitalismus mit TikTok-Marketing-Kampagnen vermengt, die sich HipHop zunutze machen. Im Titelsong mit einem angenehmen Sierra-Kidd-Gesangs-Feature, arbeitet Pi sich an Fake News ab, schwadroniert über "Millionen mit Depressionen" und behauptet diffus, dass irgendwo die Waffen schon geladen sind. Er will auf eine Korrelation zwischen Mediennutzungsverhalten und psychischer Gesundheit hinaus und landet wieder bei einem typischen Bestimmt-gut-gemeint-Song, der einfach verpufft.
Musikalisch holen Leute wie Sierra Kidd oder das dreamige Gitarrenstück "Kleine Stiche" mit der neuen emotionalen Garde in Form von Wavvyboi und Edo Saiya in die Moderne. Mit der Franfurterin Liz ist außerdem die Straßenrap-Newcomerin der Stunde dabei. Der Chor in "Pantone 13-1520" in Kombination mit harten Drums ist gar ein ganz schöner Trap-Banger. Die beiden Teile von "Puff Puff Pass" holen mit ihren Boom-Bap-Anleihen die älteren Rap-Fans ab. Lediglich Mama fragt kurz, warum Bosse nicht dabei ist. Und mit "Reich" spricht Pi gar über soziale Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit Enteignungen während des Nationalsozialismus: "Alle Menschen sind gleich, manche sind gleicher / Die werden reich geboren und werden immer reicher / Die können in Pension gehen, direkt aus dem Kreißsaal / Reich, seit Deutschland ein Reich war, ich meine nicht den Kaiser." Allerdings reißt er das Potenzial selbst wieder ein, wenn es im selben Song heißt: "Junge Frauen aus Osteuropa, die putzen ihnen ihr Klo / Junge Frauen aus Osteuropa fickt ihr Mann gern in den Po." Fast hätte es mit der Sozialkritik mal geklappt.
Trotzdem wird man mit einem guten Gefühl aus "ADHS" entlassen. Pi schließt so stark ab, wie er ursprünglich begonnen hat. Mit über 5 Minuten nimmt der deutlich längste Song der Platte "1995" sich noch mal Zeit für einen erneuten Rückblick. Dann erzählt Pi wieder von dem schmächtigen Jungen, der er einst war. Von Außenseitertum und von einem Berlin, das nur wenige so beschreiben können, wie er es macht. Pis Stärken und Schwächen sind die Alten, was sich wohl auch nicht mehr groß ändern wird. Und trotzdem hat er jederzeit diese besonderen Songs in sich, die jeden irgendwie, irgendwo, irgendwann mal treffen und berühren. Wären sie doch nur in der Mehrheit.
Highlights & Tracklist
Highlights
- S1E1
- Puff Puff Pass I
- 1995
Tracklist
- S1E1
- Angst
- Telegramgruppe
- ADHS
- Zu viel
- Puff Puff Pass I
- Puff Puff Pass II
- Erste Billion
- Kleine Stiche (feat. Wavvyboi & Edo Saiya)
- Pantone 13-1520
- Reich
- WinAmp
- Detox
- 1995
Im Forum kommentieren
All Crips are Bloods
2023-02-08 22:28:22
Hätte nicht gedacht, dass mich ein Album von Pi nochmal packt. Knüpft eher wieder an Alben wie "Donnerwetter" oder "TMHS2" an. Leider aber ohne die Hits, es geht hier deutlich ruhiger zu. Was aber auch gut zum Grundthema der Platte passt. Ja, die Hook von "Angst" ist ein Verbrechen, aber insgesamt um Lichtjahre besser als seine letzten Veröffentlichungen.
Armin
2023-02-08 20:47:33- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Martinus
2022-09-02 20:01:03
Starke Nummer!!
Armin
2022-09-02 19:26:29- Newsbeitrag
Prinz Pi veröffentlicht Song-Monster und kündigt Album
Single „1995“ out now / Album „ADHS“ folgt 2023
Seht das Video zu „1995“ hier:
Hört „1995“ hier: http://prinzpi.vdsm.li/1995
Über „1995“
In sechs Minuten eröffnet PRINZ PI die komplette Welt seiner Kindheit und Jugend. Er setzt alles zusammen zu einem Panoramabild, man kann die schmutzige Luft der U-Bahnstationen riechen, die weiche Sohle der Nikes auf dem Beton der Brücken spüren und sieht zehn Jahre im Zeitraffer an sich vorbeiziehen.
Es sind inmitten der 90er-Jahre in Berlin, Jugendliche aus allen Bezirken prallen im Nahverkehrssystem aufeinander, Aggressionen entladen sich, die Tristesse und die vielen Sackgassen sind noch nicht sichtbar für die Augen der Kids, über allem liegt ein neues Lebensgefühl mit einem neuen Sound und so etwas wie Hoffnung.
„Weil ich nie Kohle hatte hab ich nie gechillt, weil ich Depressionen hatte gaben sie mir Pillen / ich habe ihn gedreht, mein Budget war nur mein Willen“
Über „ADHS“
Die Welt hat sich den letzten Jahren geändert: Corona, Krieg, aufbrechende Risse in der Gesellschaft. Prinz Pi hat mitgeschrieben, alles versucht zu ordnen und macht das, was er am besten kann: Er kondensiert präzise Beobachtungen in klare, greifbare Songs.
So richtig mittendrin und dabei war er nie: Zu kauzig und eigen für den Mainstream, aber auch zu normal für die extremen Ecken. Zwischen den Stühlen muss man stehen, und das tut er seit Jahren auf den großen Festivals und Bühnen.
Mit „ADHS“ ist er nun nach zwei Jahren zurück mit einem Album, das zeigt, was Rap jenseits von Playlisten kann. Cool ohne Haltbarkeitsdatum, bissig ohne den Zeigefinger des sich moralisch überlegen Fühlenden. Das große Thema ist das Leben als Mensch mit all seinem Gepäck, den Schäden aus Kindheit, Jugend und toxischen Beziehung und dem Ausdefinieren des eigenen Vater- und Mannseins.
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