Iggy Pop - Every loser
Atlantic / WarnerVÖ: 06.01.2023
Ewiger Frühling
"Sorry, geänderte Wagenreihung", bekommt Nico Rosberg von einem oberkörperfreien Senioren mit breitem amerikanischem Akzent zu hören, der auf seinem ICE-Platz sitzt. Iggy Pop als Werbefigur für die Deutsche Bahn? Überrascht höchstens diejenigen, die sich Anfang der Siebziger haben einfrieren lassen. Die Jazz-Ausflüge konnte man zwar bereits auf "Fun house" erahnen, aber auch sonst schlug der einstige Stooges-Frontmann in seiner fast fünf Dekaden umspannenden Karriere als Solo-Musiker, Schauspieler, Persona so manche unerwartete Richtung ein. Weil ihn oberflächliche Sellout-Vorwürfe genauso wenig wie alles andere jucken, konnte er für sein 19. Solo-Album auch den 40 Jahre jüngeren, mit Arbeiten für Justin Bieber, Ed Sheeran oder Miley Cyrus erfolgreichen Produzenten Andrew Watt engagieren, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch Pop hat natürlich nicht plötzlich Bock auf Pop, sondern will nach den sedierten Vergänglichkeitsreflexionen von "Free" im Gegenteil mal wieder richtig losrocken. Besagter Watt hat nämlich auch Leute wie Ozzy Osbourne oder Eddie Vedder im Portfolio stehen und kuratiert für "Every loser" eine namhafte Truppe mit Mitgliedern von etwa Guns N' Roses oder Red Hot Chili Peppers, die dem "Godfather of Punk" seinen Wunsch erfüllen.
So spuckt gleich das eröffnende "Frenzy" über jaulenden Saiten und brachialem Rhythmus so mit verbaler Säure um sich, dass Idles und all die anderen Bands der aktuellsten Punk-Revival-Welle erst einmal durchs Familienbuch blättern müssen. Für "Strung out Johnny" packt Pop im Anschluss seinen gravitätischsten Bariton aus, erinnert mal wieder an seinen alten Weggefährten David Bowie und kommt auch mit diesem eleganteren Stück Synth-Rock geradlinig auf den Punkt. Auf "Every loser" werden keine Dylan-Thomas-Gedichte rezitiert oder Houellebecq-Romane als Inspirationsstoff verschreddert, das Mission Statement des Künstlers war ein ganz simples: "The music will beat the shit out of you. I'm the guy with no shirt who rocks." Und mit dieser Erkenntnis schlittert James Newell Osterberg Jr. hochmotiviert und kampflustig in den drölften Frühling einer Karriere, die sowieso nie wirklich Herbstlaub gesehen hat.
Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Platte, wie bereits im Eingangsdoppel zum Ausdruck gebracht, keinesfalls einseitig Backpfeifen verteilt. Stattdessen lässt der 75-Jährige eine altersgemäß getragene Akustikballade wie "Morning show" am Hardcore-Kurzschluss "Neo punk" zerschellen, während er sich athletisch durch die Stimmlagen wieselt. Das wavige Highlight "Comments" wartet nicht nur mit einem sich unmittelbar in den Gehörgang fräsenden Refrain auf, sondern auch mit einer geexten Pulle Selbstironie, die das immer wieder mit Kommerz und Biedermeier flirtende Image aufs Korn nimmt: "Sell your face to Hollywood / They're paying good, paying good / Sold my face to Hollywood / I'm feeling good, looking good." Ist das schon Grandad-Rock? Wenn der immer mit so viel Spielwitz, Augenzwinkern und Abwechslungsreichtum daherkommt, gerne mehr davon.
Dass das Album seinem Ansatz geschuldet ein paar Tiefenschichten vermissen lässt und nicht an Pops größte Meisterwerke herankommt, ist ein komplett zu vernachlässigender Nicht-Kritikpunkt, wenn Songs wie "Modern day rip off", das auch den Asheton-Brüdern gefallen hätte, oder das vom ebenso verstorbenen Taylor Hawkins über die Serpentinen getrommelte "All the way down" so viel Spaß machen. Das zwischen Spoken Word und Stadion-Melodiebogen changierende "New Atlantis" sowie der dezent proggige Closer "The regency" schielen in Richtung Epik und untermauern endgültig den eigenen Schädel des dahinterstehenden Mannes. Iggy Pop sitzt im Schnellzug der Rockgeschichte da, wo er will, und lässt sich höchstens von den eigenen Launen von seinem Platz vertreiben. Da kann selbst Nico Rosberg nur verdutzt auflachen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Strung out Johnny
- All the way down
- Comments
Tracklist
- Frenzy
- Strung out Johnny
- New Atlantis
- Modern day rip off
- Morning show
- The news for Andy
- Neo punk
- All the way down
- Comments
- My animus interlude
- The regency
Im Forum kommentieren
fuzzmyass
2023-03-14 16:30:00
"Auch nach der ersten Euphorie ist es immer noch ein überraschend gutes Album."
Sehe ich auch so
derdiedas
2023-03-14 16:23:24
Ziemlich frech, dass Mogwai offenbar keine Credits für My Animus (interlude) bekommen haben.
Hat Iggy denn Credits für sein SpokenWord-Sample im Intro von Cody bekommen? Sonst gleicht sich das ja quasi aus^^
Nummer Neun
2023-03-14 16:05:32
Auch nach der ersten Euphorie ist es immer noch ein überraschend gutes Album.
fuzzmyass
2023-01-12 09:12:44
Empfinde ich komplett anders... das Album ist IMO überhaupt nicht fad, sondern quicklebendig, leichtfüßig, frisch und sehr abwechslungsreich, "Dicke-Eier-Rock" höre ich da höchstens in 2-3 Songs und dort ist er sehr gut gelungen... es wird stilistisch schon noch deutlich mehr beackert und das in einer sehr guten Weise - siehe Strung Out Johnny, Morning Show, Comments
Enrico Palazzo
2023-01-12 07:10:04
Ein fades Dicke-Eier-Rockalbum eines alten Mannes, das mental 20 Jahre zu spät kommt. Mehr als 4/10 bekommt das von mir nicht. Schade um die Gastmusiker.
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