Schrottgrenze - Das Universum ist nicht binär
Tapete / IndigoVÖ: 10.02.2023
Love knows no limits
Schrottgrenze sind Deutschlands bunteste Powerpop-Band, das muss man niemandem mehr erklären. "Das Universum ist nicht binär" vollendet die Trilogie der Hamburger*innen zu queerer Identität, freier Liebe und kritischer Männlichkeit mit dem nächsten ambitionierten Paukenschlag. More of the same also? Mit Streichern, Synths und Chören fährt direkt der Titeltrack äußerst schwere Geschütze auf, Saskia Lavaux hebt den Blick sehnsüchtig gen Weltraum, träumt vom Tod des Patriarchats, von David-Bowie-Grandezza und einer besseren Zukunft. Neben von starren Stereotypen losgelöster Gender-Wahl listet "Boomer-Tränen" anschließend viele andere Themen auf, für die sich eine jüngere Generation rechtmäßig stark macht: sensibler Sprachgebrauch, Klimaschutz, der Kampf gegen Diskriminierung, you name it. Bei Schrottgrenze sind klare Ansagen weiterhin Programm, und verpackt ist alles noch immer in schmissigen, gutmütigen Bubblegum-Rock, der sein Indie-Korsett schon längst abgestreift hat – und es sich ab und an vielleicht ein bisschen zu einfach macht. Oft hat das nämlich nicht nur dezente Glam-, sondern auch, wenn man denn abfällig sein möchte, schon Schlager-Vibes. Ist aber halb so wild.
Denn Schrottgrenze sind weiterhin Meister*innen simpler, aber wirksamer Melodien und unaufdringlich-fröhlicher Instrumentierung. "Dysphorie" zum Beispiel: Derart zuckersüßem Powerpop, der Bevormundung und Ignoranz mit seiner herzzerreißenden Leichtigkeit einfach in die Tonne tritt, kann man einfach nicht böse sein! "Männerphantasien" bekämpft dann die patriarchalischen Hierarchien in der (Musik-) Industrie. Der Blick ins Innere darf auf dem zehnten Album der Band aber genauso wenig fehlen: Das beweisen der Ohrwurm "Happyland", der mit sympathischem Denglisch die gerade auf Social Media omnipräsente "toxic positivity" entlarvt, und das vielleicht etwas kitschige, aber trotzdem hochromantische "Immer für mich da". Liebe kann so einfach sein! Im Gänsehaut-Highlight "Roman und Ines" schließlich entwerfen Schrottgrenze wunderbares Storytelling über zwei vergangene, zum Scheitern verdammte Romanzen in Zeiten von AIDS und Unverständnis und lassen dafür sogar den Pop ein Stück weit fallen. Deprimierend, aber mit dem nötigen Hoffnungsschimmer versehen.
"Bürokratie" wirkt daneben etwas wie das pflichtbewusste Abarbeiten allgemeiner gefasster Themenbereiche, um auch die Reste der einstigen Punk-Zielgruppe noch schnell mitabzuholen. "Lieber Regen" transportiert hingegen echten, ernst gemeinten Ekel über Placebo-Gitarren und beschließt das Album mit einem ein klein wenig aus der Reihe tanzenden Knall. Vorwerfen kann man Schrottgrenze eigentlich bloß die möglicherweise unumgängliche Tatsache, doch nur zum eigenen Chor zu predigen, und manchmal dezent schablonenhaftes Songwriting. Insgesamt aber gilt: Für ihre Konsequenz, einige neue Lieblings-Pop-Perlen und den unbedingten Willen, niemals aufzugeben und ihre eigene, höchstpersönliche Version von Empowerment bis zum Schluss durchzuziehen, muss man sie weiterhin liebhaben.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Das Universum ist nicht binär
- Dysphorie
- Roman und Ines
Tracklist
- Das Universum ist nicht binär
- Boomer-Tränen
- Girlanden
- Männerphantasien
- Dysphorie
- Immer für mich da
- Happyland
- Emanzipation und Alltag
- Bürokratie
- Roman und Ines
- Lieber Regen
Im Forum kommentieren
FinanzGuru
2023-08-04 19:16:43
Habe viele junge Freunde in der queeren Community, aber quasi biemand kennt diese band.
An den texten und der Botschaft kanns nicht liegen, ich vermute eher, dass bei menschen 15-25 Gitarrenmusik mal so gar nicht angesagt ist und eine Indieband, die nicht im trendy Hipster-Insta-Look daherkommt, und schon Musik gemacht hat, als viele Queeries geboren wurden, es einfach schwer hat.
Schade, ich kenne keinen Musiker bzw. Musikerinnen, welche sich auf Albumlänge so konsequent für queere Themen einsetzen.
XTRMNTR
2023-02-06 23:40:07
Punk war mal die Musik gegen das Establishment. Das hier klingt wie die Musik für den Parteitag.
Da ist ja wirklich alles drin, was der "moderne Zeitgeist" so vorgibt. Angepasster als diese Musik geht nicht.
Armin
2023-01-31 20:36:08- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Earl Grey
2023-01-15 00:41:26
Danke für deine Gedanken… vielleicht urteilt man manchmal zu voreilig…
Armin
2023-01-15 00:19:42
Grundsätzlich kann Musik auch dazu einladen, fremde Gedanken nachzuempfinden und zu erleben. "Das bildet exakt meine Lebenswirklichkeit ab und kleidet diese in Worte" denkt man wohl nur bei einem kleinen Bruchteil der gehörten Musik. Und ist das wirklich das bessere Erlebnis?
Insofern wäre ich da grundsätzlich offen. Ob ich generell ein Album brauche, bei dem sich alle Songs ums selbe Thema drehen, egal um welches, stelle ich gleichzeitig aber auch in Frage. Das muss aber anhand der Tracklist nicht der Fall sein. Lieber erst das Album hören, statt vorschnell zu urteilen.
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